Düsseldorf.

Auf den ersten Blick scheint im Atelier von Günther Uecker ein heilloses Durcheinander zu herrschen. Grafik-Blätter liegen überall verstreut auf dem Boden, Kataloge und Zeitschriften stapeln sich auf vielen Stühlen in dem ehemaligen Speicher im Düsseldorfer Medienhafen. Aquarelle lehnen an Wänden und Stützpfeilern.

Im eigentlichen Werkraum Ueckers ein Stockwerk höher muss man sich den Weg durch enge Gassen bahnen, vorbei an Kisten voller Fotos und Bilder, Nagelwerken, mit Tüchern verbundenen Holzscheiten, Werkzeugregalen, gerollten Plakaten und verpackten Bildern jeglicher Größe.

Drei Jahre Zeit

In nur drei Jahren soll die Kunsthistorikerin Florence Thurmes nun im Auftrag der Kunstsammlung NRW ein Werkverzeichnis des Universalkünstlers Uecker (86) erstellen. Auf mehr als 5000 Nagelreliefs, Gemälde, Grafik, Skulpturen und Installationen schätzt Uecker sein Werk seit den 50er Jahren. Anfang der 80er Jahre wurde schon einmal ein Werkverzeichnis vorgelegt, das nur gut 1000 Arbeiten enthielt. Heute hängen Ueckers Werke in privaten Wohnzimmern, Sammlungen und Museen rund um die Welt, und einen Teil bewahrt er in Lagern auf.

„Wir sind ganz am Anfang“, sagt Thurmes. „Und wir stehen vor einem Berg.“ Derzeit sichtet Kunsthistorikerin für das Forschungsprojekt im Auftrag der Kunstsammlung NRW rund 1000 Kataloge, die nach Jahren aufgereiht in Regalen in Ueckers Atelier stehen. Thurmes ist gerade im Jahr 1961 angekommen.

Werkverzeichnisse ermöglichen die Zuordnung eines Werks zum Oeuvre eines Künstlers. Das ist in Zeiten der massiven Kunstfälschungen besonders wichtig. Ueckers Werkverzeichnis solle nicht nur eine „Tiefenbohrung“ der Forscher sein, sondern auch als Referenz zur Prüfung der Echtheit der Werke Ueckers dienen, sagt Kunstsammlungs-Direktorin Marion Ackermann. Rund ein Dutzend Fälschungen hat Uecker nach eigenen Worten schon aus dem Verkehr gezogen. Es gebe Hinweise, dass es nur ein oder zwei Fälscher seien, die sich auf Werke von ihm spezialisiert hätten, sagt er.

Die Fälscher haben aber offensichtlich nicht mit dem ausgezeichneten Erinnerungsvermögen Ueckers gerechnet. „Er weiß alles, er hat ein besonderes Gedächtnis“, sagte seine Ehefrau Christine. Beim näheren Hinsehen erkennt man, dass auch im Atelier alles seinen Platz hat. Familie Uecker hat zum Beispiel in sauber beschrifteten Kästen Fotos aller wichtigen Kunstwerke Ueckers archiviert: Bodenplastik 1969, Nagelecke 1974, Raumlinien 1970-72 ist auf ihnen zu lesen.

Problematisch für die Forscher ist allerdings, dass Uecker sich nie an nur einen Galeristen band und dass seine Werke in rund 60 Ländern gezeigt wurden. „Da wird noch einiges kommen, was wir gar nicht wissen“, sagt Ackermann. Werkverzeichnisse erschienen zwar „trocken“, aber in diesem Fall müsse Thurmes „um die ganze Welt fliegen“.

Auch die ideale Software zur Verarbeitung der Tausenden Werkinformationen und Fotos muss noch gefunden werden. Denn das Werk Ueckers wird digital erfasst, wie es heute üblich ist. Aber auch ein Buch ist geplant. Darauf besteht vor allem auch Uecker. Die Vielzahl der Blätter und Werke sei „erst einmal verwirrend“, sagt er über sein Atelier. „Es ist ein Labyrinth über Tage und Jahre.“ Doch es sei „ein Glücksfall, dass ich mich so gut erinnere und Zeugnis ablegen kann"“

Jeden Tag arbeitet Uecker an neuen Werken. Weiße Tücher hängen zur Zeit in seinem Werkraum. Damit will Uecker die Stellen am Ostseestrand bedecken, wo er als 14-Jähriger 1945 die angeschwemmten Leichen des zerbombten Flüchtlingsschiffes „Cap Arcona“ auf Befehl der Sowjets verscharrte. Dieses tiefgreifende Trauma lässt ihn bis heute nicht los.