Berlin. . In Deutschland leiden rund vier Millionen Menschen unter einer von rund 8000 seltenen Erkrankungen. Die Betroffenen fallen häufig durch das Netz der medizinischen Versorgung: Ärzte tun sich schwer, die richtige Diagnose zu finden, und eine geeignete Therapie gibt es häufig noch nicht. Der Tag der Seltenen Erkrankungen am 28. Februar macht auf diese „Waisen der Medizin“ aufmerksam.
In Deutschland leiden rund vier Millionen Menschen unter einer von rund 8000 seltenen Erkrankungen. Die Betroffenen fallen häufig durch das Netz der medizinischen Versorgung: Ärzte tun sich schwer, die richtige Diagnose zu finden, und eine geeignete Therapie gibt es häufig noch nicht. Der Tag der Seltenen Erkrankungen am 28. Februar macht auf diese „Waisen der Medizin“ aufmerksam.
Eine neue Kooperation zwischen neun universitären Zentren für die Versorgung dieser Patienten soll nun ihre Situation verbessern. Das Projekt „Translate Namse“ startet im April. Dafür stehen Fördergelder in Höhe von rund 13,5 Millionen Euro für drei Jahre zur Verfügung.
Wann ist eine Erkrankung selten?
Als selten gilt eine Erkrankung in der EU, wenn nicht mehr als fünf von 10 000 Menschen davon betroffen sind“, erklärt Dr. Corinna Grase-mann vom Zentrum für Seltene Erkrankungen des Universitätsklinikums Essen. Zwar leiden darunter jeweils nur wenige Patienten, doch deren Anzahl ist beträchtlich. „Es gibt bis zu 8000 seltene Erkrankungen, das heißt, allein in Deutschland sind insgesamt schätzungsweise vier Millionen Menschen betroffen“, sagt Dr. Christine Mundlos, Mitarbeiterin des Patientennetzwerks Achse (Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen).
Die Schwierigkeiten der Patienten ähneln einander: Es gibt wenige Ärzte, die sich auf die Suche nach der Ursache der Erkrankung machen. Deshalb dauert es oft lange, bis eine Diagnose feststeht – „und dann sind die Therapien vielfach nicht optimal“, ergänzt Grasemann.
Wer ist betroffen?
„Bei mindestens 80 Prozent der seltenen Erkrankungen handelt es sich um genetische Fehlentwicklungen, das heißt, sie sind angeboren und fallen in der Regel im Kindesalter auf. Diese Krankheiten schränken die Lebensqualität oft dauerhaft ein, und Betroffene können früher daran sterben“, erläutert Annette Grüters-Kieslich, Direktorin der Kinderklinik an der Berliner Charité und Koordinatorin des Projektes „Translate Namse“.
Warum ist die Therapie häufig so schwierig?
Einerseits sind Mechanismen hinter den Krankheiten in vielen Fällen nicht hinreichend erforscht. Andererseits gibt es häufig kein Medikament zur Behandlung. Denn wenn Pharmafirmen sogenannte Orphan-Drugs – also Waisenkinder unter den Arzneimitteln – entwickeln wollen, tun sie das für eine kleine Gruppe Betroffener. Aus wirtschaftlicher Sicht ist das nicht lukrativ. Auch von der Wissenschaft wird die Forschung an seltenen Erkrankungen nicht als lohnend angesehen.
Um den Anreiz für Pharmaunternehmen zu erhöhen, gilt seit dem Jahr 2000 die EU-Verordnung über Arzneimittel für seltene Leiden. Darin wird den Herstellern unter anderem das Alleinvertriebsrecht des Medikaments für bis zu zehn Jahre eingeräumt. Laut Bundesgesundheitsministerium waren am 1. April 2015 82 Arzneimittel zugelassen, zehn davon hatten zwei oder mehr Anwendungsgebiete. Ausgehend von mehreren Tausend Krankheiten, ist das nicht viel.
Wer stellt die Diagnose und plant eine Therapie?
28 Zentren für seltene Erkrankungen gibt es in Deutschland, sie sind meist an Universitätskliniken angegliedert und haben unterschiedliche Schwerpunkte. „Neun dieser Zentren, darunter diejenigen in Berlin und Essen, wollen jetzt exemplarisch einen Aktionsplan in die Tat umsetzen“, sagt Grasemann vom Universitätsklinikum Essen. Bisher fehlte das Geld für die aufwendige Betreuung der Patienten, jetzt hat der Gemeinsame Bundesausschuss – oberstes Beschlussgremium der Selbstverwaltung der Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland – 13,5 Millionen Euro für drei Jahre bewilligt.
Sie beschreibt das Prozedere: „In den Zentren wenden sich die Patienten zunächst an einen Lotsen. Er stellt die Unterlagen und Befunde des behandelnden Arztes zusammen und bespricht in einem Expertengremium, in welchem der kooperierenden Zentren Expertise vorhanden ist.“ Spezialisten verschiedener Fachrichtungen finden sich dann in Konferenzen zusammen, um die Ursache der Erkrankung immer weiter einzukreisen.
Christine Mundlos von der Patientenorganisation Achse ist dankbar, dass auf diese Weise eine strukturierte Betreuung möglich werden kann: „Die Menschen haben Ansprechpartner und stehen nicht allein da. Sie erfahren, ob die Erkrankung selten ist und ob sie behandelt werden kann.“ Selbst wenn es noch keine Erkenntnisse gebe, könne sich dies in einigen Jahren ändern.
Diese Hoffnung teilt auch Annette Grüters-Kieslich und fügt an: „So finden Kinder mit seltenen Erkrankungen endlich ihren Platz im Gesundheitssystem.“ Ein weiteres Anliegen von „Translate Namse“: die lebenslange Betreuung gemeinsam mit den Haus- und Fachärzten zu sichern, die Patienten mit seltenen Erkrankungen behandeln.