Pfaffenhofen an der Ilm. Der Chef des Babynahrungsproduzenten HiPP blickt optimistisch in die Zukunft. Ein Rückzug aus Deutschland kommt nicht in Frage.
Vor dem Werk des Babynahrungsproduzenten HiPP im bayerischen Pfaffenhofen türmen sich die Möhrenberge. Das Wurzelgemüse hat Saison, viele Landwirte liefern es derzeit an. Im Werk verarbeiten hoch automatisierte Maschinen die Möhren, schälen sie, entfernen schwarze Stellen. Ein Raum weiter schneidet ein Mitarbeiter einen riesigen Käselaib in kleine Stücke. Über Fließbänder rauschen die Beikostgläschen vorbei, rund eine Million Stück wird hier pro Tag produziert. Seit 2021 führt Stefan Hipp zusammen mit seinem Bruder Sebastian die Geschäfte des Familienunternehmens, das Vater Claus Hipp weltbekannt gemacht hat. 3200 Beschäftigte zählt HiPP mittlerweile, verkauft seine Produkte auf allen Kontinenten außer Australien. An einen Rückzug aus Deutschland denkt Hipp nicht, wie er im Gespräch bekräftigt. Im Gegenteil.
Herr Hipp, die Stimmung in der Wirtschaft ist schlecht. Hinzu kommen der Regierungsbruch und die Wiederwahl Donald Trumps, der mit Zöllen droht. Wie blicken Sie auf die Lage?
Stefan Hipp: Grundsätzlich bin ich Optimist, und es wird schon alles wieder werden in Deutschland. Ich kann verstehen, dass es Unzufriedenheit und eine große Verunsicherung gibt. Aber wir haben auch viele Jammerer im Land. Dabei ist nicht alles schlecht. Umso wichtiger ist, jetzt schnell eine stabile Regierung zu bilden und die Basis für Sicherheit und Zuversicht zu legen. Unsicherheit hemmt alles.
Was muss eine neue Regierung anpacken?
Hipp: Vor allem muss Bürokratie abgebaut werden. Die EU hat in den letzten fünf Jahren 13.000 Gesetze erlassen. Zum Vergleich: In den USA waren es nur 5500.
Der Kanzler hatte in Aussicht gestellt, das Lieferkettengesetz aussetzen zu wollen. Würde Ihnen das helfen?
Hipp: Wir haben seit vielen Jahrzehnten Lieferkettentransparenz bei HiPP. Wir wissen, von welchen Erzeugern wir kaufen und wie diese aufgestellt sind. Für uns ist das Lieferkettengesetz keine große Änderung – mit Ausnahme der Dokumentationspflichten. Viele kleinere Firmen stellt die Bürokratie aber vor erhebliche Probleme.
Weniger als die Konjunktur ist für Ihr Unternehmen der Blick auf die Anzahl der Geburten relevant. Und die ist in Deutschland seit drei Jahren rückläufig.
Hipp: In den letzten drei Jahren haben wir 100.000 Geburten weniger in Deutschland. Blicken wir auf Europa, dann gibt es kein Land mit einer positiven Geburtenentwicklung. Und selbst in Asien sind die Geburtenraten oftmals schon negativ. In Märkten, in denen wir stark positioniert sind wie in Deutschland, ist es schwieriger, die Umsätze zu steigern. Die schwachen Geburtenjahrgänge werden in einigen Jahren zudem den Arbeitskräftemangel verschärfen, den wir heute schon spüren.
Was würde gegen den Arbeitskräftemangel helfen?
Hipp: Ein Modell könnte sein, die Menschen, die freiwillig länger arbeiten wollen und ihr Leben lang in die Rentenversicherung oder die Pensionskasse eingezahlt haben, steuerlich zu begünstigen. Zudem könnten Abgaben nach dem 65. Lebensjahr für den Arbeitgeber entfallen. Das entlastet Unternehmen und Beschäftigte.
Müssen Sie sich angesichts des Geburtenrückgangs neue Länder erschließen?
