Essen (RS) - Mit einem fulminanten Auftritt bei der Essener Hallenstadtmeisterschaft hat der Gehörlosen- Turn- und Sportverein 1910 Essen für Furore gesorgt. Das erste Halbjahr im regulären Spielbetrieb des Fußballverbandes Niederrhein verlief aber nicht immer erfreulich.


Den Auftakt in der Halle hatten sich die Fußballer des GTSV Essen anders vorgestellt. Etwas unglücklich ging die Partie gegen TuS Helene mit 2:3 verloren. Während die Akteure vor den rund 1000 Zuschauern in der ausverkauften Bergeborbecker Sporthalle nervös wirkten, verschränkte Sebastian Laubner die Arme. Trotz der Niederlage blieb er nahezu still. Und das hat einen guten Grund. Denn als Trainer des Gehörlosen- Turn- und Sportvereins 1910 Essen kommt er mit lautstarken Anweisungen nicht weit. Diese Erfahrung hat der Linienchef, der lange Jahre beim SuS Haarzopf und in der Jugend des VfB Frohnhausen tätig war, im seinem ersten halben Jahr beim GTSV gemacht. „Daran musste ich mich erst gewöhnen. Das kannte ich vorher nicht“, räumt Laubner ein. An den nötigen Stellschrauben drehte er im Anschluss in der Kabine – mit Erfolg. Seine Mannschaft gewann die anschließenden beiden Spiele in eindrucksvoller Art und Weise gegen die SG Schönebeck und den Bezirksligisten SuS Haarzopf. Der Lohn war der Gruppensieg und tosender Applaus von den Zuschauern. Am kommenden Samstag (13 Uhr) geht es in der Vorrunde weiter. „Das war eine tolle Leistung und eine großartige Werbung für unseren Klub“, jubelte Laubner.

Der neue Trainer ist selbst nicht hörgeschädigt, ganz im Gegensatz zu seiner kompletten Mannschaft. Beim GTSV dürfen nur Fußballer mitwirken, die einen Hörverlust von mindestens 50 Dezibel auf beiden Ohren nachweisen können. Einzelne Spieler können mit Hilfe eines Gerätes hören, andere wiederum sind komplett geschädigt. Die Kommunikation erfolgt fast ausschließlich über die Mimik oder durch Übersetzungen in die Gebärdensprache. „Dadurch hat es bei der einen oder anderen Trainingsübung etwas länger gedauert“, weiß Laubner. Aus diesem Grund hatte er sich von Beginn an fest vorgenommen, die Gebärdensprache zu erlernen. Im September belegte der GTSV-Coach dafür extra einen Kurs an der Volkshochschule. „Die elementaren Dinge des Fußballs hatten mir die Jungs schon beigebracht. Dennoch wollte ich intensiver mit meinen Spielern kommunizieren. Diese Aufgabe reizt mich sehr, ich gehe auch mit großem Ehrgeiz an die Sache heran.“

47 Tore in 13 Spielen

Seit Saisonbeginn nimmt der Verein als bundesweit erster Gehörlosen-Verein am regulären Spielbetrieb des Fußballverbandes Niederrhein teil und geht seitdem in der Kreisliga C des Essener Nord-West-Kreises an den Start. Die Teilnahme an der Hallenstadtmeisterschaft war ebenfalls ein Novum. Einen großen Anteil daran hat Spieler und Kapitän Benjamin Christ. Im Essener Fußball ist der Angreifer kein Unbekannter. Noch in der letzten Saison war Christ für den Bezirksligisten SuS Haarzopf aktiv, für den er auch schon in der Landesliga spielte. Wie seine Eltern ist der Essener von Geburt an taub, lernte Gebärdensprache und besuchte Gehörlosenschulen. Dass er als Fußballer für die C-Liga überqualifiziert ist, beweist seine sensationelle Quote von 47 Toren in 13 Partien. Dadurch führte er seine Mannschaft bis zur Winterpause auf einen respektablen zweiten Tabellenplatz. Christ lief schon zu seinen Bezirks- und Landesliga-Zeiten parallel für den Essener Gehörlosen-Verein auf, der rund 250 Mitglieder in 15 verschiedenen Sportabteilungen zählt und bereits vier Deutsche Fußball-Meisterschaften in der Gehörlosen-Liga gefeiert hat. Zusammen mit Kolja Weiße und seinem Cousin Marc Christ gehört er zu den drei Akteuren des GTSV, die sich als Mitglieder der Gehörlosen-Nationalmannschaft bezeichnen dürfen.

Im Frühjahr 2015 fasste Christ den Entschluss, mit seinem Team im regulären Spielbetrieb zu starten. Der langjährige Haarzopfer nutzte sein großes Netzwerk im Essener Fußball und setzte sich mit dem Staffelleiter des Kreises Nord-West in Verbindung. Nach wenigen Wochen erhielten Christ und Co. grünes Licht. „Wir wollten uns unbedingt mit den anderen Mannschaften messen, die keine Gehörschädigung haben. Dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen und es macht allen bisher großen Spaß“, betont Christ.

Geschmacklose Beleidigungen in der Liga

Unterstützung erhielten die Kicker des Gehörlosen- Turn- und Sportvereins von den Schiedsrichtern. Zusätzlich zur Pfeife verwenden die Unparteiischen sowohl auf dem Platz als auch in der Halle eine Fahne. „Das kennen wir aus der Gehörlosen-Liga. Den Pfiff der Schiedsrichter können die meisten nicht hören“, erklärt Christ. In anderen Bereichen stehen den Blau-Gelben allerdings nicht alle Türen offen. Ein großes Problem stellt die Platz-Situation dar. Der GTSV darf lediglich montags und freitags an der Karnaper Lohwiese auf einem kleinen Ascheplatz trainieren, der nur Kleinfeld-Maße besitzt und schwach beleuchtet ist. Für zahlreiche höherklassige Spieler, die sich dem Verein nach den ersten sportlichen Erfolgen anschließen wollten, war dies Grund genug, abzusagen. „Unsere Trainingsbedingungen sind leider katastrophal und hat viele Interessenten abgeschreckt. Wir werden uns bemühen, eine Alternative von der Stadt zu bekommen“, versichert der GTSV-Kapitän.

Negativer Höhepunkt des Abenteuers Kreisliga waren vereinzelte unsägliche Vorfälle auf den Fußballplätzen. So soll es laut Christ zu geschmacklosen Beleidigungen gegen ihn und seine Teamkollegen gekommen sein. „Bei einigen Spielen wurden wir von gegnerischen Spielern aufgrund unserer Behinderung mit Worten diskriminiert, die ich nicht wiedergeben möchte. Das war sehr enttäuschend und frustrierend“, sagt Christ und fügt hinzu: „Wir werden uns davon nicht nicht unterkriegen lassen und weiter unseren Weg gehen. Dafür sind wir viel zu gerne Fußballer.“ Martin Herms