Essen. Sie meucheln, stehlen, strangulieren: Manche hölzernen Waldbewohner töten Konkurrenten und legen sogar Feuer. Eine Begegnung mit „Bösen Bäumen“.

Wer hätte ahnen können, dass solch scheinbar harmlose Lebewesen wie Bäume solch einen schäbigen Charakter entwickeln? Was sich liest wie ein Auszug aus einem langen Vorstrafenregister ist in Wahrheit ein ganz natürlicher Teil des Überlebenskampfes unserer hölzernen Sauerstoffspender. Literat und Hobby-Biologe Markus Bennemann (51) hat den kaum beachteten Schattenseiten der Waldbewohner ein eigenes Buch gewidmet: In „Böse Bäume“ geht es teils zu wie in einem Krimi – und es ist oft genauso spannend zu lesen. Georg Howahl wollte von Bennemann wissen, ob er persönlich etwas gegen unsere Botanik hat – oder ob er nur besonders gut getarnten Schurken auf die Schliche gekommen ist...

Herr Bennemann, so gut wie alle Menschen lieben die Bäume, wir halten sie für gut und profitieren von ihnen. Und nun kommen Sie und machen die Bäume schlecht. Was läuft denn da falsch bei Ihnen?

Markus Bennemann:(lacht) Ach, Bäume gelten ja schon immer als irgendwie weise und toll. Und in letzter Zeit hat es sogar noch ein bisschen zugenommen. Da wird gesagt, sie unterhalten sich sogar miteinander, kuscheln und sorgen gut für ihre Kinder. Vielleicht hat mich das eine Spur provoziert.

Inwiefern?

Ich hatte zuvor schon über das Tierreich ein Buch mit ähnlichem Tenor geschrieben und habe da gesehen, wie böse und übel es da zugehen kann. Und da dachte ich: Ist das bei Pflanzen und Bäumen wirklich ganz anders? Dann habe ich ein bisschen recherchiert und schnell gemerkt: Nein, wenn man in der Natur ein bisschen sucht, findet man meistens auch Abgründe, von denen ich selbst noch überhaupt nichts wusste und die ich umso überraschender und erzählenswerter fand.

Seit Peter Wohlleben und seinem Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“ wissen wir ja eine Menge über die Kommunikation der Bäume – und das hat das Image des Waldes ganz gehörig beeinflusst. Wollten Sie das ein wenig relativieren?

Dass es bei den Bäumen gar nicht so harmonisch zugeht, empfinde ich selbst als faszinierende und tolle Geschichte. Da sind zum Beispiel die Akazien, die merken, wenn sie von Giraffen angeknabbert werden – und dann Ethylen in ihre Blätter einlagern, wodurch sie bitterer schmecken. Weshalb die Tiere erst in etwa 100 Metern Entfernung wieder weiterfressen. Das sind wirklich spannende Geschichten. Und Wohlleben macht das ja auch wunderbar, dass er das in klare und für uns verständliche menschliche Bilder kleidet. Wissenschaftler sehen das oft ein bisschen anders. Aber ich wollte gar nicht so bierernst da rangehen. Ich wollte nur zeigen: So intelligent und vielseitig Bäume auch sind – und uns in vielen Dingen vielleicht auch scheinbar ähnlich –, so sehr können Bäume aber auch ganz anders.

Markus Bennemann schaut durch das Loch in einer Würgefeige...
Markus Bennemann schaut durch das Loch in einer Würgefeige... © Privat | Thorsten Breidecker

Ihr Paradebeispiel ist die Würgefeige, die Sie im Buch den „mörderischsten Strangulationskünstler des tropischen Dschungels“ nennen. Wie macht sie das?