Hipp: 50 Prozent unseres Umsatzes erwirtschaften wir in Deutschland, 50 Prozent im Ausland. Wir konzentrieren uns auf Wachstum in den Märkten, in denen wir schon sind. Aber wir suchen auch nach Märkten, in denen wir Potenzial sehen. Zudem schauen wir uns neue Produktkategorien an. Der Snack-Markt für Kleinkinder wächst europaweit beispielsweise stark. Für ältere Menschen mit besonderen Ernährungsbedürfnissen produzieren wir zudem Sondennahrung auf Basis natürlicher Lebensmittel. Das Segment Spezialernährung wollen wir ausbauen und international ausrollen.
Lange war Russland für Sie ein wichtiger Markt. Sie haben Neuinvestitionen nach dem Angriff Putins auf die Ukraine gestoppt, halten aber an einem Kerngeschäft und auch an Ihrem Werk fest. Warum?
Hipp: Wir erzielen keinen Gewinn in Russland. Aber wir wollten die Liefersicherheit für die Mütter mit ihren Kindern sicherstellen. Wir sehen uns auch in der Verantwortung unseren Mitarbeitern gegenüber. Das „Right to food“, das die Vereinten Nationen etabliert haben, sieht explizit vor, dass die Lebensmittelversorgung nicht Bestandteil von Sanktionen sein darf.
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Wo ist Ihre rote Linie? Sie sind mit Babymilch beispielsweise auch im Iran vertreten.
Hipp: Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen ist da sehr klar: Lebensmittel dürfen unter keinen Umständen dazu verwendet werden, politischen Druck auszuüben. Was kann ein Baby bzw. eine Mutter, die ohnehin in Not ist, wenn sie nicht stillen kann, für die Regierung? Ich glaube, man muss da einen Unterschied machen. Würden Sie keine Medizin in ein Land liefern, weil der Regierungschef ein Spinner ist?
Auch im Libanon verkaufen Sie Ihre Produkte. Wie wirkt sich die Krise in Nahost aus?
Hipp: Den Libanon beliefern wir seit vielen Jahren, aktuell ist es herausfordernd. Die Situation ist in vielen Regionen der Welt dramatisch. Auch in den Südjemen, wo bei Kindern extreme Mangelernährung herrscht, gehen keine Lebensmittelspenden durch.
Sie betreiben ein Werk in der Ukraine. Wurde es im Zuge des Krieges angegriffen?
Hipp: Nein, Gott sei Dank nicht. Unsere Fabrik ist in den Karpaten in der Westukraine. Aber unser Büro ist in Kiew. Es gab immer wieder Zeiten, in denen wir Teile unserer Beschäftigten nach Polen oder nach Ungarn holen mussten, um sie zu schützen. Wir stehen fest zu unserem Engagement in der Ukraine. Dort sind wir seit Jahrzehnten tätig, haben 120 Mitarbeiter. Was sie unter diesen schlimmen Voraussetzungen leisten, ist übermenschlich. Unsere Außendienstmitarbeiter sind auch in den direkten Kampfgebieten unterwegs.
Noch sind Sie nicht in den USA aktiv. Donald Trump will die Steuern senken und so Investitionen anlocken – wäre das attraktiv für Sie?
Hipp: Die USA stehen aktuell bei uns nicht im Fokus. Eine Investitionsentscheidung sollte nicht von einem Steuermodell getrieben sein. Unsere Produktionsstätten sind in Europa, vor allem in Deutschland. Hier sind unsere Wurzeln, hier haben wir unsere Lieferketten, hier können wir unsere Qualität garantieren. Wir überlegen eher, verstärkt in unseren Hauptsitz zu investieren.
Das unterscheidet Sie von vielen anderen Firmenlenkern, die mit Abwanderung drohen.
Hipp: Deutschland ist das Herz unserer Gruppe, es ist unser Zuhause, hier ist alles entstanden. Auch wenn wir in Deutschland herausfordernde Zeiten erleben, wird es wieder anders werden. Wir haben unserem Standort und unserem Land viel zu verdanken. Wenn jetzt alle weggehen, wird es sicher nicht besser.
Viele Länder mit hohen Geburtenraten befinden sich in Afrika. Sie sind aber nur in Südafrika vor Ort. Warum?
Hipp: Mittel- und langfristig bietet Afrika unfassbar viele Möglichkeiten. Wichtig ist, dass die afrikanischen Länder es schaffen, ihre Bildungssysteme nach vorne zu bringen. Ich kann mir vorstellen, dass HiPP perspektivisch in Afrika eine Rolle spielen und dort mitgestalten kann.
