Essen. Sie leidet unter „Mental Load“, er versteht das Problem nicht. Eine Expertin verrät, wie gerechte Arbeitsteilung in der Familie gelingen kann.

Den Wocheneinkauf planen, an das Schulfest denken, sich um Geschenkideen für sämtliche Verwandte kümmern: Frauen sorgen auch heute noch dafür, dass in einer Familie der Laden läuft. Das zeigt die neue Vermächtnis-Studie, die von der Zeit, dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und dem infas Institut für angewandte Sozialwissenschaften durchgeführt wurde.

Die Studie hat dabei erstmals auch die unsichtbare kognitive Arbeit im Haushalt und in der Familie erfasst, die als „Mental Load“ bezeichnet werden. Patricia Cammarata hat den Begriff in Deutschland bekannt gemacht – und Sophie Sommer im Interview verraten, was dahintersteckt.

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Mit Ihrem Buch und Ihren Vorträgen haben Sie in Deutschland erstmals auf „Mental Load“ aufmerksam gemacht. Wie sind Sie auf das Thema gekommen?

Patricia Cammarata: Als nach der Geburt meines dritten Kindes die Elternzeit vorbei war und ich in den Job zurückgekehrt bin, habe ich zum ersten Mal eine totale Überlastung erlebt. Ich dachte, das wäre ein individuelles Problem, ich müsste mich einfach besser organisieren. Dann bin ich durch Zufall auf den Comic einer französischen Künstlerin gestoßen, der zu dieser Zeit viral ging. In ihren Zeichnungen hat sie so viele Situationen beschrieben, in denen ich mich wiedergefunden habe. Da wurde mir klar, dass es eben kein individuelles Problem ist, sondern ein systematisches.

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Übersetzt bedeutet „Mental Load“ so viel wie „mentale Belastung“. Was genau ist damit gemeint?

Mental Load ist die geistige und emotionale Last, die in der Regel von Frauen getragen wird, damit der Familienalltag funktioniert. Dieses Projektmanagement ist in der Wirtschaft ein anerkannter und gut bezahlter Vollzeit-Job, zuhause hingegen unsichtbare Elfenarbeit. Mental Load bezieht sich also weniger auf die tatsächlichen Aufgaben, die im Haushalt und in der Familie anfallen, sondern eher auf deren Organisation und Planung.

Patricia Cammarata hat den Begriff „Mental Load“ in Deutschland bekannt gemacht – und gibt Paaren heute Tipps, wie sie ihren Familienalltag gleichberechtigt gestalten können.
Patricia Cammarata hat den Begriff „Mental Load“ in Deutschland bekannt gemacht – und gibt Paaren heute Tipps, wie sie ihren Familienalltag gleichberechtigt gestalten können. © Eva StolZ

Zum Beispiel?

Es kann sein, dass der Mann zwar den Wocheneinkauf macht, die Frau aber für die Organisation zuständig ist, weil sie den Essensplan erstellt. Der Plan erscheint als etwas ganz Banales, dabei hat beim Erstellen viel komplexe Denkarbeit stattgefunden, die meistens übersehen wird: Was hatten wir letzte Woche zu essen? Was essen die Kinder gerne? Was haben wir für ein Budget?

Oder ein anderes Beispiel: Wenn wir als Paar einen Kindergartenplatz suchen, sorgen wir uns darum, ob das Kind sich dort wohlfühlen wird. Aber auch, ob unser Arbeitsort in der Nähe ist, ob das pädagogische Konzept passt, ob wir uns den Platz leisten können. Das sind alles Fragen, die sich traditionelle eher die Frauen stellen, weil sie über Jahrhunderte so sozialisiert wurden. Sie erarbeiten also eine Grundlage, auf der das Paar dann gemeinsam entscheiden kann. Dadurch kann auch ein Wahrnehmungs-Ungleichgewicht entstehen: Die Frau fühlt sich allein gelassen. Der Mann denkt aber, die Aufgabe war fair verteilt, weil er ja beteiligt war und mitentschieden hat.

„Mental Load“ als Gefahr für romantische Beziehung

Das klingt nach Konflikt-Potenzial.

Über lange Zeit kann sich Frust anstauen, weil sich die Partnerin nicht unterstützt und wertgeschätzt fühlt. Oft machen Frauen ja auch diesen Scherz, dass ihr Mann wie das dritte Kind sei, weil sie für ihn eine Art Mutterrolle übernehmen. Dann besteht die Gefahr, dass der Partner nicht mehr als romantischer Partner gesehen wird.

Die allermeisten Frauen sind heute erwerbstätig. Wirkt sich die hohe Belastung nicht nur auf private Beziehungen, sondern auch auf die Leistung im Job aus?

