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. Ja, es gibt wohl coolere Instrumente als dieses. Aber Stefan Temmingh (36) pfeift aufs Klischee von der biederen Blockflöte – und wird dafür weltweit gefeiert. Unlängst spielte er auf Schloss Lembeck, auch 2015 beehrt er NRW. Lars von der Gönna sprach mit dem Musiker über leichte Unterhaltung, Flöten aus Plastik und Temminghs Heimat: Südafrika.
Sie spielen auffallend häufig auf Festivals mit historischer Kulisse. Wie wichtig ist ein Ort für Musik?
Temmingh: Orte spielen eine große Rolle. Am stärksten geht es mir bei Vivaldi so. Wenn man mal in Venedig war, weiß man, wie sehr seine Musik da zu Hause ist. Ich höre irgendwo immer Wasser in diesen Kompositionen. Aber im norddeutschen Barock gibt es das auch. Wenn man diese Schlösser und ihre Architektur sieht, erhält man auch einen Schlüssel zur Musik.
Schlösser waren Orte, die sich Komponisten „hielten“. Viele, die wir mit heiligem Ernst hören, waren Unterhaltungsmusiker bei Hofe.
Leider hat die Unterhaltungsindustrie das Wort „geklaut“. Dadurch ist es für die Klassik kaum noch nutzbar. Was schade ist...
...weil Unterhaltung heute Niveau automatisch ausschließt?
Ich fürchte, das ist eine Sicht der Kulturschaffenden. Ich glaube, dem Zuhörer ist es egal. Der denkt und fühlt nicht in solchen Kategorien. Er will ja tatsächlich unterhalten werden. Sowas kann ja durchaus geistreich und hochwertig sein. Kulturschaffende möchten dagegen immer was ganz Seriöses machen – vielleicht ein Minderwertigkeitskomplex. Das betrifft auch sehr verkopfte Operninszenierungen. Ich weiß von Kritikern, die einfach nur noch genervt sind, wenn da schon wieder der Zweite Weltkrieg zitiert wird. Das ist durchgenudelt. Ich bin wirklich nicht für diese staubige amerikanische Opernästhetik. Aber es darf doch auch mal leicht sein!
Sie haben es mit einem fürs 21. Jahrhundert recht unscheinbaren Instrument zum Star gebracht.
Aufstieg, Star und so – das ist nicht meine Verantwortung. Mich interessiert, wie ich mich mit der Blockflöte ausdrücken kann. Vieles möchte ich über Musik ausdrücken statt über Sprache.
Sieht man sie darum fast tanzen, wenn Sie auftreten?
Ich kann nicht anders. Still zu stehen beim Musizieren, das ist für mich tausend Mal schwieriger als mich zu bewegen.
Sie spielen ein Instrument, das jeder kennt: von den schweren Stunden kurz vor der Bescherung...
Ja klar, das ist ein großer Unterschied zur Geige. Der Großteil des Publikums hat so ein Instrument schon mal in der Hand gehabt. Das macht es mir leichter: Die Menschen haben eine Vorstellung davon, wie schwierig es ist, da etwas Gutes herauszuholen.
Wenn auch manche von denen bloß eine Plastikflöte hatten. Wussten Sie, dass man die in die Spülmaschine tun kann?
Klar weiß ich das, ich hatte als Kind auch eine aus Plastik, die sind gar nicht schlecht. Ich hab’ sie auch in die Spülmaschine getan.
Wie bitte?
Ja, ich hatte lange keine besonders tolle Blockflöte. Ich glaube, darum kann ich heute sehr laut spielen, weil ich lange ein ziemlich schlechtes Instrument hatte. Ich war ja Spätzünder und schon 17, als ich meine erste Holzflöte kriegte. Meine Eltern fanden das wohl nicht so wichtig.
Das Repertoire für Blockflöte ist klar umrissen. Bedauern Sie manchmal, nicht in Wagners „Götterdämmerung“ mitzutröten?
Ich war in Bayreuth. Angesichts der Macht dieser Musik denkt man bei einer kleinen Telemann-Sonate: „Oh Gott, ist das einfache Musik!“ Das meine ich nicht abwertend. Man darf das nicht vergleichen. Ich spiele aber auch Bearbeitungen, um nicht nur im Barock zu bleiben. Nicht gerade Wagner, aber Brahms’ „Ungarische Tänze“ kann ich mir schon vorstellen.
Sie leben in München, sind aber Südafrikaner. Als die Apartheid zu Ende ging, waren Sie noch ein Knabe. Haben Sie Erinnerungen?
Sehr genaue. Am Tag, als Mandela seine erste öffentliche Rede gehalten hat, stand ich mit auf dem Platz. Das hat mich als Mensch geprägt. Ich hatte das Glück, dass meine Mutter politisch sehr aktiv war. Sie hat mir früh gesagt: „Du wohnst in einem Land, in dem Ungerechtigkeit an der Tagesordnung ist.“
Wenn sie „geprägt“ sagen, was meinen Sie damit?
Nehmen Sie Interpretation in der Musik. Ich werde schnell hellhörig, wenn jemand seine Deutung als die einzig mögliche darstellt. Wir müssen doch ehrlich sein: Das sind Moden, wirklich. Ich finde es eine Unart von Musikern zu sagen: „Das ist richtig!“ Da merke ich sehr, wie mich die Apartheid bis heute prägt. Ich habe sehr wenig Verständnis für Intoleranz – auch in der Kunst.