Schwerte. Die Trinkhallen sind aus dem Ruhrgebiet nicht wegzudenken. Doch nicht jede Bude ist ein Schmuckstück – wie eine neue Foto-Ausstellung beweist.

Kaum eine Gegend in Deutschland ist so stark mit der Trinkhallen-Kultur verbunden wie das Ruhrgebiet. Bei all dem Zauber, der die „Buden“ umgibt, spiegelt sich das häufig nicht in ihrer Optik wider. Genau dies hat der Herner Journalist und Dokumentarfilmer Peter Hesse in Fotos eingefangen. Seine Ausstellung „Die hässlichsten Trinkhallen des Ruhrgebiets“ eröffnet am 8. Dezember in Schwerte.

Wann und warum haben Sie angefangen, Trinkhallen im Pott zu fotografieren?

Peter Hesse: Während des ersten Corona-Lockdowns im März 2020 habe ich begonnen, Touren dorthin zu machen, wo ich mich nicht auskenne – oft ins nördliche Ruhrgebiet. Dort bin ich dann spazieren gewesen und habe Buden abgelichtet, deren Erscheinungsbild besonders kurios war.

Warum ausgerechnet Trinkhallen?

Mit Trinkhallen verbinden viele Leute etwas Besonderes. So wie eine Märklin-H0-Welt den Zugverkehr abbildet, hat die Kleinteiligkeit des Budenbetriebs etwas Miniaturhaftes und Niedliches – das sind urbane Tante-Emma-Läden, die von Bier über Süßigkeiten bis Dosensuppen Abende retten können. Und im besten Falle gibt es noch einen augenzwinkernden Spruch als Zugabe. Biertrinker, die an Buden stehen, egal ob in Recklinghausen oder Schwerte, sind moderne Cowboys und Alltagsphilosophen in Personalunion. Von ihnen hört man die abenteuerlichsten Geschichten.

Etwas vernachlässigt: ein Kiosk in Essen
Etwas vernachlässigt: ein Kiosk in Essen © Peter Hesse

Erinnern Sie sich an Ihre erste Bude?

Ich wohne seit Herbst 2019 in Herne, und bei mir direkt um die Ecke befindet sich „Inge’s Büdchen“ – ein besonders schönes Exemplar. Das Posting dazu bekam besonders viele Likes, dann habe ich angefangen in loser Reihenfolge mal ein Büdchen zu posten. Seit Januar diesen Jahres mache ich das täglich, und es zieht immer weitere Kreise.

Warum ist die Trinkhallen-Kultur ein so fester Bestandteil des Ruhrgebietes?

Die letzte Zeche ist geschlossen, der Strukturwandel ruckelt, und Frank Goosen witzelt, dass „es woanders auch scheiße ist“. So sind neben den antiken Fördertürmen die Trinkhallen so etwas wie die ungekünstelten Wahrzeichen in der Ruhrgebiets-Folklore. In der Soziologie gibt es den Begriff des „privilegierten Nostalgieempfindens“: Man erinnert sich an früher und glaubt, wenn man sich noch einmal für 80 Pfennig eine „Gemischte Tüte“ mit Weingummi, Brause-Ufo und Lakritz kaufen kann, sei die Welt wieder in Ordnung.

Machen Sie sich Sorgen, dass ein Budenbesitzer beleidigt sein könnte, wenn er sieht, dass seine Trinkhalle es in Ihre Bestenliste geschafft hat?

Einmal ist ein Budenbesitzer in Wanne-Eickel hinter mir hergelaufen, weil er nicht wollte, dass ich sein Verkaufsladen fotografiere. Aber meistens sind die Leute nett und lächeln freundlich. Mich schreiben auch Kioskbesitzer an, dass ich zu Ihnen kommen soll, um ihre Bude zu fotografieren.

Bräuchte mal einen Anstrich: Kiosk in Dortmund
Bräuchte mal einen Anstrich: Kiosk in Dortmund © Peter Hesse | P. Hesse

Bochum, Dortmund, Herne, Gelsenkirchen, Essen – gibt es eine Stadt, die besonders viele hässliche Trinkhallen hat?

Alle fünf Städte sind im Ranking ganz weit vorne. Ich glaube, pro Kopf gesehen dürfte es Bochum sein. Aber es gibt auch Beispiele wie Dorsten, wo es kaum noch eine Trinkhalle gibt. Fast jede Ruhrgebietsstadt hat Tankstellen, die rund um die Uhr geöffnet sind, und selbst Discounter-Supermärkte haben an Samstagen bis 22 Uhr auf. Das Konzept ‚Trinkhalle‘ ist nicht mehr konkurrenzfähig, was sehr schade ist. „Der Spiegel” schätzte im Februar 2019, dass es im Ruhrgebiet etwa 5000 Kioske gibt. Ich glaube, viele davon haben die Corona-Pandemie nicht überstanden.

Peter Hesse
Peter Hesse © DC | Daniel Sadrowski

Haben Sie eine Lieblings-Trinkhalle, an der Sie selbst Kunde sind?

Ich habe eine Schrebergarten-Parzelle in Herne-Horsthausen, und da direkt um die Ecke gibt es eine, an der ich mir im Sommer immer was zu Trinken kaufe oder ein Eis.

Ausstellungseröffnung 8. 12. um 19 Uhr, Eintritt frei. Die Ausstellung läuft bis 31. 1. 2024 im Wuckenhof, Schwerte Infos: www.kuwebe.de/wuckenhof.

Dies ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung. Die Digitale Sonntagszeitung ist für alle Zeitungsabonnenten kostenfrei.Hier können Sie sich freischalten lassen. Sie sind noch kein Abonnent? Hier geht es zu unseren Angeboten.