Die Würgefeigen wachsen quasi von oben nach unten. Ihre Samen landen idealerweise durch Vogelexkremente in einem Astloch oder Rindenspalt oben im Baum. Und von dort wachsen sie nach unten, sie schlingen ihre Wurzeln um die anderen Bäume herum und erwürgen ihre Opfer regelrecht. Das ist ein sehr langer Prozess, besonders bis sie den Boden erreichen, aber irgendwann stirbt der andere Baum im Inneren – und die Würgefeige steht an seiner Stelle da, als wären die Arme eines Kraken aus dem Boden gewachsen. Oft verfault der Baum im Inneren, weshalb die Würgefeige aussieht, als wäre es ganz hohl in ihrem Inneren.

Der tentakelhaft geschlungene Stamm der Würgefeige. In ihrem Inneren steckte einst ein anderer Baum, den sie stranguliert hat.
Der tentakelhaft geschlungene Stamm der Würgefeige. In ihrem Inneren steckte einst ein anderer Baum, den sie stranguliert hat. © Asit K. Ghosh Thaumaturgist | Asit K. Ghosh Thaumaturgist

Noch erstaunlicher und beim ersten Lesen sogar paradox: Es gibt sogar Bäume, die Feuer legen, um das Überleben ihrer eigenen Art zu sichern. Wo gibt’s denn sowas?

In Australien: Da gibt es Eukalyptusbäume, das sind die, die wir von unseren Lutschbonbons und Erkältungssalben kennen. Die haben aber ein zweites Gesicht. Sie legen praktisch ihren eigenen Waldbrand, indem sie trockene Rindenstücke und mit ätherischen Ölen getränkte Blätter abwerfen. Sie sorgen dann dafür, dass die Waldbrände noch mehr angeheizt werden. Waldbrände anfachen und für sich nutzen, das ist doch das Verrückteste, was ein Baum überhaupt machen kann!

Aber ist das nicht auch Selbstmord?

Feuerökologen sind sich sehr sicher, dass sie es aus Strategie tun. Weil sie sich selbst nach den Bränden besser erholen als andere Bäume. Und außerdem wächst ihr Nachwuchs in der kargen Ascheschicht sehr gut. Diese Waldbrände sind in Australien, gerade in diesem schwarzen Sommer, den sie dort hatten, ein riesiges Problem. Es ist im Grunde auch das einzig wirklich ernste Kapitel in meinem Buch, weil es auch uns Menschen stark betrifft.

Der Walnussbaum macht es ähnlich wie die Tamarisken in den USA: Er gibt ein Gift in den Boden ab, das andere verenden lässt.
Der Walnussbaum macht es ähnlich wie die Tamarisken in den USA: Er gibt ein Gift in den Boden ab, das andere verenden lässt. © Getty Images/iStockphoto | Knaupe

Manchmal erkennt man auch erstaunliche Parallelen zu Dingen, die wir Menschen so tun…

Ja, man ist immer wieder erstaunt. Es gibt in den USA Tamarisken, man sieht sie manchmal auch bei uns in den Gärten stehen. Und die versalzen praktisch den Boden. Bei uns sagt man ja im Winter immer: Benutzt bloß kein Streusalz, das ist schlecht für die Natur und es schadet den Bäumen. Die Knospen werden verätzt, die Erde verdichtet sich und kann nicht mehr so gut ihr Wasser abgeben. Aber genau diese menschliche Umweltsünde begehen nun auch wieder Bäume. Die Tamarisken im Südwesten der USA, sie sind einerseits furchtbar erfolgreiche Bäume, werden dort aber tatsächlich auch bekämpft als invasive Art mit allen möglichen Mitteln, das geht von Feuerwerfern bis zu Bulldozern. Man hat sogar schon versucht, Kamele daran fressen zu lassen. Aber das Einzige, was gegen die Tamarisken hilft, ist ein kleiner Käfer aus der Heimat, also aus Asien, der da den Sheriff spielen kann und die Bäume kahl frisst. Man sagt immer: Waldbrände und Umweltgifte wie Salze, da ist doch immer der Mensch dran schuld. Dann guckt man sich um und stellt fest: Das machen die Pflanzen sogar selbst. Was nicht heißen soll, dass wir uns einen Freibrief ausstellen sollen, das nun selbst zu machen. Aber kurios ist es. Und ein bisschen nachdenklich macht es auch. Es zeigt halt wie immer, wie faszinierend, wie komplex und wie toll die Natur ist.

