Lennestadt. Tracto aus Lennestadt forscht an „sehenden“ Erdraketen zur unterirdischen Leitungsverlegung. Das stößt über Deutschland hinaus auf Interesse.
Das Sauerländer Maschinenbau-Unternehmen Tracto steht kurz davor, die Welt der unterirdischen Rohr- und Leitungsverlegung noch einmal zu revolutionieren. 2024 könnten radargesteuerte Erdraketen marktreif werden. Eine Entwicklung, für die zunächst Millionen Fördergelder über das Programm Orfeus aus der Europäischen Union flossen, bis das Programm 2018 auslief. Nun ist das US-amerikanische Verkehrsministerium als Partner im Entwicklungskonsortium angegeben, an dessen Spitze Tracto steht.
20 Jahre Technologievorsprung
Die Wände im Treppenhaus der Firma Tracto in Lennestadt-Saalhausen, an der Grenze der Kreise Olpe und Hochsauerland, gleichen einer Galerie für Erfindergeist. Eng an eng hängen dort viele der Patente, die das Sauerländer Unternehmen zum absoluten Technologieführer beim unterirdischen, grabenlosen Bohren gemacht haben. Es ist quasi Maulwurftechnik auf höchstem Niveau. „Wir waren teilweise so weit voraus, dass wir den Schritt vom Mars wieder zurückgehen mussten“, beschreibt Geschäftsführer Tim Hofmeister . Obwohl es große Mitbewerber in den USA und auch China beim grabenlosen Verlegen von Leitungen gibt, hält man die eigene Technik für konkurrenzlos überlegen. Laufen Patente einmal aus, so dass die Sauerländer Technik nachgebaut werden kann, „haben wir immer noch 20 Jahre Vorsprung“, erklärt Hofmeister selbstbewusst wie gelassen.
Die Treppenhaus-Galerie am Hauptsitz von Tracto in Lennestadt ist eine Hommage an den Unternehmensgründer und Bergbauingenieur Paul Schmidt und dessen 2020 verstorbenen Sohn Wolfgang. „Paul Schmidt war ein sehr sozialer Mensch und ein Daniel Düsentrieb, immer auf der Suche nach Lösungen, die für den Menschen förderlich sein könnten. Er kam auf viele interessante Ideen“, sagt der Tracto-Chef Tim Hofmeister. Frühe Erfindungen waren beispielsweise der „Klingelschlauch“, wie er früher dem Tankwart Kundschaft signalisierte, oder auch die Kragenstäbchen für Hemden. Erfunden im Sauerland.
1962 gründete Schmidt das Unternehmen Tracto-Technik, das in den 70er Jahren mit dem Bau von Erdraketen begann, dem „Brot und Butter-Produkt“, das für den Tiefbau ohne Gräben ständig weiterentwickelt wurde. Firmengründer Paul Schmidt habe es in der Firmen-DNA tief verankert, „frei denken, ja spinnert sein zu dürfen“, schwärmt der gebürtige Lennestädter Hofmeister, der früher für die Unternehmensberatung PWC gearbeitet hat, 2010 von Wolfgang Schmidt zu Tracto abgeworben wurde und nun sogar Gesellschafter ist.
„Das Unternehmen hatte Phasen, da kam auf einen Mitarbeiter ein Patent“, sagt Peter Kaufmann. Der Finanzexperte und frühere Chef der Tracto-Hausbank ist einer der drei Vorstände der gemeinnützigen Paul-und-Wolfgang-Schmidt-Stiftung, in die seit Ende 2022 60 Prozent der heutigen Firmenanteile der Erfinderfamilie eingeflossen sind.Tim Hofmeister wurde zu 16 Prozent beteiligt, Nichten und Neffen des kinderlosen Wolfgang Schmidt halten 24 Prozent der Anteile.
Die Tracto-Group wächst mit den Zukunftsthemen Digitalisierung, Energiewende und Schutz der Ressource Wasser. „Wir haben jetzt einen Glasfaserboom. Das nächste wird der Ausbau der Stromnetze sein“, sagt Tim Hofmeister. Erdkabelverlegung ist in den USA ein großes Thema. Der Spezialmaschinenhersteller produziert neben den Erdraketen auch mobile Bohranlagen und tonnenschwere Erdrammen für große Durchmesser, um ohne zeitaufwendige Baustellen beispielsweise Bahnstrecken, Flüsse oder Naturschutzgebiete zu unterqueren (siehe Grafik ).
