An Rhein und Ruhr. . Die Angst vor leeren Bankautomaten zeigt: Digitales Zahlen ersetzt das Bargeld in Deutschland nicht. Doch die EC-Karte bleibt eine Alternative.

Die Vorstellung, dass die Geldautomaten in der Essener Innenstadt wegen eines Streiks der Geldboten keine Scheine mehr ausspuckten, treibt Laura Kryeziu den Schrecken ins Gesicht. Dabei zückt sie für größere Beträge sowieso ihre Bankkarte. Doch so wie die 17-Jährige können sich viele Menschen in Deutschland ein Leben ohne Bargeld nicht vorstellen – trotz diverser digitaler Zahloptionen wie Giro-, Kreditarten oder Apps.

Komfort gegen Überwachung

Angst vor leeren Geldautomaten kam auf, nachdem die Gewerkschaft Verdi Geldtransporter-Fahrer zum Warnstreik aufgerufen hatte. Die erwarteten Auswirkungen blieben zwar aus, doch offenbarten die Befürchtungen eine anhaltende Liebe der Deutschen zum Bargeld.

Prof Dr Tobias Kollmann, Inhaber des Lehrstuhls für E-Business an der Universität Duisburg/Essen
Prof Dr Tobias Kollmann, Inhaber des Lehrstuhls für E-Business an der Universität Duisburg/Essen © Tietz

Wirtschaftsinformatiker Tobias Kollmann von der Universität Duisburg-Essen führt dies auf das Bedürfnis nach größtmöglicher Freiheit und auf die Angst vor Überwachung zurück. Diese sei im Vergleich zu Ländern wie Großbritannien oder den Niederlanden deutlich ausgeprägter. „Dort zählt vor allem Komfort. Der Deutsche hingegen liebt seine Ungebundenheit im Zahlungsverkehr.“ Vor allem die Gewohnheit sei ein wichtiger Faktor. „Wir halten an dem fest, was wir kennen. Digitale Innovationen und die zugehörige Bereitschaft zur Verhaltensänderung sind in unserer Gesellschaft offenbar nicht so stark veranlagt.“

Für Laura Kryeziu gehören Münzen und Scheine nach wie vor in den Geldbeutel: „Ich bin mit Bargeld aufgewachsen. Man hat so einen besseren Überblick über seine Finanzen. Alles digital zu bezahlen, wäre ungewohnt.“

Aber rund die Hälfte des Umsatzes erfolgt noch in bar

Der Anteil der Bargeldzahlungen am Einzelhandelsumsatz sinkt kontinuierlich, wenn auch auf niedrigem Niveau.

Die Hälfte des Umsatzes wurde 2017 noch in bar abgewickelt.

Knapp 47 Prozent machten Kartenzahlungen aus, die laut Studien immer weiter zugelegt haben.

Die Reaktion der Verbraucher auf digitale Zahlungsmöglichkeiten reiche von Unsicherheit im Umgang mit technischen Mitteln bis zur bewussten Entscheidungen gegen bargeldloses Zahlen, weiß David Riechmann. Der Referent bei der Verbraucherzentrale NRW begrüßt die Innovationen im Zahlungsverkehr – solange der Verbraucher die Wahl habe, auch auf Bargeld zurückzugreifen.

Für Marc Heistermann, Geschäftsführer des Handelsverbands Nordrhein-Westfalen Ruhr, geht der Trend trotz aller Liebe zu Scheinen und Münzen klar zum bargeldlosen Zahlungsverkehr. „Das Zahlen wird technisierter, das ist die Zukunft.“ Die großen Filialisten hätten sich längst darauf eingestellt: „Sie wollen es den Kunden möglichst einfach machen“. Auch den Händlern selbst komme das bargeldlose Zahlen günstiger.

Verbraucher beeinflussen Zahlungsmöglichkeiten

Letztendlich habe aber der Verbraucher den Einfluss, sagt Heistermann. „Ein Händler, der ein älteres, weniger technikaffines Publikum hat, kommt mit der konventionellen Bezahltechnik länger aus. Der Kunde entscheidet.“ Und der bleibt in Deutschland bei Bar- und Kartenzahlung, wie aus Studien zu Zahlungssystemen im Einzelhandel des Kölner Handelsforschungsinstituts EHI hervorgeht.

 Bargeld am Automaten Foto: Holger Hollemann/dpa
Bargeld am Automaten Foto: Holger Hollemann/dpa

Das Institut geht von einem weiteren Anstieg der Kartenzahlungen in den kommenden Jahren aus. Zwar seien nun auch Bezahlsysteme für Handys auf dem Vormarsch, sagt Verbraucherschützer David Riechmann, doch „das bietet noch längst nicht jede Bank an.“

Insbesondere das Thema Datenschutz halte Verbraucher vom digitalen oder gar mobilen Zahlen ab. „Wer keine Daten hinterlassen möchte, zahlt eher in bar.“ Beim Zahlen per App sei ein bewusster Umgang gefragt, so Riechmann. „Wenn das Handy verloren geht, sollte man wie beim Verlust der Bankkarte umgehend seine Bank informieren und das auf dem Gerät hinterlegte Zahlungsmittel sperren lassen.“

Bezahl-Apps misstraut Hans Joachim Thiel prinzipiell, aus Angst vor Hackern. So greift der 70-Jährige an der Kasse weiterhin ins Portemonnaie statt zum Handy. Sollte der Automat in der Essener Innenstadt wegen eines Streiks aber kein Bargeld ausgeben, so habe er „einfach Pech gehabt“ – und würde im Supermarkt kurzerhand die Bankkarte zücken.

Trotz aller Vorbehalte in der Gesellschaft glaubt Wirtschaftsinformatiker Kollmann an einen Mentalitäts-Wandel: „Die kommenden Generationen werden mit weniger Skepsis gegenüber digitalen Bezahlformen aufwachsen.“