Dortmund. Weil der Brandschutz vorgeht, mussten am Donnerstag 750 Bewohnereiner Hochhaussiedlung ihre Wohnungen verlassen. „Schwachsinn“, finden viele.

Ein Köfferchen hat er mitgenommen. „Nur Klamotten zum Wechseln“, sagt Fred Weinstein (Name geändert). Für sich und seine Frau. „Ging ja alles Hals über Kopf am Donnerstag.“ Einkaufen waren sie am Nachmittag, und als sie heimkamen zum „Hannibal II, dem größten Wohnhaus Dortmunds, da riefen ihnen die Nachbarn schon entgegen: „Raus raus, raus, wir müssen alle raus.“ Verstoß gegen den Brandschutz. Wie viele andere sind die Weinsteins bei Freunden untergekommen in der Nacht. Der 62-Jährige macht sich aber keine Illusionen: „Das geht vielleicht noch ein oder zwei Tage, wir sind ratlos.“

Übernachten in der Turnhalle

So wie die meisten der 753 Bewohner von Hannibal II. „Wann können wir zurück?“ fragen sie Feuerwehrleute oder die Mitarbeiter des Sozialamtes, die gestern morgen zum Haus und in die Helmut-Körnig-Halle gekommen sind, in der Hilfsdienste 500 Feldbetten und Bierzeltgarnituren aufgebaut hatten und wo es warmes Essen und kühle Erfrischungen gab. 130 Menschen sind gekommen, „und die Nacht war ganz in Ordnung“, sagt eine 44-Jährige. „Trotzdem möchte ich so schnell wie möglich wieder in meine Wohnung.“

Schnell aber wird nicht funktionieren. „Kurzfristig“ sei ein Wiederbezug der 412 Wohnungen nicht möglich, stellt Ludger Wilde klar, der Leiter des eilig einberufenen Krisenstabes. Von mehreren Monaten ist mittlerweile die Rede. Und das auch nur, wenn der Eigentümer, die Berliner Intown GmbH, schnell reagiert. Wonach es derzeit nicht aussieht. Im Gegenteil: Intown Geschäftsführer Sascha Hettrich hält die Evakuierung für „nicht rechtens, für unangemessen und ermessensfehlerhaft“.

Bewohner dürfen nicht allein in ihre Wohnungen

Wilde dagegen spricht von „eklatanten Mängeln“ und zählt auf: Nicht genehmigte Umbauten, vermüllte Tiefgarage, zugestellte Rettungswege. Macht alles zusammen „akute Gefahr“. Deshalb habe man am Donnerstag auch so schnell handeln müssen. Viele Bewohner bezweifeln das. „Alles Schwachsinn“, sagen sie gestern Mittag vor dem Haus. „Brandwachen aufstellen und die Tiefgarage sperren, hätte auch gereicht“, glaubt Merkan (29). Zumindest für ein paar Tage. „Dann hätten wir wenigstens in Ruhe packen können. Ich hatte gerade mal dreißig Minuten.“ Vielen anderen sei es ähnlich gegangen.

Deshalb stehen sie nun auch vor dem großen Terrassenhaus und wollen noch einmal in die Wohnung. Anmelden müssen sie sich dafür, und ein Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes muss sie begleiten. Doch der ist unterbesetzt und überfordert. Mehr als eine Stunde müssen Bewohner warten, bis sie an der Reihe sind. „Immer nur ein Familienmitglied und nur zehn Minuten“, sagt ein Wachmann. „Was soll ich denn in der Zeit einpacken?“, fragt einer der Wartenden. Die Stimmung wird schlechter, die Lage eskaliert. Mehrere Männer machen sich mit dem Satz „Ich kann in meine Wohnung, wann ich will“ auf den Weg ins Haus. Die Polizei läuft hinterher und führt sie wieder hinaus.

Stadt sucht dringend Wohnersatz für Bewohner

Schlösser werden ausgewechselt, Wohnungstüren versiegelt. Erst als die Stadt mehr Mitarbeiter schickt, entspannt sich die Lage. Ein Ehepaar bleibt unzufrieden. Das Licht in ihrer Wohnung haben sie bei der eiligen Evakuierung angelassen und weil die Behörden daraus schlossen, es sei noch jemand zu Hause, haben sie die Tür eingetreten. „Die will ich ersetzt haben“, sagt der Mann. „Alles Mist hier.“

Das Dortmunder Sozialamt sucht derweil dringend „temporäre Wohnformate“. Doch die sind knapp. 59 Wohnungen hat die Stadt selber frei, dazu kommt eine gestern noch unbekannte Zahl von Wohnungen, die Wohlfahrtsverbände und private Unternehmen bereitstellen. Reichen die nicht aus, will die Stadt ehemalige Flüchtlingsunterkünfte reaktivieren. Die seien, sagt Sozialamtsleiter Jörg Süshardt „nicht luxuriös, aber menschenwürdig“.