Bielefeld/Düsseldorf. Die Beerdigungsbranche hat keine Nachwuchsprobleme. Vor allem junge Frauen drängen heute in den Beruf, der früher einmal eine Männerdomäne war.

Um in die Sarghalle zu gelangen, muss Marvin Vemmer eine Treppe hinuntergehen, die in den Keller führt. „Das hier ist der Ausstellungsraum“, erklärt der junge Mann, während er mit der Hand die Tulpenschrauben eines Sargoberteils aufdreht. „Die meisten Leute haben noch nie so viele Särge auf einmal gesehen. Aber letzten Endes kommen sie ja hier runter, um einen Sarg auszusuchen.“ Marvin Vemmer arbeitet in der vierten Generation für das Bielefelder Bestattungsunternehmen Vemmer, einem Familienbetrieb. Den Abschluss als Bestattungsfachkraft hat er vor zehn Jahren gemacht. Aus der Praxis weiß er: „Wenn jemand zum Bestatter kommt, dann erwartet er eine friedliche und einfühlsame Atmosphäre.“

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Bestatter zu sein – das bedeutet den täglichen Umgang mit toten Menschen und trauernden Angehörigen. Das ist nicht jedermanns Sache. „Bestatterin oder Bestatter wird man nicht zufällig, das ist eine ganz bewusste Berufsentscheidung“, sagt Elke Herrnberger, Sprecherin des Bundesverbandes Deutscher Bestatter (BDB) mit Sitz in Düsseldorf. Tatsächlich entscheiden sich heute viele junge Leute für eine Ausbildung zur Bestattungsfachkraft, wie es offiziell heißt. Herrnberger: „Es gibt deutlich mehr Bewerber als Plätze.“ Aktuell zählt sie in den rund 5500 Bestattungsbetrieben in Deutschland 940 Azubis, 370 davon haben gerade ihre Lehre begonnen. Und: 56 Prozent der Auszubildenden seien weiblich, so Herrnberger. Tendenz steigend.

Eine dankbare Aufgabe

Früher galt Bestatter als Männerberuf. Das nimmt Marvin Vemmers Kollegin, die 21-jährige Xenia Böhmer, heute anders wahr. Sie ist in ihrem zweiten von drei Ausbildungsjahren. Sie sagt: „Der Tischler im Dorf ist schon lange nicht mehr automatisch auch Bestatter. Unter den Tischlern gab es früher fast nur Männer. Aber mittlerweile sehe ich an den Berufsschulen, dass das Verhältnis im Bestattungswesen mindestens ausgeglichen ist.“ Für die Ausbildungsvergütung hat der BDB eine Empfehlung an die Betriebe gegeben: Demnach steigert sich das Gehalt von 625 Euro im ersten bis auf 840 Euro im dritten Lehrjahr.

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Um im Bestatterwesen tätig zu sein, ist eine abgeschlossene Ausbildung allerdings keine Pflicht. Wer möchte und einen Gewerbeschein vorzeigen kann, darf ein Bestattungsunternehmen gründen. Aber einige Voraussetzungen sollte man schon mitbringen, meint Xenia Böhmer: „Wir arbeiten hier jeden Tag mit Toten. Damit muss man umgehen können, egal was man glaubt, wie es für den Verstorbenen nach dem Tod weitergeht. Sterben muss halt jeder von uns. Ich finde, es ist eine schöne und dankbare Aufgabe, dafür zu sorgen, dass der Mensch einen würdevollen Abschied bekommt.“

Zurück zu Marvin Vemmers Ausstellungsraum. Der Sarg öffnet sich mit einem Rumpeln. „In jedem Fall machen wir den Verstorbenen oder die Verstorbene sauber“, sagt Marvin Vemmer. „Wir kleiden sie ein, mit den Sachen, die sie gerne anhatte.“

Die meisten Menschen in Deutschland möchten nach ihrem Tod verbrannt werden. Weniger als die Hälfte der jährlich rund 900.000 Verstorbenen bekommt eine Erdbestattung. Elke Herrnberger: „1960 lag der Anteil der Feuerbestattungen in Deutschland noch bei zehn Prozent, heute liegen wir da bei 75 Prozent.“ In Ostdeutschland, wo zu DDR-Zeiten die Einäscherung die Regel gewesen sei, gebe es fast ausschließlich Feuerbestattungen.

Das ist aber nur eine von vielen Veränderungen, auf die sich die Branche einstellen muss. Eine weitere: Der Anteil der kirchlichen Trauerfeiern ist nach BDB-Angaben inzwischen unter 50 Prozent gesunken. „Bei vielen Trauerfeiern ist die Aufgabe des Geistlichen gleichsam auf den Bestatter übergegangen“, sagt Elke Herrnberger. Überhaupt habe sich der Beruf in den letzten Jahren enorm verändert. Er entwickelt sich immer mehr in Richtung eines Managements von Veranstaltungen im Trauerfall. Bestatter kümmern sich um die Dekoration von Räumen, die Musik und das Catering. Sie halten Trauerreden und regeln den digitalen Nachlass von Verstorbenen. Und es gibt nach wie vor Bestattungsunternehmen, bei denen die Mitarbeiter das Grab ausheben oder den Sarg tischlern. „Manche Betriebe bieten auch Trauer-Yoga an oder betreiben Trauer-Cafés für Angehörige“, weiß Elke Herrnberger. Zur Ausbildung gehören auch Lehrgänge und Schulung in einem überbetrieblichen Ausbildungszentrum im unterfränkischen Münnerstadt.

