An Rhein und Ruhr. . Die Digitalisierung bedroht offenbar mehr Arbeitsplätze als gedacht. Besonders betroffen sind etwa Fertigungsberufe oder der Bereich Logistik.
Die massiven Umwälzungen durch die Digitalisierung treffen offenbar viel mehr Menschen am Arbeitsplatz als bisher erwartet. Rund 1,7 Mio Beschäftigte in Nordrhein-Westfalen müssen davon ausgehen, dass es zumindest technisch schon jetzt möglich wäre, dass Computer 70% oder mehr ihrer Tätigkeiten übernehmen. Das ist das Fazit einer neuen Untersuchung des Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
Eine vorangegangene, erst 2017 veröffentlichte Studie war noch von etwa einer Million Menschen ausgegangen. Die Wissenschaftler vom IAB verweisen auf rasante Fortschritte etwa bei Sensortechnik oder Robotik und auf Veränderungen in Berufsbildern. Bangemachen wollen sie ausdrücklich nicht: Im Zuge der Digitalisierung entstünden auch neue Tätigkeiten oder gar ganz neue Berufe.
Große regionale Unterschiede
Bei der Arbeitsagentur will man die Digitalisierungsstudie als Weckruf verstanden wissen: 26 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen arbeiten laut einer Untersuchung des Institutes IAB in
Berufen, bei denen Maschinen schon jetzt 70 % oder mehr der Tätigkeiten übernehmen könnten – so zumindest ist der Stand der Technik. Die Jobs fallen deshalb nicht unbedingt alle weg, schon gar nicht von heute auf morgen. Klar ist aber, die Berufe verändern sich. „Wir müssen die Zeit nutzen“, mahnt Christiane Schönefeld, die Chefin der Regionalagentur für Arbeit NRW. Qualifizierung werde immer wichtiger.
Besonders betroffen: Südwestfalen mit seinen vielen kleinen und mittleren Fertigungsbetrieben aus der Eisen- und Metallindustrie. Im Kreis Olpe etwa arbeiten mehr als 40 % der Beschäftigten in Berufen mit besonders großem Digitalisierungspotenzial. In Bonn hingegen sind es nur 15,8 % und in Düsseldorf 17,4 %. Der Niederrhein liegt mit seinen Landkreisen Wesel, Kleve und Viersen ziemlich genau im NRW-Schnitt. Unterschiede gibt es im Ruhrgebiet: Während Duisburg mit seiner Logistik und seiner Fertigungsindustrie auf einen Anteil von 27,3 % kommt, liegt die Dienstleistungsstadt Essen unter 20.
Firmen hinken dem Wandel hinterher
Die jetzt veröffentlichte Studie stützt sich auf Daten aus dem Jahr 2016, eine vorangegangene Untersuchung basierte auf Material aus 2013. „2019 wird die nächste anstehen“, sagte Dr. Frank Bauer vom IAB. So rasant ist der technische Wandel. Viele Firmen hinken hinterher. Eine bundesweite Befragung hat ergeben, dass erst etwas mehr als die Hälfte aller Betriebe moderne digitale Technologien nutzt, ein Drittel hat sich noch gar nicht damit beschäftigt, darunter vor allem kleinere Betriebe. Vor Ort sind meist
beträchtliche Investitionen nötig. Die Tendenz freilich geht dahin, so Frank Bauer, dass der digitale Wandel immer weiter voranschreitet.
Längst betrifft der Wandel nicht nur ungelernte Helfer, sondern ganz wesentlich auch die Gruppe der Fachkräfte. Bauer sagt ihr voraus, dass sie mit dem Anpassungsdruck zurechtkommen wird. Es gelte nicht unbedingt, neue Berufe zu lernen, wohl aber „neue Elemente der Tätigkeiten“. Wobei laut IAB-Studie durchaus auch neue Berufe entstehen, etwa der „Interfacedesigner“. Ausdrücklich weisen die Forscher daraufhin, dass Digitalisierung kein Jobkiller sein muss, sondern auch neue Beschäftigung entstehen kann.
Nach Ansicht von Regionalchefin Schönefeld ist die Beratungs- und Qualifizierungslandschaft für die Herausforderungen der Digitalisierung noch gar nicht recht gerüstet: „Die Gesellschaft muss da investieren“, sagte Schönefeld gestern. Die Arbeitsagentur selbst befinde sich mitten im Umbau – von einer Vermittlungsinstitution zunehmend auch zu einer Beratungsinstitution. „Wir setzen unsere Kräfte mehr und mehr im Bereich Beratung ein“, berichtet die Regionalagenturchefin. In Düsseldorf etwa als einem bundesweit drei Modellstandorten erprobt die Agentur seit einem Jahr eine „lebensbegleitende Berufsbegleitung“. Zielgruppe sind neben Schülern, Studenten und Studienabbrechern verstärkt auch Berufstätige.
>>>>>HINTERGRUND
In sogenannten Fertigungs- und fertigungstechnischen Berufen ist der Anpassungsdruck am höchsten. Den Forschern zufolge könnten hier s chon heute 83,6 bzw. 70,4 % der Tätigkeiten von Computern übernommen werden. Konkret geht es da um Berufe etwa in den Branchen Maschinenbau, Metallerzeugung und -bearbeitung oder der Chemie. Bei Berufen aus den Bereichen unternehmensbezogene Dienstleistungen, Unternehmensorganisation, Verkehr und Logistik sind es um die 60 %.