Herne. Bilfinger will Aus- und Weiterbildung ankurbeln, um Fachkräfte zu finden. Warum CEO Thomas Schulz die „Monster-Bürokratie“ der EU kritisiert.
Bilfinger, Deutschlands führender Industriedienstleister, will seine Aus- und Weiterbildungsaktivitäten verstärken, um seinen Fachkräfte-Bedarf zu decken. Den bundesweiten Startschuss für die Offensive gab Vorstandsvorsitzender Thomas Schulz am Montag am Bilfinger-Standort in Herne. Im Interview erklärt der Manager, warum sein Konzern das Thema Bildung stärker in die eigenen Hände nehmen will, warum er weiter auf Atomenergie setzt und warum er sich um den Industriestandort Deutschland sorgt.
Bilfinger ist als Industriedienstleister auch in der Chemiebranche tätig. Manche Unternehmen denken über eine Verlagerung ihrer Produktion etwa in die USA nach, weil dort hohe Subventionen winken. Sorgt Sie die Krise der energieintensiven Industrie?
Thomas Schulz: Die Chemie und Petrochemie macht 30 Prozent unseres Geschäfts aus. Für mich sind Fakten wichtig, die politische Diskussion ist zweitrangig. Industrieunternehmen investieren in den USA, weil dort die Bürokratie geringer und die Energieversorgung günstiger und vor allem gesichert ist. Das sind drei gravierende Standortvorteile der USA. Bis zu 60 Prozent der Produktkosten können auf Energie entfallen. Deshalb investieren sie dort, wo die Energieversorgung gesichert ist und sie schnell Genehmigungen erhalten. Diese Entscheidung ist nicht vorrangig subventionsgetrieben.
Welche Auswirkungen haben diese Abwanderungen auf den Industriedienstleister Bilfinger?
Schulz: Wir sind weltweit tätig und folgen unseren Kunden. Der größte Bereich unseres Geschäfts ist inzwischen die Energietransformation. Wir helfen Unternehmen international, auf erneuerbare Industrien umzusteigen. Wir kümmern uns zum Beispiel um die Wartung und Instandhaltung von Industrieanlagen, wir konstruieren Rohrleitungen bei Elektrolyseuren, planen den Bau von Batteriefabriken oder Anlagen, die veganen Käse herstellen. Dabei fällt zum Beispiel deutlich weniger CO2 an als bei der Verwendung von Kuhmilch. Grüne Technik aus Deutschland und Europa wird ein Exportschlager sein. Nur dauert das seine Zeit.
Auch interessant
Da sich jedes Unternehmen überlegen muss, wie es von Kohle, Gas und Öl loskommt, dürften die Auftragsbücher von Bilfinger also prall gefüllt sein?
Schulz: Die Monster-Bürokratie der Europäischen Union macht es schwer, Projekte in Europa zu realisieren. Außerhalb der EU-Grenzen ist das einfacher. Deshalb muss es darum gehen, die Industrie in Deutschland zu halten und sie mit alternativen Energiequellen wie Wasserstoff zu versorgen. Dazu braucht man aber eine Brückentechnologie, um die Kehrtwende von fossilen Energieträgern zu ermöglichen.
Welche wäre das?
Schulz: In der ganzen Welt versteht man nicht, warum Deutschland seine letzten drei Atomkraftwerke abgeschaltet hat und stattdessen wieder auf Kohle zurückgreift. Atomenergie wird man in Deutschland so oder so haben – egal ob die Meiler die schwarz-rot-goldene Fahne tragen oder die französische Trikolore. Wir bei Bilfinger haben da einen relativ neutralen Blick: Wir verdienen Geld mit dem Bau neuer Atomkraftwerke, aber auch mit dem Rückbau stillgelegter Anlagen.
Auch interessant
Die Bundesregierung geht aber einen anderen Weg.
Schulz: Ja. Und zudem versucht sie, mit immer mehr Vorschriften und Bürokratie mehr Nachhaltigkeit zu erreichen. Das ist aber der falsche Weg. Kreativität erreicht man nur, wenn man als Team frei im Denken ist und nicht immer neue Regelwerke schafft.
