Schon Lars Wickenburgs Urgroßvater Eduard buk Brot, wo er es heute tut. Ausgeliefert wurde 1896 in Bochum aber noch: zu Pferd.
Lars Wickenburg ans Telefon zu bekommen, ist so gut wie unmöglich. „Backen“, erklärt der 44-jährige Bäcker freundlich, „ist ein just-in-time-Geschäft. Bloß weil’s klingelt, kann man nicht einfach alles stehen und liegen lassen.“ Weder Teig noch Torte. Die würden das nicht verzeihen.
Trotzdem stehen wir nun in seiner Backstube in Bochum, vor der ein roter Kastenwagen parkt. Schon Lars Wickenburgs Urgroßvater Eduard, der vor 122 Jahren die Bäckerei gründete, hat hier Teige geknetet. Ausgeliefert wurde anno 1896 aber noch – zu Pferd.
Es ist kurz nach elf, die sieben Bäcker der heutigen Schicht haben längst Feierabend. Ihr Chef sagt, er sei „inzwischen mehr Unternehmer als Bäcker“, müsse nicht mehr so früh raus wie sie. „Wenn nichts Besonderes anliegt, bin ich erst um vier in der Backstube“, gesteht Wickenburg. Vier Uhr früh meint er. Und es liegt oft Besonderes an: Von Mai bis September ist Hochzeits-Hochsaison; dann naht Weihnachten; Frühjahr ist Osterzeit.
„Ich wollte nie etwas anderes werden als Bäcker“
Im hinteren Raum der Backstube entstehen Kuchen, Torten, süßes Gebäck. Eine gigantische Küchenmaschine mit Schneebesen so groß wie Fußbälle zeugt von den Mengen, mit denen sie es hier zu tun haben. Der vordere Raum wird beherrscht von einer gewaltigen Holzplatte. Bis zu 8000 Brötchen und 400 Brote werden täglich gefertigt. Die beiden Öfen, in die Wagen voller Bleche mit Backwerk geschoben werden, sind jetzt leer; nur im „Garverzögerungsschrank“ schlummern Teiglinge für den nächsten Morgen.
Vater Bäcker, Großvater Bäcker, Urgroßvater Bäcker: Welcher Druck muss auf einem Jungen lasten, der in eine solche Familie hinein geboren wird? „Überhaupt keiner“, behauptet Lars Wickenburg, „ich wollte nie etwas anderes werden.“ Schon mit sechs – da wohnte die Familie noch direkt über der Backstube – habe er sich nachts heimlich nach unten geschlichen, um dem Vater „zu helfen“. In einer winzigen Bäckershose, seinem großen Stolz. Sesam und Mohn durfte er auf die Brötchen streuen und Brezel schlingen.
Nachwuchsprobleme
Am liebsten hätte er gleich nach der Mittleren Reife mit der Lehre begonnen. Doch die Eltern drängten ihn, Abitur zu machen. Er gehorchte, machte Abi – und dann die Ausbildung zum Bäcker und Konditor. Auswärts. Erst als Meister – nach Lehre, Studium (Betriebswirt) und Gesellen-Wanderjahren – kehrte Lars Wickenburg zurück in den Familienbetrieb. Als Bäcker in vierter Generation führt er ihn seit 2005. 40 Mitarbeiter gehören zum Team, zehn davon sind Bäcker, fast alle lange dabei.
Zwei Auszubildende arbeiten auch in der Backstube. Aber es sei schwer, Nachwuchs zu finden, bedauert Wickenburg. Dabei sei Bäcker ein vielfältiger Beruf, „keine stupide Arbeit“; und: „Es riecht immer so gut!“. Den Moment, da er sein erstes selbst gefertigtes Produkt, „ein knuspriges Roggenmischbrot“, in Händen hielt, nennt er heute „Erleuchtung“. Was ihm dagegen zu schafft macht? Die Bürokratie: von Allergen-Listen bis zur Fertigverpackungsverordnung – „Man kämpft an allen Fronten“!
„Backwaren kriegen Sie heute doch nachgeworfen“
Natürlich sei Bäcker auch ein körperlich anstrengender Beruf. Aber kein Männerberuf mehr, sagt Wickenburg, der selbst zwei Bäckerinnen beschäftigt. „Die müssen nur ein bisschen kernig sein“, es gebe so viele technische Hilfsmittel. Und Mehlsäcke dürften heute maximal 25 Kilo wiegen.
Alle zehn Tage aber werden fünf Tonnen Mehl in Wickenburgs Backstube angeliefert! Reichlich, glaubt man. Genug für mich, sagt Wickenburg. „Aber so gut wie nix für die Großbäcker“. Er selbst „lebt“ das traditionelle Handwerk, setzt auf beste, möglichst regionale (Bio-)Zutaten und eigene Rezepte. „Gutes Brot braucht vor allem Zeit“, findet der 44-Jährige. Das fange beim Rohstoff an. „Getreide muss man Platz und Zeit lassen.“ Backmischungen kommen ihm ebenso wenig ins Haus wie Zitrusaroma aus der Tüte oder Eiweiß-Brote („funktionieren nicht mit Müller-Mehlen“). Jeder seiner Brotlaibe sei von Hand geformt, der Sauerteig selbst angesetzt. „Wir backen wie die Hausfrau daheim, so traditionell wie möglich“, erklärt Wickenburg. „Das ist meine Existenzberechtigung!“
3,50 Euro kostet sein günstigstes Brot (750 Gramm), 35 Cent ein Brötchen. Andere sind billiger, gibt der Biobäcker zu: „Backwaren kriegen sie doch an jeder Ecke nachgeworfen. Wir müssen uns anders auszeichnen.“ Tatsächlich ist die Zahl der Bäcker in den vergangenen 60 Jahren von rund 55 000 (im alten Bundesgebiet) auf 11 347 (im heutigen Deutschland) gesunken. Dominierten um 1950 noch Familienbetriebe, sind es heute Großbäckereien mit vielen Filialen, in den nur noch verkauft, bestenfalls aufgebacken wird. „Mein Vater“, erinnert sich Wickenburg, „erzählte von 60 anderen Bäckern in Bochum. Heute sind wir noch zehn.“
„Meine Töchter müssen nicht Bäckerinnen werden“
Doch er ist zuversichtlich, dass das Handwerk überleben wird. Und was die eigene Bäckerei angeht? Nun, Töchter Maja und Greta, „müssen“ ebenso wenig wie einst er Bäcker werden, sie sollen ihren eigenen Weg finden. Auch wenn es „weh täte, wenn keine von ihnen den Betrieb weiterführt.“
Die Jüngere wird womöglich tatsächlich nicht Bäckerin... - sondern Konditorin. Die Zwölfjährige beglückte ihren Papa gerade mit der ersten ganz allein gebackenen Torte: einem Nuss-Kirschkuchen mit Happy-Birthday-Schriftzug drauf. „Und geschmeckt“, sagt Lars Wickenburg, „hat der auch noch“.