Menden. Der Unternehmer Hermann-Josef Schulte aus Menden glaubt an die Vision vom Schmelz:Werk, wo mit virtuellen Mitteln Karrieren beginnen könnten.

Der junge Mann, nennen wir ihn Anton, weiß noch nicht so recht, was er mit seinem Leben anfangen soll. Bald wird er 15, auf der Realschule schlängelt er sich so durch. Das Pauken liegt ihm nicht besonders, die Praxis schon eher. Er will eine Ausbildung machen. Irgendwas mit Autos und coolen Computern. In der Schule haben sie mal kurz über Berufe gesprochen. Doch die Zeit war knapp. Anton ist ratlos. Er steigt in den Bus und fährt nach Menden. Ins Schmelz:Werk. Dort setzt er die VR-Brille auf, zieht den Datenhandschuh an und lernt spielerisch, aber ganz praktisch, was ein Mechatroniker denn alles so macht und was er in der Ausbildung draufhaben muss. Die Job-Agentur hat im Schmelz:Werk ein Büro; sie vermittelt den Kontakt zu einer Firma, die Anton ausbilden will. Mit seiner Handy-App holt er weitere Infos ein.

Abgeordnete sollen Türen öffnen

Diesen Anton, es könnte auch eine Antonia sein, gibt es nicht wirklich. Und doch leben zigtausend junge Menschen in Deutschland, denen es so ergeht wie ihm und ihr. Sie suchen einen Ausbildungsplatz, sind aber unschlüssig, welcher der richtige für sie ist. Weil sie nicht genug darüber wissen. Gleichzeitig brauchen Unternehmen dringend Nachwuchs. Der Fachkräftemangel nimmt zu.

Das Mendener Schmelz:Werk gibt es auch nicht wirklich. Noch nicht. Aber es existiert in den Köpfen des Unternehmers Hermann-Josef Schulte und seiner Mitstreiter. Jetzt hat Schulte seine Idee den SPD-Politikern Bettina Lugk und Dirk Wiese vermittelt. Lugk vertritt den Märkischen Kreis im Bundestag, Wiese ist dort stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion. Er leitet die NRW-Landesgruppe seiner Partei, ist gut vernetzt und kann vielleicht so manche Tür öffnen.

Der Unternehmer Hermann-Josef Schulte bei der ersten großen Vorstellung des Projektes im Jahr 2018 im früheren Schmelzwerk.
Der Unternehmer Hermann-Josef Schulte bei der ersten großen Vorstellung des Projektes im Jahr 2018 im früheren Schmelzwerk. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Bei der Präsentation gibt es viele lobende Worte für das Projekt. Von der Agentur für Arbeit, vom Märkischen Arbeitgeberverband, von der Kreishandwerkerschaft, von Unternehmerinnen und Unternehmern sowie von der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer. „So etwas wäre für uns eine große Hilfe“, sagt etwa Sandra Pawlas, Geschäftsführerin der Arbeitsagentur in Iserlohn. Die jungen Menschen könnten mit dem Schmelz:Werk aus eigenem Antrieb und mit Spaß etwas über Ausbildungsberufe erfahren. Virtuell, digital, auf dem Handy, aber eben auch in einem coolen Begegnungszentrum. Ihre Behörde könne das nicht leisten, dieser Tanker sei zu unbeweglich. SIHK-Hauptgeschäftsführer Ralf Geruschkat gibt zu bedenken, dass Südwestfalen vor dem Hintergrund des A-45-Debakels einen Nachteilsausgleich in Form eines solchen Projekts gut gebrauchen könne. Denn die ersten Arbeitsplätze wanderten bereits ab.

Viel moralische Unterstützung also, aber ohne die finanzielle Hilfe aus Berlin lässt sich das Projekt nicht schultern. Schulte hat gemeinsam mit anderen Unternehmern nach eigenen Angaben schon mehr als 500.000 Euro in das Projekt investiert, eine GmbH gegründet, eine Machbarkeitsstudie erstellt und einen Geschäftsführer eingestellt.

Kosten auf 61,4 Millionen Euro berechnet

Der heißtChristian Spanckenund ist IT-Experte aus Menden. Als er in seiner Powerpoint-Präsentation den Finanzbedarf für die ersten fünf Jahre an die Wand wirft, ziehen Lugk und Wiese die Augenbrauen hoch: 61,4 Millionen Euro, 100 Prozent Bundesmittel. Beide finden die Idee im Prinzip gut, beim Geld hört der Jubel aber auf. „Das ist ambitioniert“, sagt Wiese und verweist darauf, dass die Haushaltsberatungen in Berlin ohnehin schon weit fortgeschritten seien. Jetzt mal eben noch ein paar Millionen einspeisen zu wollen, sei schwierig.

Der SPD-Politiker schlägt deshalb vor, zweigleisig zu fahren und sich mit dem Projekt beim NRW-Strukturförderprogramm Regionale 2025 zu bewerben. Zumindest der Aufbau der digitalen Plattform, also einer App, passe sehr gut in das Regionale-Profil.

Hermann-Josef Schulte, den sie in Menden nur HJS nennen, will die Idee prüfen, sagt er nach dem Treffen. Er ist ein hartnäckiger Mensch, in der Realschule musste er zwei Ehrenrunden drehen, trotzdem baute er später ein erfolgreiches Unternehmen für Abgassysteme und Katalysatoren auf. Vielleicht könne man zunächst einige kleinere Projektmodule starten, um die Anfangskosten zu drücken, sagt er.

Das Schmelz:Werk dreht schon seit fünf Jahren Runden in seinem Kopf; 2018 hat er die Idee erstmals öffentlich präsentiert. Dann kamen Regierungswechsel, Corona und Ukraine-Krieg. Schulte gehört nicht zu den Menschen, die schnell aufgeben. Dass Lugk und Wiese nicht mit dem Geldkoffer in Menden aufkreuzen würden, war ihm bewusst.

Kleine Brötchen backen wollen er und sein Team nicht. Schulte spricht von einem Leuchtturmprojekt, das weit über Südwestfalen hinaus Strahlkraft erzeugen soll. Vom Schmelz:Werk als Bundespilotprojekt. Die digitale Transformation, der Fachkräftemangel, der gewünschte Einstieg von Migranten in den Arbeitsmarkt, die sich in einem enormen Tempo wandelnden Berufsbilder, das lebenslange Lernen: All das bilde eine gesellschaftspolitische Dimension, die von der Politik in Berlin stärker in den Fokus gerückt werden müsse.

Die Azubis in seinem Betrieb pflege er mit den Worten zu begrüßen: „Jetzt beginnt nicht der Ernst Eures Lebens. Jetzt beginnt die geilste Zeit Eures Lebens: Und Ihr kriegt sogar noch Geld dafür.“ Wenn das Schmelz:Werk jungen Menschen irgendwann einmal dabei hilft, auch den geilsten Beruf des Lebens zu finden, dann haben Schulte und sein Team ihre Mission erfüllt.

Produktionshalle

Das echte Schmelzwerk ist eine Produktionshalle der ehemals in Menden ansässigen Firma Schmöle, seinerzeit größter Arbeitgeber der Stadt. Zwischendurch wurde das Gebäude als Party-Location genutzt, muss nun aber wegen zu großer Altlasten abgerissen werden.

Zudem befindet es sich im Überflutungsbereich der Hönne. Die Idee, dort das neue Schmelz:Werk zu etablieren, musste deshalb verworfen werden.