Sie schreiben es ja selbst: Wissen ist was Wunderbares, aber manches kann es einem auch verderben. Gehen Sie nach den Recherchen zu diesem Buch denn mit anderen Augen durch den Wald?

Man könnte glatt meinen, mein Buch hätte mir den Wald verdorben. Aber wenn man die Organismen um sich herum und die ganzen Vorgänge noch genauer kennenlernt, passiert das Gegenteil: Dann steigt die Faszination. Wenn man durch den Wald geht und bestimmte Formen der Rinde sieht, etwa bei den Birken, die dadurch einen Sonnenschutz hat, dann finde ich das extrem interessant. Und deshalb haben diese bösen und gemeinen Geschichten den Wald, den ich davor schon geliebt habe, noch spannender gemacht.

Gibt es einen Wald, durch den Sie vollkommen unbeschwert gehen können, ohne gleich grüne Killer zu sehen?

Leider muss man selbst im Park aufpassen, denn da stehen dann Exoten wie der Götterbaum, die sich erst recht die Welt untertan machen, indem sie sich so sehr ausbreiten, durch nichts kleinzukriegen sind und im Sommer richtig unangenehm riechen können, wenn man männliche Exemplare erwischt. Also: Ganz unschuldige Orte könnte ich jetzt auf Anhieb leider nicht nennen, da fällt mir keiner ein, durch den man einfach so wandern kann.

Jeder sichert sich also seinen Vorteil im Überlebenskampf?

Wie gesagt: Die Birken haben eine schöne weiße Rinde, die aber wie ein Sonnenschutz wirkt, so ein dicker, weißer, den sich manche Surfer ins Gesicht schmieren. Diesen Schutz haben wiederum die Buchen nicht, das ist deren einzige Achillesferse. Sie sind ja die großen Krieger des Lichts und die großen Beherrscher der europäischen Wälder: Würden wir Menschen nicht eingreifen, würde der Wald zu drei Vierteln aus Buchen bestehen. Aber diese tollen Siegerbäume kriegen leicht Sonnenbrand.

Schon für Adam und Eva war ein Baum die Wurzel allen Übels, hier in der Darstellung von Lucas Cranach, dem Älteren.
Schon für Adam und Eva war ein Baum die Wurzel allen Übels, hier in der Darstellung von Lucas Cranach, dem Älteren. © akg-images / Erich Lessing | akg

Sie haben ja noch einen Baum in Ihr Inventar aufgenommen, der gar nicht in botanische Kategorien einzuordnen ist: Den biblischen Baum der Erkenntnis, der für Adam und Eva die Wurzel allen Übels war. Ist es Zufall, dass ausgerechnet ein Baum die Menschheit ins Verderben gestürzt hat?

Tatsächlich erzählt es die Bibel ja genau so: Das Böse kam eigentlich erst in die Welt durch einen Baum. Gut, auf dem Baum saß noch eine Schlange, die hat uns dann den angeblichen Apfel gereicht. Aber damit ging alles erst los. Dass wir aus dem wunderbaren Park und Garten Eden herausflogen sind, hat nicht zuletzt mit diesem Baum zu tun, von dem wir nicht die Finger lassen konnten. Der Baum heißt nun auch noch ausgerechnet „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“. Aber damit passt es ja wunderbar zu dem, was ich erzählen will. Im Grunde muss man sagen: Bäume haben uns von Anfang an – so lieb wir sie auch haben – einen bösen Streich gespielt.

Markus Bennemann: Böse Bäume – Wie sie töten, stehlen, Feuer legen, die dunkle Seite unserer liebsten Waldbewohner, Goldmann-Verlag, 270 Seiten, 18,50 Euro