Könnten Sie sich vorstellen, HiPP an die Börse zu bringen?
Hipp: Nein. Das würde uns alle Freiheiten nehmen, langfristig zu denken und zu handeln. Gerade das ist es aber, was ein Familienunternehmen ausmacht: Nicht nur profitorientiert zu sein, sondern nach dem Gewissen zu handeln.
Was ist Ihr meistverkauftes Gläschen in Deutschland?
Hipp: Seit vielen Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten, ist es HiPP Spaghetti bolognese.
Gibt es einen Trend zu vegetarischer Ernährung bei Beikost?
Hipp: Ganz leicht. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es auch eine Empfehlung der Ernährungskommission gibt – und die ist nicht rein vegan oder vegetarisch. Tierische Produkte sind in den ersten 1000 Tagen wichtig für die Entwicklung. Was nicht bedeutet, dass wir den Kindern jeden Tag Fleisch geben müssen. Deshalb haben wir neben unserem fleischhaltigen Bolognese-Gläschen auch pflanzliche Alternativen im Sortiment wie HiPP Spaghetti mit Erbsen-Bolognese oder HiPP Spaghetti mit Linsen-Bolognese.
Supermärkte und Discounter sagen Ihnen mit Beikost-Eigenmarken den Preiskampf an. Wie gehen Sie damit um?
Hipp: Gerade in Zeiten hoher Inflation merken wir, dass Handelsmarken verstärkt nachgefragt werden. Mit Qualität und einem hohen Anteil an neuen Produkten halten wir dagegen. Bei der Qualität machen wir keine Kompromisse. Das honoriert der Verbraucher. Denn bei Babynahrung geht es vor allem um Vertrauen.
Sie haben nach zwei Jahren die Preise angehoben. Warum?
Hipp: Es war nötig, weil wir hohe Steigerungen etwa bei den Energie- und Rohstoffpreisen sowie den Personalkosten hatten. Wir haben die Preiserhöhung lange hinausgezögert in der Hoffnung auf fallende Preise. Das ist nicht eingetreten.
Die Verbraucherzentrale Hamburg hat Ihnen im vergangenen Jahr vorgeworfen, Sie würden „Shrinkflation“ betreiben, also an den Preisen festhalten, aber die Packungsgröße verkleinern. Wie gehen Sie damit um?
Hipp: Das war ein Frucht-Getreide-Gläschen, das in unsere damals neue Kategorie der HiPP Premium-Früchte eingeordnet und damit vollkommen überarbeitet wurde: neue Zutat, neue Rezeptur, neues Herstellungsverfahren – und damit weitere Verbesserungen in Geschmack und Aussehen. Der Einsatz der neuen, erntefrisch tiefgefrorenen Bio-Früchte ist preisintensiver. So kam es zu der Preiserhöhung dieses einzelnen Produkts. Das haben wir offen und transparent kommuniziert.
Warum gibt es HiPP-Gläschen eigentlich nicht als Mehrwegglas?
Hipp: Es ist aus Gründen der Sicherheit nicht machbar. Es geht um ein Produkt für das Baby, den sensibelsten Verbraucher, den es gibt. Würde ein Glas runterfallen, man den Schaden nicht sehen und dieses wieder befüllt werden, wäre das eine große Gefahr während der erneuten Erwärmung bzw. Verwendung des Gläschens.
Werden Bio-Produkte bei Kleinkindern stärker als bei Erwachsenen nachgefragt?
Hipp: Ja. Abgesehen von der Milch ist Bio bei allen anderen Produkten bei Babynahrung weit vorne. Gerade bei Babys sollte man nichts anderes als Bio füttern. Und Bio fürs Baby ist auch noch mal strenger kontrolliert als Normal-Bio. Es gibt genug Studien, die negative Folgen belegen, wenn Babys in Kontakt mit Agrarchemikalien kommen.
Konsumieren auch Erwachsene Gläschen?
Hipp: Ich selbst esse manchmal mittags ein Gläschen – und bin damit nicht allein. Rund jedes vierte Gläschen wird von Erwachsenen verzehrt. Das sind einerseits Teenager oder erwachsene Frauen, die die Obstgläschen als Snack essen. Und es gibt viele Senioren, die zum Teil nicht mehr so gut essen können – da sind ihnen unsere Gläschen eine Hilfe.