Für Energiewendeprojekte, etwa die Vernetzung von Windparks, oder auch den jetzt endlich in Deutschland in Schwung kommenden Übertragungsstromnetzausbau von Amprion und Co. sei Technik von Tracto im Tiefbau ideal, beispielsweise bei der Trasse „SuedLink“, die durch Südwestfalen führen soll: „Für die Untertunnelung von Naturschutzgebieten ist unsere Technik alternativlos“, denkt Tim Hofmeister. Dass die Sauerländer Maschinen rund um den Globus als bestmögliche Technik für ressourcenschonendes und umweltfreundliches Verlegen von Leitungen für Strom oder Glasfaser bis hin zu Pipelines gefeiert werden, die Technik aber in der Heimat Deutschland nach wie vor nicht dieses Ansehen genießt, löst bei Tracto nach wie vor Kopfschütteln aus. Ende Juli erst wurde eine neue DIN-Norm zum beschleunigten Glasfaserausbau beschlossen, die eine oberflächennahe Verlegung präferiert. Die Technik von Tracto ist zwar erlaubt und aus Sicht des Unternehmens nachhaltiger und kostengünstiger, findet aber in der neuen DIN-Norm keine Erwähnung.
Know-how bleibt im Sauerland
Das Wachstum von Tracto dürfte dies kaum aufhalten. Das nächste große Geschäftsfeld dürfte die Trink- und Abwasserversorgung sein. Täglich gingen durch marode Wasserleitungssysteme weltweit etwa 346 Milliarden Liter Wasser, der in Zukunft vielleicht wichtigsten Ressource überhaupt, verloren. Hier haben die Lennestädter Maschinen entwickelt, die undichte Leitungen sanieren. Noch ist das Wasserthema nicht im Fokus.
Ständige Innovationen sind der Schutz, um vom Standort Deutschland weiter die Welt des grabenlosen Bohrens zu erobern. In Europa, Amerika oder Australien. Rund 50.000 Quadratmeter Produktionsfläche bespielt Tracto aktuell im Sauerland. 500 der rund 750 Beschäftigten arbeiten hier. Rund einhundert sind mit Forschung und Entwicklung beschäftigt. Der Kurs steht auf Wachstum. Weitere 50.000 Quadratmeter hat sich das Unternehmen in der Nachbarschaft gesichert. Auch in Zukunft werde Deutschland der Produktionsstandort Nummer eins sein. „Möglich, dass wir irgendwann einmal näher am Markt produzieren müssen“, sagt Hofmeister. In den USA - wo sonst – gibt es bereits eine kleinere Produktionsstätte.
China ist als Markt tabu
Bestimmte Regionen sind aber für Tracto tabu. „China ist für uns absolut kein Markt, wir sind westlich orientiert“, betont der Firmenchef. Tracto soll Innovationsführer bleiben. Um die Ecke bohren ist für die Sauerländer schon lange kein Problem mehr. 2019 wurde bereits ein voll mit einer Cloud vernetztes Bohrgerät auf den Markt gebracht. Bis 2030 soll autonomes Bohren möglich sein.
Was sich wie Science-Fiction anhört, scheint durchaus realistisch zu sein. Auch dies hängt mit dem zunächst von der EU geförderten und nun in Kooperation mit den USA und Firmen aus Italien, England und Frankreich durchgeführten Forschungsprojekt für die „Radar-Erdrakete“ zusammen. Mehrere Millionen Euro wird Tracto am Ende der Orfeus-Forschung aus eigenen Mitteln zur Entwicklung beigesteuert haben. Im Bohrkopf wird dann in Zukunft eine Technik verbaut, die erkennt, was sich vor dem Bohrer befindet: Gestein, Gasleitung, Weltkriegsbombe? „Wenn das möglich sein wird, wird es revolutionär“, ist Hofmeister überzeugt. Schon kommendes Jahr soll es so weit sein.