Essen. . Flottes Pointen-Pingpong: „Willkommen“ holt die Flüchtlingsdebatte auf die Bühne des Essener Grillo-Theaters.
Zum Krisengespräch am WG-Tisch gibt es Tiramisu und Schampus. Doch als Benny den Vorschlag macht, sein WG-Zimmer für ein Jahr an einen Flüchtling zu vergeben, ist es vorbei mit der gönnerhaften Gemütlichkeit. Mit „Willkommen“ holen Sarah Nemitz und Lutz Hübner die Flüchtlingsdebatte auf die Bühne. Weg vom Stammtisch, ran an den Küchentisch der linken Idealisten und liberalen Eliten. Aus dem müden Mahlstrom des „Lass-uns-mal-drüber-reden-Duktus“ machen die beiden zugespitzte, hochkomische Dialoggefechte, die dank ihrer dichten Pointensalven beim Publikum bestens ankommen.
Im Essener Grillo-Theater inszeniert Thomas Ladwig das Stück mit Timing, Tempo und klarem Bekenntnis zum Boulevard. Slapstick-Einlagen wie der Jonglage eines vollgekotzten Kochtopfs oder eines Beinahe-Balkon-Absturzes hätte es gar nicht bedurft, denn das hochtourig aufspielende Ensemble sorgt mit Verve dafür, dass kein Lacher verschenkt wird. Vor der Skyline von Essen (Bühne und Kostüme: Ulrich Leitner) darf hier jeder sagen, was ihn umtreibt. Die resolute Doro (grandios in ihrer schonungslosen Offenheit: Stephanie Schönfeld) sorgt sich im Angesicht der arabischen Zuzugs um die Errungenschaften von Feminismus und Popkultur und das Nacktsonnenbaden auf der Dachterrasse. Bankbetriebswirt Jonas (geschmeidiger Mitläufer: Stefan Figge) fürchtet um seine Ruhe. Henriette Hölzels nervöse Studentin Anna dient der Gruppe als Spielball intellektueller Überlegenheit, bis die Ankündigung ihrer Schwangerschaft und der neue, türkische Freund Achmed die Debatte auf den Kopf stellen.
Dass Achmed (mit charmanter Direktheit: Halil Yavuz) „Kanaken“ zu seinen Jungs von der Duisburger Fahrradwerksatt sagt, bringt die hypersensible Künstlernatur Sophie (herrlich verhuscht: Silvia Weiskopf) aus dem Gleichgewicht. Zumal ihr der Auszug des Ex-Lovers Benny (souverän als progressiver Kopf mit flexiblen Prinzipien: Jan Pröhl) noch in den Knochen steckt.
Überdrehte Klischees, reflektierte Ressentiments und Diskussionen ohne Zeigefinger: Wenn Hübner und Nemitz dem Pubikum dem Spiegel vorhalten, dann kann man darin die zwei Gesichter einer Gesellschaft zwischen moralischem Weltverbesserungs-Furor und Wohlstands-Egoismus erkennen. Der Widerspruch als deutscher Seins-Zustand. Wer keine Lösungen zur Hand hat, darf hier zumindest beim flotten Pointen-Pingpong Punkte sammeln. Statt eines Flüchtlings gehört das freie Zimmer am Ende der Tischtennisplatte. Langer Applaus für eine gefeierte Ensemble-Leistung.