Hamburg (RS).
- Sie hatten vor dem Anpfiff alles versucht in der Hansestadt. Hatten die große Vergangenheit beschworen, die beim Hamburger Sportverein ja insbesondere von Uwe Seeler verkörpert wird. Zum 80. Geburtstag gab es eine Torte, viele warme Worte und ein Ständchen von den Fans.
Eine halbe Stunde später sangen die HSV-Anhänger wieder, aber es waren keine freundlichen Worte mehr: „Außer Uwe könnt ihr alle gehen“, schallte es von den Tribünen des Volksparkstadions – denn nach 27 Minuten hatte Borussia Dortmund schon drei Tore geschossen gegen völlig indisponierte Hamburger. 5:2 hieß es am Ende für den BVB. Die ersten vier Tore hatte Pierre-Emerick Aubameyang, der es offenbar besonders eilig hatte, nach seiner Suspendierung für das Champions-League-Spiel gegen Sporting Lissabon Wiedergutmachung zu betreiben. „Ich bin sehr glücklich, weil wir gewonnen haben“, freute sich der Torjäger. „Wir hatten vorher etwas Druck, nach vier sieglosen Spielen, da war es wichtig, zu gewinnen.“
Es wurde den Dortmundern aber auch nicht allzu schwer gemacht. Selbst Seeler, dessen Sorgen um den HSV fast sprichwörtlich sind, hätte wohl nicht damit gerechnet, dass sein HSV derart viele Gastgeschenke verteilen würde und eine derart desolate Vorstellung präsentieren könnte. Los ging es schon in der vierten Minute: Emir Spahic grätschte Christian Pulisic im HSV-Strafraum rüde und rotwürdig um. Die Dortmunder Proteste blieben nur aus, weil Pulisic bereits auf Emre Mor abgelegt hatte, weil Rene Adler Mors unplatzierten Schuss hatte abklatschen lassen und weil Aubameyang locker einschieben konnte. Jubel, Salto und eine innige Umarmung mit Trainer Thomas Tuchel – zumindest nach außen war die Dortmunder Welt an diesem Samstagnachmittag schnell wieder in Ordnung.
HSV in allen Belangen unterlegen
„Das war eine gut strukturierte Leistung“, lobte BVB-Sportdirektor Michael Zorc. „Es war etwas anders als sonst, wir haben den Kampf angenommen und die Tore zum richtigen Zeitpunkt gemacht.“
Und der HSV tat wenig, um die gute Laune zu trüben. Ob technisch, taktisch oder in der Zweikampfführung – in allen Belangen des Fußballspiels präsentierten sich die Hausherren desolat und waren dem Vizemeister völlig unterlegen. „Der HSV hat uns unterstützt, das muss man auch sagen“, so Zorc. „Das eine oder andere Tor wurde unter Mithilfe der Abwehr gemacht und wir mussten es nur noch vollenden.“
Jeder lange Ball der Dortmunder brachte die neuformierte Hamburger Abwehrkette in arge Schwierigkeiten – wenn sie das nicht gleich selbst übernahm: 23 Minuten waren gespielt, da geriet Johan Djourous Rückpass viel zu kurz. Mor sprintete dazwischen und legte frei vor dem Tor ab auf Aubameyang, der erneut nur noch einschieben musste.
Und wenig später war es ein Kopfball von Marc Bartra, der die gesamte Hamburger Defensive überraschte und komplett aushebelte. Aubameyang lief Djourou und Spahic locker davon und Adler ließ den weder besonders hart noch platziert geschossenen Ball von der Strafraumgrenze passieren (27.). „Absteiger, Absteiger!“, skandierten die BVB-Fans und niemand mochte so recht widersprechen.
Konstruktive Hamburger Angriffe gab es erst kurz vor der Halbzeit: Zweimal konnte Dennis Diekmeier über die linke Dortmunder Abwehrseite durchbrechen und flanken, zweimal konnte Nicolai Müller köpfen – zunächst am Tor vorbei (41.), dann in die Arme von Roman Bürki (45.+1).
Nach der Pause das gleiche Bild: Der BVB musste kaum etwas tun, um zu Torchancen zu kommen. Spahic vertändelte gegen Pulisic, der bediente Aubameyang mustergültig – 4:0 (48.). Die HSV-Fans reagierten mit Galgenhumor und ließen die Welle durchs Stadion schwappen.
BVB trotz klarem Ergebnis mit einigen Schwächen
Doch auch der BVB hat in dieser Saison nicht die stabilste aller Abwehrreihen, das bewies er in der 55. Minute: Zwei verlorene Kopfballduelle im Mittelfeld – und schon tauchte Müller völlig frei vor Bürki auf und erzielte das 1:4 aus Hamburger Sicht. Und tatsächlich wackelte der BVB noch einmal, Michael Gregoritsch traf – doch das Tor wurde wegen eines Zupfers an Matthias Ginter nicht gegeben (60.). Etwas glücklich für Dortmund – wie wenig später, als Bürki Luca Waldschmidt anschoss, der Ball aber ins Toraus trudelte (62.).
Ob aus Verunsicherung ob des Gegentreffers, ob aus einem trügerischen Gefühl der Sicherheit heraus: Die Dortmunder stellten das Fußballspielen weitgehend ein und riskierten für kurze Zeit, das Spiel noch einmal spannend werden zu lassen.. Tuchel reagierte, brachte Ousmane Dembélé und André Schürrle für Mor und den starken Pulisic (69.). Es dauerte sieben Minuten, bis sich dies auszahlte: Aubameyang legte ab auf Dembélé und der schlenzte den Ball frei vor Adler ins lange Eck.Müllers Fernschuss zum 2:5 (81.) war nun wirklich nicht mehr als Ergebniskosmetik. BVB-Coach Thomas Tuchel zeigte sich nach dem Spiel zufrieden mit der Leistung seiner Mannschaft, weiß aber auch um viel Arbeit, die seine Schützlinge in den kommenden Wochen erwartet. „Wir haben eine sehr gute, bissige erste Halbzeit gespielt. Nach der zweiten Halbzeit mit 14:10 Torschüssen für den HSV und nur noch rund 50 Prozent Ballbesitz für uns ist das Ergebnis sicherlich etwas zu hoch ausgefallen. Man sieht, dass bei uns etwas die Form fehlt, und dass es viel gibt, an dem wir arbeiten müssen. Heute ist aber nicht der Zeitpunkt für eine Generalkritik. Ich bin sehr zufrieden,“ berichtete er und fügte hinzu: „Wir haben heute – und das machen wir sonst nie – das Ergebnis in den Mittelpunkt unserer Spielvorbereitung gestellt. Wir wussten um die lange Serie, in der wir nicht gewonnen haben, jetzt Länderspielpause ist und danach Bayern München zu uns kommt. Darauf wollen wir uns nun vorbereiten.“