Berlin/Essen. Vor 60 Jahren besuchte US-Präsident Kennedy Berlin. Seine Rede ist bis heute legendär. Die DDR scheiterte mit einem PR-Konterversuch kläglich.
Anfang der 60er-Jahre brachte John F. Kennedy einen neuen Stil in die Politik. Mit gerade einmal 43 Jahren war der Demokrat von der Ostküste der jüngste Präsident, der je ins Weiße Haus gewählt wurde – und damit auch weit jünger als alle anderen Staatsführer jener Zeit. Sein jugendlicher Charme, seine Offenheit und die Aufbruchstimmung, die von dem charismatischen Politiker ausging, brachten ihm weltweit Sympathien ein. John F. Kennedy war der erste „Popstar“ unter den sonst eher spröden und graugesichtigen Politikern. Und er war der erste Präsident, der das damals noch recht neue Medien Fernsehen perfekt für sich nutzte.
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Das deutsche Fernsehen war – damals noch eine Seltenheit – durchgehend live dabei, als Kennedy am 26. Juni 1963 für acht Stunden West-Berlin besuchte. Anlass war der 15. Jahrestag der Luftbrücke während der Blockade Berlins durch die Sowjets. Gemeinsam mit Bundeskanzler Konrad Adenauer und Berlins Regierendem Bürgermeister Willy Brandt fuhr der Präsident im offenen Wagen durch die Straßen des Westteils der geteilten Stadt. Es wurde eine Triumphfahrt, rund zwei Millionen Menschen jubelten dem Mann aus den USA zu. Adenauer sprach später von einer „Volksabstimmung auf Füßen“. Für Kennedy war es gewiss der Höhepunkt seiner dreitägigen Visite in der Bundesrepublik, vielleicht sogar der Höhepunkt seiner Präsidentschaft.
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Blick auf die Berliner Mauer
Kennedys Besuch in der „Frontstadt“ war ein wichtiges Signal für die transatlantischen Beziehungen. Im selben Jahr hatten nämlich die Staatschefs von Deutschland und Frankreich, Konrad Adenauer und Charles de Gaulle, mit dem Élysée- Vertrag ihre Freundschaft besiegelt. Kennedys Besuch sollte ein Gegengewicht dazu sein – und wurde von Washington wochenlang bis ins Detail geplant. Zwei Mal blickte der amerikanische Präsident auf die Mauer: Am Brandenburger Tor und am Checkpoint Charlie in der Friedrichstraße. Mit diesen bedrückenden Bildern im Kopf änderte Kennedy spontan seine Rede vor dem Schöneberger Rathaus. Sie wurde eigentlich ein Rückfall in den Kalten Krieg. Obwohl sonst die Zeichen eher auf Entspannung, auf „Tauwetter“ im kalten Krieg standen, griff der US-Präsident immer wieder das kommunistische System an. Die Mauer nannte er etwa die „abscheulichste und stärkste Demonstration über das Versagen des kommunistischen Systems“, sie schlage nicht nur der Geschichte, sondern auch der Menschlichkeit ins Gesicht.
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Zu einem historischen Ereignis, das bis heute vielen Menschen präsent ist, wurde die Rede aber durch einen Satz zum Ende von Kennedys Auftritt in Schöneberg. Die Menschen vor 2000 Jahren seien stolz gewesen, Bürger Roms zu sein, so der Präsident. Heute sei es das Stolzeste, sich in der freien Welt als Berliner zu bekennen. Am Ende ruft er: „Alle freien Menschen, wo immer sie leben mögen, sind Bürger dieser Stadt West-Berlin, und deshalb bin ich als freier Mann stolz darauf, sagen zu können: Ich bin ein Berliner.“
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Kennedys Spickzettel
Damit Kennedy den Satz richtig aussprechen konnte, hatte er sich die Worte, genau auf seinen Bostoner Akzent abgestimmt, notiert: „ish bin ine bear-LEAN-ar“. Nach der Rede war er von der grenzenlosen Euphorie ganz benommen. Sein Berater McGeorge Bundy soll dagegen weniger begeistert gewesen sein von dem scharfen Ton der Rede seines Chefs. So hörte Kennedys Übersetzer Robert Lochner im Büro des Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt, wie Bundy zu Kennedy sagte: „Mr. President, I think you went too far“ („Ich denke, sie sind zu weit gegangen“).
Danach entschärfte Kennedy die Rede, die er am Nachmittag an der Freien Universität Berlin hielt. Dann endete der denkwürdige Besuch. Nach nur acht Stunden verließ der Präsident die Stadt. „So einen Tag wie heute werden wir nie wieder erleben“, sagt Kennedy im Flugzeug auf dem Weg nach Irland zu einem seiner Berater. In Berlin, wo 25 Jahre später die Mauer fiel, grub sich jener denkwürdige Moment vor dem Schöneberger Rathaus tief in die Herzen ein.
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Wenig überraschend war, dass der Besuch Kennedys in West-Berlin auf der anderen Seite der Mauer ganz andere Reaktionen auslöste. Dort fürchte das SED-Regime offenbar, dass es auch im Ostteil der Stadt zu Sympathiebekundungen für den Besucher aus Washington kommen könnte – was die Stasi unbedingt verhindern wollte. Das Brandenburger Tor hatte man vorsorglich mit Sichtblenden verhängen lassen, um einen freien Blick über die Mauer auf Kennedy zu verhindern. In Stasi-Dokumenten ist heute nachzulesen, wie nervös die DDR-Machthaber waren: „Aus Kreisen der Westberliner Bereitschaftspolizei wurden Spekulationen bekannt, daß in der Zeit des Kennedy-Besuchs Provokationen in Form von Grenzdurchbrüchen nach Westberlin vorbereitet werden könnten.“ Man habe „alle provisorischen Schutzanlagen entlang der Staatsgrenze“ verstärkt.
Chruschtschow kam nach Ost-Berlin
In einem anderen Stasi-Bericht heißt es zudem: „Mit Hilfe einer weltweiten Fernsehübertragung soll eine große Schau aufgezogen werden.“ Wohl um der zu erwartenden internationalen Aufmerksamkeit um Kennedys Berlin-Visite etwas entgegenzusetzen, hatte die DDR-Führung für den 30. Juni, also nur wenige Tage nach der Kennedy-Visite, einen Besuch des sowjetischen Staatschefs Nikolai Chruschtschow in Ost-Berlin organisiert. Doch die Angst vor Missfallensbekundungen seitens der DDR-Bevölkerung war groß. Dazu kam es jedoch nicht.
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Stattdessen verbreitete das SED-Regime Fotos von Chruschtschow mit DDR-Regierungschef Walter Ulbricht auf dem Flughafen Schönefeld oder vom Besuch des Gastes aus Moskau beim Maschinenbaukombinat in Berlin-Marzahn. Insgesamt allerdings reichte die Außenwirkung des Staatsbesuchs nicht annähernd heran an das öffentliche Interesse, das der Besuch Kennedys und seine Rede vor dem Schöneberger Rathaus gefunden hatten.
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