Neben Energie sind Fachkräfte zu einem besonders wertvollen Gut geworden. Sie sind heute nach Herne gekommen, um eine neue Ausbildungsoffensive bei Bilfinger einzuläuten. Was steckt dahinter?
Schulz: Die Ansprüche an unsere Beschäftigung werden aufgrund von Themen wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit immer größer. Deshalb haben wir uns entschlossen, unsere Ausbildungs- und Weiterbildungsaktivitäten zu verstärken und dafür eine eigene Konzerngesellschaft, die Bilfinger Education GmbH, zu gründen. Den internationalen Aufschlag machen wir dazu an unserem Standort für Industriegerüstbau in Herne. Hier, aber auch bei unserem Engineering und der Fertigung in Dortmund oder in Oberhausen, wo wir unter anderem grüne Technologien entwickeln, kann man sehr gut zeigen, wie praktische Ausbildung funktioniert.
Auch interessant
Will Bilfinger auch die Investitionen in Köpfe steigern?
Schulz: Wir haben uns zum Ziel gesetzt, jährlich mehr als 0,5 Prozent des Umsatzes, der im vergangenen Jahr 4,312 Milliarden Euro betrug, in Aus- und Weiterbildung zu investieren. Mit unserem neuen Programm wollen wir neue Azubis werben, unsere Beschäftigten schulen und Seiteneinsteiger für uns gewinnen. Die Zahl der Ausbildungsplätze wollen wir von 250 auf 400 erhöhen.
Hat Bilfinger das Thema in der Vergangenheit vernachlässigt?
Schulz: Nein. In der Vergangenheit hatten wir genügend Azubis und Arbeitnehmer zur Verfügung. Aber die Zeiten haben sich geändert. Deshalb wollen wir die Ausbildung mehr in die eigene Hand nehmen, um den wachsenden Bedürfnissen unserer Kunden entgegenzukommen. Dabei geht es vor allem um qualitative Fragen. Als Industriedienstleister haben wir je nach wirtschaftlicher Lage Höhen und Tiefen. Ausbildung darf aber nicht stoppen. Diesen Anspruch wollen wir nun auch stärker nach außen tragen.
Auch interessant
Sind Sie optimistisch, dass genug Nachwuchs finden werden?
Weitere Texte aus dem Ressort Wirtschaft finden Sie hier:
- Vorwerk-Chef: Meine Frau wollte auch keinen Thermomix haben
- Biermarkt: Darum verkauft Stauder schweren Herzens wieder Dosenbier
- Sorgen bei Thyssenkrupp: „Stahlindustrie kämpft um Existenz“
- Galeria-Doppelschlag gegen Essen: Warenhaus und Zentrale weg
- Menschen in Not: So reagieren Einzelhändler auf Bettler vor ihrer Ladentür
Schulz: Deshalb wollen wir unsere Berufe in der Öffentlichkeit schmackhafter machen. Gerüstbauer und Isolierer sind attraktive Berufe. Und Schweißer können die Karriereleiter ganz hochklettern. Sie arbeiten zum Beispiel an sehr komplexen Rohrleitungen für Spezialanwendungen. Da wir nah bei unseren Kunden arbeiten, gehen Auszubildende gleich auf die Baustelle. Das ist ein großer Vorteil.
>>> Bilfinger: 1600 Beschäftigte in NRW
Der börsennotierte Industriedienstleister Bilfinger beschäftigt weltweit rund 30.000 Mitarbeitende, vor allem in Europa, Nordamerika und im Mittleren Osten. In Deutschland hat der Konzern mehr als 6000 Beschäftigte, davon fast 1600 in NRW.
Zu den wichtigsten Standorten gehören im Ruhrgebiet Dortmund, Oberhausen und Herne. Bilfinger betreibt darüber hinaus Betriebsstätten direkt bei Kunden – so in Gelsenkirchen, Bottrop, Castrop-Rauxel und Duisburg.
Bilfinger schult in NRW über 90 Auszubildende an 28 Standorten. Am Standort in Herne bildet Bilfinger Industrie-Isolierer und Gerüstbauer aus. Parallel unterstützen 18 angehende Anlagenmechaniker in Dortmund die Fertigung hochkomplexer Rohrleitungssysteme für die nuklearen Dampf- und Wasserversorgungssysteme des britischen Kraftwerks Hinkley Point C.