Berlin. Die Fluggesellschaft Ryanair ist bekannt für Billigtickets. Doch Berliner Beschäftigte berichten von massivem Verkaufsdruck an Bord.
Maria kann nicht mehr. Seit vielen Jahren arbeitet die junge Südeuropäerin, die eigentlich anders heißt, in Berlin für die irische Fluggesellschaft Ryanair. Nun will sie Schluss machen. „Wenn du vor und nach der Arbeit so gestresst bist, dass du dich auch physisch krank fühlst, musst du dich fragen, ob es das wert ist“, sagt die Mittdreißigerin. „Ich kann nachts nicht schlafen. Wofür? Um noch mehr Rubbellose zu verkaufen?“
Die Flugbegleiterin berichtet von einem „toxischen Arbeitsumfeld“ und hohen Anforderungen. „Unser Verkaufsdruck ist enorm“, sagt die Ryanair-Mitarbeiterin. „Wir sollen so viel wie möglich verkaufen, auch wenn die Passagiere schlafen“, betont sie. Dabei setze das Unternehmen auf Wettbewerb unter den Flugbegleiterinnen und Flugbegleitern. Wer wiederholt weniger Rubbellose, Snacks oder Parfüm verkaufe als andere und festgesetzte Verkaufsziele nicht erreiche, müsse mit einer Abmahnung rechnen, berichtet Maria.
Weil auch Beförderungen oder der Wechsel des Einsatzortes von guten Verkaufszahlen abhängig seien, kauften einige ihrer Kollegen die angebotenen Ryanair-Produkte einfach selbst. „Ich kenne Leute, die haben eine Parfüm-Kollektion zu Hause“, sagt Maria. Andere kauften Weihnachtsgeschenke im Ryanair-Bordshop, um die Verkaufsziele zu erreichen.
Ryanair vermeldet Rekordgewinn
Ryanair steht wie kaum eine andere Fluggesellschaft für günstige Flugpreise. Die Airline wirbt auch heute noch mit Tickets für weniger als 20 Euro, obwohl das Preisniveau im deutschen Flugverkehr in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen ist. Nach dem Einbruch in der Corona-Zeit ist das Unternehmen mit seiner Low-Cost-Strategie sogar erfolgreicher als je zuvor. Ryanair vermeldete zuletzt einen Rekordgewinn von rund 1,9 Milliarden Euro.
In Deutschland ist das Unternehmen allerdings auf dem Rückzug. Unter anderem am Flughafen BER will die Airline das Angebot weiter reduzieren. Statt neun sollen im kommenden Sommer nur noch sieben Ryanair-Maschinen am Hauptstadtflughafen stationiert sein. Damit sinkt die Zahl der Ryanair-Beschäftigten am BER nach Angaben des Unternehmens um etwa 60 auf rund 200.
Auch interessant
Dass es aufgrund dieser Entscheidung am Ryanair-Standort Berlin zu Entlassungen kommen wird, ist nicht ausgemacht. Anna, die eigentlich anders heißt, glaubt es nicht. „Wir haben in unserer Basis eine hohe Fluktuation“, berichtet die Berliner Ryanair-Flugbegleiterin. „Es ist die ganze Zeit ein Kommen und Gehen“, sagt sie. Die große Mehrheit der Beschäftigten stamme aus Süd- und Osteuropa. An anderen Standorten ist die Situation ähnlich.
Beschäftigte kämpfen für Betriebsrat bei Ryanair
Auch Anna ist unzufrieden mit den Arbeitsbedingungen bei Ryanair. Doch anders als Maria will sie vorerst bleiben. Sie hofft auf Verbesserungen, etwa durch einen Betriebsrat. Seit knapp zwei Jahren versuchen einige Ryanair-Beschäftigte, die Arbeitnehmervertretung in Berlin zu etablieren und mit Unterstützung der Gewerkschaft Verdi vor Gericht gegen Ryanair durchzusetzen.
Zuletzt errangen sie einen Etappensieg vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, das die Ryanair-Basis am Hauptstadtflughafen als betriebsratsfähige Einheit anerkannte. Denn angestellt sind die Berliner Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter in der Regel bei Malta Air, einer Tochtergesellschaft von Ryanair mit Sitz auf Malta. Einige, so berichten es Anna und Maria, arbeiteten aber auch mit befristeten Verträgen bei der Personalfirma Cabin Crew International.
