Bochum. . Dr. Matthias Schmidt leitet an der Bochumer Uni einen Kurs zum Thema Tierversuche. Nicht alle Teilnehmer halten bis zum Ende durch.
Die weißen Gummihandschuhe können kaum verdecken, wie sehr die Hände der jungen Frau zittern, als sie in den Käfig greift. Die Biologie-Studentin im Schutzkittel hat gehörigen Respekt vor dem kleinen Tier, das sie erschrocken ansieht. Während sie die Spritze mit dem Narkotikum in Richtung Bauchraum führt, redet sie der Versuchsmaus gut zu. Für die 26-Jährige ist es die erste Operation am lebenden Tier. „Ganz ruhig“, murmelt sie und sticht die Nadel durch das weiße Fell.
Praktikumstag mit Sterilisation
Tiere richtig unterbringen, spritzen, operieren und Wunden versorgen – das Tierschutzgesetz fordert, dass angehende Wissenschaftler, die mit Versuchstieren arbeiten wollen, das in einem Zertifikats-Kurs lernen. Für die etwa 25 Masterstudenten und Doktoranden der Ruhr-Universität ist es ein Seminar, das viele an ihre Grenzen bringen wird. Kursleiter Dr. Matthias Schmidt (58) ist der Tierschutzbeauftragte der Hochschule. Er weiß, mit welchen Fragen sich die jungen Wissenschaftler beschäftigen. In seinem Kurs müssen sie darüber ausführlich sprechen: über Tierethik, Gesetze, das Töten im Auftrag der Wissenschaft. Und sie müssen es üben. Jeden Aspekt der Versuchstierhaltung sollen sie beherrschen, um Tiere später nicht unnötig zu quälen. Heute, beim Praktikumstag, also der erste richtige Eingriff: eine Sterilisation.
Mittags hat die Gruppe noch an alten Lappen die Nähtechnik für den Wundverschluss geübt. Jetzt, da vor den Teilnehmern Mäuse rücklings auf den mit sauberen Papiertüchern abgedeckten Tischen liegen, sind alle in sich gekehrt. Ob die Maus wirklich gut betäubt ist, nichts mehr spürt? Eine Masterstudentin fühlt sanft an dem winzigen Krallen, ob das Tier noch zuckt. Mit einem Rasierer entfernt sie vorsichtig das Fell am Bauch. Als nächstes müsste sie die Bauchdecke der Maus leicht zusammendrücken und mit der Schere einen Schnitt in die Falte setzen. Schmidt und seine Kollegen gehen mit prüfendem Blick durch die Reihen. Die Studentin atmet durch. „Am lebenden Tier ist es doch etwas anderes.“ Sie greift mit der linken Hand die Bauchfalte, mit der rechten setzt sie die Schere an. „Schon sehr gut, aber da können sie noch etwas tiefer schneiden“, rät der Dozent. Als der Samenleiter durchtrennt und die Wunde behutsam zugenäht ist, weicht die Anspannung. Zurück bleibt die Frage: Werden die Mäuse wohlbehalten aufwachen? – Noch verdrängen die Studenten, dass die Tiere am nächsten Tag mit einer Überdosis Narkosemittel eingeschläfert werden. Denn auch das sollen sie üben: das fachgerechte Töten, so wie es das Gesetz vorschreibt.
Der Weg zum Labor ist nicht ausgeschildert
Als Doktorandin will eine der Teilnehmerinnen im Bochumer Bergmannsheil eine klinische Studie zur Knochenregeneration beginnen. Andere werden im Tierversuchslabor direkt auf dem Campus arbeiten. Hier findet vor allem neurowissenschaftliche Grundlagenforschung statt – an Mäusen und Ratten, auch an Fischen und Tauben wird experimentiert. Der Weg zu den Laboren ist nicht ausgeschildert.
Wer den Raum mit den Aquarien der Zebrafische betreten will, muss Plastikschützer über die Schuhe ziehen. Nebenan werden Mäuse und Ratten gehalten. Das Schild „S1“ an der Tür zeigt an: Hier ist ein Sicherheitsbereich. Zutritt nur für geschulte Mitarbeiter. Beim Blick durch die Tür sieht man Käfige in einer Art Regalsystem. Die junge Frau, die gerade den Raum betritt, ist als Biologisch-technische Assistentin in der so genannten „Erhaltungszucht“ beschäftigt. Sie kontrolliert die Vermehrung der genetisch veränderten Mäuse. Eine solche Zuchtlinie müsse als Tierversuch angemeldet werden, so Matthias Schmidt. Wenn möglich, arbeite man mit anderen Universitäten zusammen, statt selbst neu zu züchten. Längst aber gibt es auch einen kommerziellen Markt mit Versuchstieren. „Das Jackson Laboratory aus den USA ist da führend“, so Schmidt. Wie in einem Warenhauskatalog können Mäuse mit hunderten verschiedener Genmanipulationen bestellt werden. Wahlweise werden sie „operiert“ geliefert: Die Kastration gibt es für rund 32 Dollar Aufschlag, einen Katheter an der Halsvene für 100, Zugänge zum Gehirn sind teurer. Mäuse als Ware, mit einem Leben allein für die Forschung.
In der Kühltruhe lagern die Kadaver
Ein Tier, das einmal im Labor gelandet ist, wird es lebend nicht verlassen: Veränderte Gene oder Krankheitserreger sollen nicht in die Umwelt gelangen. In einer Kühltruhe am Eingang zum Versuchslabor lagern die Kadaver. Regelmäßig werden sie zur Verbrennungsanlage gebracht.
Nicht jeder kann das mit seinem Gewissen vereinbaren. Seminar-Abbrecher sind nicht selten, sagt Schmidt: „Es gibt immer wieder Teilnehmer, die sagen: ,Ich habe jetzt viele Einblicke bekommen, ich möchte nicht weitermachen.’“ Auch dafür habe er Verständnis.
>> Ethisch umstritten: Argumente für und wider Tierversuche
Tierschützer haben beim Thema Tierversuche keine einheitliche Position: Peta lehnt sie grundsätzlich aus ethischen Gründen ab. Der Deutsche Tierschutzbund hingegen kritisiert zwar den Einsatz von Tierpräparaten zu Unterrichtszwecken im Studium, nicht aber wissenschaftliche Versuche, die „bisher ungeklärte Fragestellungen“ beantworten.
Ethische Positionen zum Thema Tierversuche müsse jeder mit sich selbst ausmachen, meint Dr. Matthias Schmidt. „Wenn jemand sagt: ,Tierversuche halte ich generell nicht für ethisch vertretbar’, dann kann ich dagegen mit Argumenten nicht ankommen.“
Laute der Vorwurf aber ,Tierversuche sind überflüssig, weil es andere Methoden gibt’, könnten Forscher gegenargumentieren. Bei jedem Antrag auf Zulassung eines Tierversuchs müsse darauf geachtet werden, dass es keine Alternativengebe.„Wenn ein Tierversuch ersetzt werden könnte, wird er nicht genehmigt und findet nicht statt“, sagt Schmidt, der als Tierschutzbeauftragter diese Frage prüfen muss – genauso wie die Behörden. „Die Frage, die man sich konsequenterweise stellen muss, ist: Möchte ich solche Versuche lieber an Menschen machen oder möchte man Tiereverwenden, solange das möglich und nötig ist?“