Haben Sie auch wie Ihr Vater immer ein Gläschen im Auto dabei?
Hipp: Ich habe immer einen Karottenfrüchtesaft und ein Gläschen Williams-Christ-Birne dabei.
Verbraucherschützer monieren, dass manche HiPP-Gläschen niedrige Gehalte an Furan aufweisen. Furan steht im Verdacht, krebserregend zu sein. Müssen sich Eltern sorgen?
Hipp: Nein, müssen sie nicht. Und das ist auch kein HiPP-eigenes Thema. Wäre es gesundheitsbedenklich, wären die Gläschen nicht am Markt. Alle Babynahrungshersteller werden streng kontrolliert. Furan entsteht aus natürlichen Inhaltsstoffen beim Erhitzen von Lebensmitteln – beim Kochen zu Hause genauso wie bei der Haltbarmachung von Babynahrung im Gläschen. Furan ist eine stark flüchtige Substanz. Sie entweicht beim Umrühren des Breis. Die Untersuchungsmethoden verbessern sich alle sechs Monate um eine Zehnerpotenz. Entsprechend können wir jetzt Stoffe nachweisen, die wir früher nicht bemerkt hätten. In Kleinstmengen sind sie unschädlich. Aber wir arbeiten an Methoden, um auch solche Sachen in Zukunft ausschließen zu können.
Milchnahrung ist ein wichtiges Thema für viele Eltern. Seit Jahren wird versucht, so nah wie möglich an die Muttermilch heranzukommen. Gelingt das?
Hipp: Man wird Muttermilch nie industriell herstellen können. Muttermilch wird immer das Allerbeste sein. Aber wir müssen das Ziel haben, ihr immer näher zu kommen. Dafür investieren wir viel, geben Studien in Auftrag, die zweistellige Millionenbeträge kosten, leisten uns eine große Forschungseinheit mit hoher Wissenschaftskompetenz.
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Sie bieten auch Windeln an. Haben Sie gegen Marktführer Pampers sowie die Eigenmarken der Discounter eine Chance?
Hipp: Der Windelmarkt ist extrem umkämpft. Über 50 Prozent ist Handelsmarke, große Teile des Rests deckt der Marktführer ab. Wir sind bei Anfangswindeln relativ stark. Je älter das Kind wird, desto kleiner ist unser Marktanteil. Wir verstehen uns als Vollversorger für Mutter und Kleinkind – von der Schwangerschaft über Ernährung und Pflegeprodukten bis hin zu Windeln. Den Anspruch, bei Windeln Platzhirsch zu werden, haben wir nicht.
Wie wichtig ist das Geschäft mit Quetschbeuteln?
Hipp: Wichtig. In manchen Ländern wie England gibt es kaum noch Glaskost, dort ist fast alles in Quetschbeuteln. In Deutschland ist es eine Ergänzung und für ältere Kinder ein guter Snack für zwischendurch.
Das sehen Zahnärzte anders. Sie warnen vor „Quetschies“, weil der hohe Fruchtzuckeranteil Karies fördere.
Hipp: Die Kritik ist zutreffend, wenn Kinder ausdauernd am Quetschbeutel nuckeln. Darauf weisen wir auf den Verpackungen deutlich hin und bitten die Eltern, das zu vermeiden. Aber ganz grundsätzlich kann ich die Kritik der Zahnärzte nicht nachvollziehen. Soll das Kind stattdessen einen Schokoriegel essen, bzw. brauchen wir auf einem Schokoriegel dann nicht auch einen Warnhinweis? Die Verbraucher entscheiden, was sie möchten. Und wir wollen sie nicht bevormunden.
Auch in Snacks ist der Zuckeranteil mitunter hoch.
Hipp: Wir konnten den Zuckeranteil in unseren Produkten in den vergangenen Jahren schrittweise reduzieren. Zudem haben unsere Snacks keinen zugesetzten Zucker.
Aber durch den Fruchtzucker einen hohen Zuckeranteil.
Hipp: Wir haben trockene Getreidesnacks ganz ohne Fruchtzucker und solche, die mit Frucht gesüßt sind. Wir sehen es als unsere Aufgabe, den Kindern vielfältige Snacks anzubieten, die auch schmecken.
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