Barcelona/Madrid. Weltmeister Toni Kroos soll der kriselnden deutschen Nationalmannschaft helfen. Das Comeback im DFB-Team ist jedoch nicht ohne Risiko.
Toni Kroos ist ein Freigeist, immer für Überraschungen gut. Nun aber hat der deutsche Spielmacher von Real Madrid getan, was gemeinhin erwartet wurde – und sein Comeback in der Nationalelf verkündet. „Warum?“, fragte Kroos in seiner zugehörigen Instagram-Botschaft: „Weil ich vom Bundestrainer gefragt wurde, Bock drauf habe und sicher bin, dass mit der Mannschaft bei der EM viel mehr möglich ist, als die meisten gerade glauben!“, antwortete Kroos. Nach knapp dreijähriger Abwesenheit geht’s bei den März-Länderspielen gegen Frankreich und die Niederlande wieder los.
Als Weltmeister und fünffacher Champions-League-Sieger braucht er das Land womöglich gerade weniger als ihn das Land. Besonders scheint ihn Bundestrainer Julian Nagelsmann zu brauchen, denn der hat ihn, so Kroos, in „sehr gute Gespräche“ verwickelt. Und weil beide von derselben Agentur vertreten werden, konnte er Nagelsmann den Gefallen zur Stimmungsaufhellung wohl kaum abschlagen.
Toni Kroos: In Deutschland umstritten
Unter Vorgänger Hansi Flick hatte Kroos vorigen Sommer ein Comeback noch kategorisch ausgeschlossen und eine „gute Auslosung“ als größte Hoffnung für die anstehende Heim-EM bezeichnet. Es sei „sehr, sehr schwer, richtig optimistisch zu sein“. Seinen Ex-Mitspielern diagnostizierte er „Dahingekicke ohne großes Aufbäumen“.
Nicht nur wegen solcher Äußerungen ist sein Schritt zurück nun riskant. Trotz aller Erfolge ist Kroos in Deutschland nie unumstritten beliebt gewesen. Unter dem Spitznamen „Querpass-Toni“ wurde sein Spiel oft als Sicherheitsfußball belächelt. Die Weigerung, 2012 im Champions-League-Finale „dahoam“ einen Elfmeter für den FC Bayern gegen Chelsea zu schießen, galt als Ausweis von Feigheit. Und seine robuste Replik auf die „Scheißfragen“ des ZDF-Reporters Nils Kaben nach dem Endspielsieg 2022 mit Real Madrid hat ihm zwar einerseits Applaus eingetragen und mit dem Buch „Du hattest 90 Minuten Zeit“ sogar einen medialen Überraschungscoup. Aber eben doch auch wieder seinen Ruf untermauert als einer, der polarisiert.
DFB-Rückkehrer Kroos spielt starke Saison bei Real Madrid
Das Gute daran wohl: Kroos ist sein Image in Deutschland längst so egal, dass es ihn wahrscheinlich auch nicht kümmern würde, wenn es eine missratene EM so richtig ramponiert. Aber hat er überhaupt viel zu verlieren? Auch und gerade unter Nagelsmann bot die Nationalelf bei den Niederlagen gegen die Türkei und in Österreich ein solches Dahingekicke, dass er es nur besser machen kann.
Außerdem ist natürlich auch seiner Heimat nicht entgangen, dass Kroos, 34, bei Real eine vorzügliche Saison spielt. Seine majestätische Übersicht und sein so variables wie präzises Passspiel reißen die Beobachter zu Begeisterungsstürmen hin. Wie sein Klubkollege Antonio Rüdiger, ebenfalls persönlicher Comeback-Lobbyist, formulierte: Wer einer der Besten bei Real ist, ist allemal einer der Besten in Deutschland.
Freilich sind die Dinge auf dem Platz nicht immer ganz so einfach wie im Managerspiel. In Madrid etwa reüssiert er dieses Jahr auch deshalb noch mehr als gewohnt, weil sich die Spielerprofile im Mittelfeld so hervorragend ergänzen. Wo das altbewährte Techniker-Duo aus Kroos und Luka Modrić, 38, mittlerweile von den Gegnern überrannt werden würde, ist Modric nicht umsonst nur noch Ersatz. Das Dreier-Mittelfeld bildet Kroos in aller Regel mit Eduardo Camavinga und Federico Valverde, zwei technisch starken, aber auch physisch überwältigenden Allroundern.
Sie profitieren von Kroos’ Spielkultur im selben Maße wie er von ihrem Schutzschild. Wie ein Quarterback kann sich der Deutsche dadurch der Spielorganisation widmen. Wer ihm in der DFB-Elf in gleichem Maße assistieren könnte, erscheint auf den ersten Blick schleierhaft. Vielmehr wimmelt es dort eher vor ähnlichen als vor komplementären Profilen. „Die geringste Not“ in einer Mannschaft voller Nöte sah DFB-Sportdirektor Rudi Völler noch kürzlich auf der Position des Passmeisters von Real. Aber Nagelsmann und Kroos dürften auch das schon besprochen haben. Nur die Option Ersatzbank, die darf als inexistent gelten.
Kroos zurück im DFB-Team: „Bin definitiv nicht der Heilsbringer“
Die Geschichte hält zum Thema großer Mittelfeldspieler-Comebacks unterschiedliche Lehren bereit. Bei der DFB-Legende Lothar Matthäus ging es bei der WM 1998 als Libero ziemlich schief. Real-Ikone Zinédine Zidane hingegen hätte die Franzosen 2006 noch mal fast zum WM-Titel geführt. Toni Kroos wiederum hält zwar viel mehr für möglich, als die meisten gerade glauben – aber deshalb offenbar noch lange nicht viel. „Man darf nicht denken, dass wir durch diesen Kniff zum Favoriten werden, das ist Quatsch“, sagte er am Nachmittag: „Ich bin definitiv nicht der Heilsbringer.“