Berlin. Von wegen staubiges Schullandheim: Wie das Konzept Jugendherberge künftig funktionieren kann, zeigt ein Haus am Berliner Ostkreuz.
Den lauwarmen Hagebuttentee aus der Blechkanne, das Wahrzeichen der deutschen Jugendherbergen, gibt es hier nicht mehr. Am Berliner Ostkreuz bekommt man stattdessen Cappuccino aus dem Vollautomaten, gereicht auf einem silbernen Serviertablett - Glas Wasser und Keks inklusive.
Das Deutsche Jugendherbergswerk (DJH) will weg vom angestaubten Schullandheim-Image. Einen möglichen Weg in die Zukunft zeigt eine topmoderne Herberge am Berliner Ostkreuz.
Den Gästen scheint es zu gefallen: 41.500 Übernachtungen zählte das DJH in den ersten sechs Monaten seit Eröffnung im Juli vergangenen Jahres. Damit war die mit 345 Betten größte Jugendherberge Berlins, dazu die drittgrößte Deutschlands, zu etwa 80 Prozent ausgelastet. Auch das Ziel von 92.500 Übernachtungen im ersten Betriebsjahr wird wohl erfüllt, ein Großteil der Betten ist laut Herbergsleiter Andreas Scheuring bereits ausgebucht.
Hohe Wände in hellen Tönen
Zwei seiner Gäste sind jedenfalls sehr angetan von der neuen Herberge, auch wenn sie gerade erst angereist sind. "Ich bin überrascht, wie schön modern das Haus eingerichtet ist - und wie riesig", sagt Sven (37). Er und seine Frau Barbara (34) sind zum ersten Mal hier. Sie sitzen im topmodern möblierten Herbergs-Café mit Blick in den Garten. Zusammen mit ihren Töchtern übernachten die beiden oft in Jugendherbergen. Es gebe zwar auch anderswo hübsche Häuser, aber das am Ostkreuz steche schon hervor, sagen sie. Einziger Haken: "Unsere Zimmer liegen an der Seite zum S-Bahnhof, das wird bestimmt laut", meint Barbara. Das sei der Preis, den man für die zentrale Lage in Kauf nehmen müsse, sagt Scheuring: "Wir sind hier halt nicht am Wannsee, sondern in der Stadt."
Viel erinnert in der Herberge in der Tat nicht mehr an das Klischee von Hochbetten, quietschendem Linoleumfußboden und abgegriffenen Tischtennisplatten. Eher fühlt man sich an ein Design-Hotel erinnert: Hohe Wände in hellen Tönen, schlichte, moderne Möbel, ein edel aussehender Holzfußboden.
Auch von außen macht die Herberge Eindruck: Der weitläufige Gebäudekomplex wurde in den ersten Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Stil der märkischen Backsteingotik errichtet. Erst beherbergte er ein Gymnasium, zu DDR-Zeiten dann eine Ingenieurschule. Ab 2009 stand das Haus leer, ehe 2014 der Umbau zur Jugendherberge begann. Weil der DJH-Landesverband Berlin-Brandenburg die Kosten von rund elf Millionen Euro nicht allein stemmen konnte, schlossen sich sieben weitere Landesverbände und das Bundes-DJH zusammen und finanzierten den Umbau gemeinsam aus Eigenmitteln.
Keine Gemeinschaftstoiletten
Herausgekommen ist ein "Leuchtturmprojekt", wie Betriebsleiter Scheuring sagt. Wenn man ihn Herbergsvater nennt, muss er lachen. Die alten Zeiten sind vorbei: "Hier gibt es keine Gemeinschaftstoiletten mehr, Hochbetten sind die Ausnahme." Die Ansprüche der Gäste hätten sich im Lauf der Jahrzehnte eben gewandelt. "Auch wir müssen mit der Zeit gehen", sagt Scheuring. Das bedeutet freies WLAN, Seminarräume - etwa für den Deutschen Olympischen Sportbund, der hier Trainer schulte.
Dass hier eine "Jugendherberge 2.0" entstanden ist, gefällt allerdings nicht jedem: Die Hostel-Kette A&O, die deutschlandweit 26 Häuser mit rund 20.000 Betten betreibt, klagte im vergangenen Jahr vor dem Berliner Verwaltungsgericht. Sie wirft Berlin unlauteren Wettbewerb vor. Denn das Land überließ dem DJH das Gelände am Ostkreuz kostenlos, 30 Jahre lang muss der Herbergsverband keine Pacht zahlen.
Die Vorwürfe sieht man beim DJH gelassen. In Konkurrenz zu Hostels stehe man ohnehin nicht, sagt Andreas Scheuring: "Rucksacktouristen sind nicht unsere Zielgruppe." Stattdessen wollen die Jugendherbergen neben Schulkassen eher Familien anlocken. Ein Indoor-Spielplatz, der weitläufige Garten mit Klettergerüsten, besondere Familienprogramme zur Oster- und Adventszeit sollen die Attraktivität steigern. Bisher geben die Zahlen den Betreibern recht: Mehr als die Hälfte aller Übernachtungen buchten Familien, ein viel höherer Anteil als in anderen Herbergen. Den Hagebuttentee dürften die wenigsten vermissen. (dpa)