Familie und Beruf zu vereinen ist generell eine Doppelbelastung, die eher Frauen tragen als Männer. Wenn man die Zeit der Erwerbsarbeit und die Zeit der Sorgearbeit im Haushalt und der Familie zusammenrechnet, dann ist es tatsächlich so, dass Frauen in Summe mehr Stunden arbeiten als Männer – obwohl Frauen häufiger in Teilzeit sind. Überraschenderweise stellt die Erwerbsarbeit für Mütter dabei eher eine Erholung dar. Denn im Job können sie sich auf eine Rolle – die als Arbeitnehmerin oder Arbeitgeberin – konzentrieren. Im Privaten müssen sie hingegen viele Rollen gleichzeitig erfüllen.

Das kann man auch anhand der Hormone sehen: Bei Frauen steigt der Cortisol-Spiegel an, wenn sie in die Erwerbsarbeit gehen. Und er steigt noch weiter an, wenn sie nach Feierabend in ihre Familie kommen. Bei Männern steigt der Cortisol-Spiegel zwar auch bei der Erwerbsarbeit, sinkt dann aber, sobald sie in die Familie zurückkommen. Für sie ist das Zuhause kein Arbeitsort, für die Frauen eben schon.

Den Kopf voller To-dos: „Mental Load“ wird meist von Frauen getragen – und viel zu selten wahrgenommen.
Den Kopf voller To-dos: „Mental Load“ wird meist von Frauen getragen – und viel zu selten wahrgenommen. © Teresa Holtmann | Teresa Holtmann

Die Vermächtnis-Studie hat gezeigt: Erfolg im Beruf ist für viele Frauen mühsam, wenn sie gleichzeitig Kinder versorgen müssen. Immer mehr Frauen wollen laut Befragung daher lieber auf eigenen Nachwuchs verzichten. Überrascht Sie das?

Nein, überhaupt nicht, es ist eher die logische Konsequenz. Wenn man sich als Frau für ein Kind entscheidet, gibt es von Seiten der Politik und der Gesellschaft zu wenig Konzepte, die einen entlasten. Die Politik zielt momentan darauf ab, Frauen in die Erwerbsarbeit zu bekommen – aber macht umgekehrt nicht genug, um Männer auch in die Sorgearbeit zu bekommen.

Es braucht bessere Kinderbetreuung und eine bessere Pflege für Angehörige. Das ist alles lange noch nicht so effektiv, wie es sein müsste, damit das Ungleichgewicht ausbalanciert wird. Es ist ein ganz großes politisches Thema. Und deshalb ist wichtig zu betonen, dass Paare nicht allein die Verantwortung tragen, die Aufgaben fairer zu verteilen, indem sie sich besser organisieren. Da gibt es oft zu wenig Spielraum. Gerade, wenn wenig Geld da ist.

Tipps gegen Mental Load: Unsichtbare Aufgaben sichtbar machen

Abgesehen von den begrenzten Möglichkeiten: Was kann denn jedes Paar tun, um Mental Load zu reduzieren?

Es ist wichtig, dass man die unsichtbaren Aufgaben sichtbar macht. Konkret bedeutet das, dass man bei jeder tatsächlichen Aufgabe auch die emotionalen und organisatorischen Aufgaben, die dahinterstecken, mitdenkt. Es sollte auch nicht eine Chefin im Haushalt geben, die alle Aufgaben im Kopf hat und sie dann delegiert. Jeder sollte in der Beziehung bestimmte Aufgabenbereiche haben, für die er oder sie zuständig ist.

Als Beispiel: Die Frau sollte nicht ihrem Mann auftragen müssen, dass er die Brezeln fürs Schulfest besorgt. Der Mann sollte einfach generell für das Schulfest zuständig sein: Was müssen wir dafür einkaufen? Mit welchen Eltern oder Lehrern muss ich mich absprechen? Gibt es an diesem Datum andere Termine, die wir absagen müssen? Dann kommt es auch nicht zu diesem typischen Vorwurf, der oft zu Streit führt: „Warum hast du denn nichts gesagt? Dann hätte ich dir doch geholfen.“ Es gibt mittlerweile auch schöne Instrumente, die Mental Load sichtbar machen, wie zum Beispiel einen Test unter www.equalcareday.de. Ich rate allen Paaren, diesen einmal zu machen.

>>> Alle Infos zum Buch

Weitere Familien-Themen finden Sie hier:

Raus aus der Mental Load-Falle. Wie gerechte Arbeitsteilung in der Familie gelingt“, Beltz, 224 S., 17,95 €