Das Bestattungsunternehmen Vemmer ist seit Jahren Ausbildungsbetrieb und leistet damit einen wichtigen Beitrag für die gesamte Branche. Bestattermeister Thomas Vemmer kümmert sich gerne um die Nachwuchsförderung. „Die Zusammenarbeit mit Frau Böhmer ist sehr angenehm. Sie unterstützt uns nach besten Kräften, ist schulisch gut und eine tolle Mitarbeiterin.“ Bis ins Jahr 2007 gab es keinen staatlich anerkannten Ausbildungsgang. Thomas Vemmer erinnert sich: „Mein Vater hat Anfang der 80er-Jahre Lehrgänge besucht und sich dann zertifizieren lassen. Das waren noch die Kinderschuhe der jetzigen Ausbildung.“

Vielseitige Tätigkeit

Für junge Leute bietet der Beruf handfeste Vorteile: Er ist krisenfest – denn gestorben wird immer. Man sollte flexibel sein, aber im Prinzip gibt es geregelte Arbeitszeiten. Die Tätigkeiten sind sehr vielseitig. Technische Fragen beim Ausheben von Gräbern spielen genauso eine Rolle wie die Psychologie des Trauerns oder die hygienische Totenversorgung. Diese Vielfalt findet Xenia Böhmer gut: „Man ist mal im Büro, mal draußen. Man kann kreativ sein, aber muss auch sehr genau arbeiten.“

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Auf jeden Fall kann sich Xenia Böhmer weitgehend sicher sein, dass sie in diesem Berufsfeld immer Arbeit haben wird. Dabei ist ihr besonders wichtig, dass sie einen positiven Beitrag in der Begleitung trauernder Menschen leisten kann: „Es gibt Leute, denen fällt es leichter, mit dem Tod eines geliebten Menschen umzugehen. Anderen fällt es schwerer. Deshalb bin ich froh, dass es heute viele Möglichkeiten gibt, sich beraten zu lassen.“

Die Ausbildungssituation im Bestattungswesen ist paradox: Einerseits können die Unternehmen nicht so viele Ausbildungsstellen zur Verfügung stellen, wie nötig wären, um allen geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern ein Angebot zu machen. Andererseits gibt es mit Blick auf die Zukunft viel zu wenige Auszubildende. Zudem werden die Anforderungen größer. „Viele Menschen haben eine Erwartungshaltung, wenn sie zu uns kommen“, meint Xenia Böhmer. „Wenn wir diese Erwartungen erfüllen, kann das Sicherheit geben. Zum Beispiel mag ein modern designter Raum für viele Menschen kalt erscheinen. Einige Jüngere hingegen empfinden eine eher traditionelle Ausstattung als spießig.“

Die Menschen werden anspruchsvoller

In den letzten 15 Jahren wurden über zweitausend junge Menschen als Bestattungsfachkraft ausgebildet. Mittelfristig wird das nicht reichen. Das Wirtschaftsforschungsinstitut WifOR diagnostiziert, dass die Demografie im Bestattungswesen eine doppelte Rolle spielt: Während schon bald ein großer Teil des erfahrenen Personals in Rente geht, kann man statistisch davon ausgehen, dass die Zahl der Sterbefälle deutlich steigen wird. Aktuelle Zahlen von 2022 zeigen einen Anstieg der Todesfälle um 4,2 Prozent auf rund 1,07 Millionen.

Zudem werden die noch Lebenden immer anspruchsvoller. „Es ist nicht mehr so einfach wie früher“, sagt Xenia Böhmer. „Da gab es noch ein übliches Programm: Erdbestattung, einfacher Sarg und das Gebinde XY, dann Kaffeetrinken. Heute kommt eher: ‚Ach nee. Wir möchten das selber machen. Wir möchten diese Reden selber halten.‘ Heute gibt es viel mehr Möglichkeiten, und diese Auswahl trägt dazu bei, dass viele auch mehr von uns erwarten.“

Auch in ihrem privaten Umfeld trifft Xenia Böhmer häufig auf viel Interesse. „Das ist immer der Partyrenner. Zwar ist die erste Reaktion oft: ‚Boah, das könnte ich nicht.’ Aber dann wollen die Leute doch genauer wissen, was man so macht.“

Dies ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung. Die Digitale Sonntagszeitung ist für alle Zeitungsabonnenten kostenfrei.Hier können Sie sich freischalten lassen.Sie sind noch kein Abonnent? Hier geht es zu unseren Angeboten.