Wie der Hauptsitz ihres Arbeitgebers auf Malta aussieht, wissen Anna und Maria nicht. Sie waren nie da. Für wichtige Gespräche mit dem Management würden sie nach Dublin verbunden, so etwa bei ausbleibenden Verkaufserfolgen. „Ein Kollege von mir hat das gerade hinter sich“, berichtet Anna. Beim Gespräch habe er sich erklären müssen. „Er liebt den Job“, sagt Anna. Weil sich seine Verkaufszahlen aber auch danach nicht verbessert hätten, habe er eine Abmahnung bekommen.
Für jedes verkaufte Produkt bekommen die Ryanair-Beschäftigten eine Provision in Höhe von zehn Prozent des Verkaufspreises. So verdienen sich die Beschäftigten etwas zum Gehalt dazu. Wie Maria und Anna berichten, seien es auf ihren Flugstrecken allerdings oft weniger als 100 Euro pro Monat. Nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben blieben ihnen monatlich in etwa 2200 Euro zum Leben. Flugbegleiterinnen bei Ryanair haben bis zu vier Flüge am Tag.
Krankmeldungen: Wie Ryanair Druck auf seine Beschäftigten ausübt
Als problematisch sehen die beiden Flugbegleiterinnen auch den Umgang ihres Arbeitgebers mit kurzfristigen Krankmeldungen. Maria berichtet, eine Abmahnung bekommen zu haben, weil es ihr kurz vor dem Flug sehr schlecht gegangen sei und sie nicht habe fliegen können. Denn Krankmeldungen, so berichten es Maria und Anna, müssten zwei Stunden vor dem Flug bei ihrem Arbeitgeber eingehen.
Das sei aber kaum möglich, wenn Beschäftigte um sechs Uhr morgens fliegen müssten und dafür erst nach vier Uhr aufstehen. „Wenn du mit einer Erkältung aufwachst, kannst du dich dann nicht mehr krankmelden“, sagt Anna. Die einzige Möglichkeit sei dann eine Anordnung des Flugzeugkapitäns, dass die Flugbegleiterin nicht mitfliegen könne, weil sie krank sei. Das hatte auch Maria getan. Sie habe aber schlussendlich trotzdem eine Abmahnung bekommen, berichtet sie, weil sie schon auf dem Weg zur Arbeit krank gewesen sei und nicht hätte am Flughafen auftauchen dürfen. Im Nachhinein sei sie immer wieder von ihrem Arbeitgeber über ihre Krankheit ausgefragt worden.
Ryanair drohte nach Krankmeldungen mit „Disziplinarmaßnahmen“
„Viele Kollegen gehen krank zur Arbeit“, sagt Anna. „Bei einer Kollegin bluteten einmal die Ohren“, berichtet die Flugbegleiterin. Sie habe Probleme mit den Trommelfellen gehabt und sei trotzdem zur Arbeit gegangen. Ein anderer sei mit geschwollenem Fuß zur Arbeit gekommen. „Sein Fuß war so groß wie ein Ballon“, sagt Anna.
Für zusätzlichen Druck auf Beschäftigte, die häufiger krank sind, sorge das Unternehmen mit Briefen, berichtet Anna. In den Schreiben werden Mitarbeitern die Fehltage vorgehalten. Der Morgenpost liegt ein solcher Brief an einen Ryanair-Beschäftigten vor. Darin heißt es: „Wir werden Ihre Abwesenheit vom Arbeitsplatz weiterhin überwachen. Wir erwarten eine sofortige und deutliche Verbesserung Ihrer Anwesenheit bei der Arbeit. Andernfalls müssen wir möglicherweise Disziplinarmaßnahmen wegen Störungen in Betracht ziehen.“ Das mache Eindruck bei vielen Beschäftigten, sagt Anna. „Wenn du das nächste Mal krank bist, denkst du darüber nach“, betont die Flugbegleiterin.
Ryanair äußert sich auf Nachfrage unserer Redaktion zu den Vorwürfen nicht im Detail. „Malta Air hält alle europäischen und deutschen Gesetze ein, einschließlich der Vorschriften zur Meldung von Abwesenheiten“, teilt das Unternehmen lediglich mit. Zum von den Beschäftigten beklagten Verkaufsdruck heißt es vonseiten des Unternehmens nur: „Verkäufe an Bord sind ein routinemäßiger und normaler Teil der Rolle des Kabinenpersonals in der europäischen Kurzstreckenluftfahrt.“
Die tatsächlichen Namen von Maria und Anna sind der Redaktion bekannt. Zu ihrem Schutz sind sie geändert.