Essen. Arbeitgeber und IG Metall schlagen schon vor dem Start scharfe Töne an. Es geht um die Löhne von vier Millionen Menschen. Was für mehr und was für weniger spricht.
Deutschlands Wirtschaft, insbesondere die Industrie, kommt in diesem Jahr einfach nicht in Schwung. Die von Konjunkturexperten erwartete Erholung blieb im Frühjahr ebenso aus wie im Sommer, auch für das Gesamtjahr senkt ein Institut nach dem anderen seine Prognose. In diesem Umfeld startet am Donnerstag die wichtigste Tarifrunde dieses Jahres in der Metall- und Elektroindustrie. Die IG Metall fordert sieben Prozent mehr Geld, die Arbeitgeber winken ab. Der Abschluss für die fast vier Millionen Beschäftigten des mit Abstand größten Industriezweigs wird wie immer Signalcharakter für viele andere Branchen haben. In NRW starten die Verhandlungen am Donnerstag in Aachen.
Für schwierige Phasen wie diese haben die Tarifpartner ganz eigene Argumentations-Routinen parat. Die IG Metall dreht das Krisen-Argument der Arbeitgeber um und zieht daraus eine Verantwortung der größten Industriebranche für die gesamte deutsche Wirtschaft: „Mit einer Entgelterhöhung wollen wir die Kaufkraft der Kolleginnen und Kollegen deutlich stärken. Das kurbelt auch die Konjunktur an“, sagte diesmal vorab Christiane Benner, für die es die erste Metall-Tarifrunde als Chefin der Gewerkschaft ist. Die für jeden zehnten Beschäftigten in Deutschland geltenden Löhne seien keine Belastung für den Standort, sondern „ein Chancenfaktor für das gesamte Land.“
Kirchhoff warnt vor Personalabbau in den Betrieben
Die Arbeitgeber warnen dagegen vor einer Überforderung der Unternehmen und in der Folge dem Verlust von Standorten und Arbeitsplätzen sowie der Verlagerung von Fabriken ins Ausland. Arndt Kirchhoff, Präsident der Metall-Arbeitgeber in NRW und selbst ein großer Autozulieferer, nennt die Sieben-Prozent-Forderung „schlicht völlig unrealistisch“ und warnt vor einer Verstärkung der Krise. „Schon fast täglich machen Meldungen über Personalabbau die Runde“, schreibt er in einem Gastbeitrag für die FAZ.
Die Metall- und Elektroindustrie ist so groß und vielfältig, dass es nie allen gut oder schlecht geht. Das macht die Tarifrunden aus Arbeitgebersicht per se schwierig. Die IG Metall trägt dem seit gut 20 Jahren mit dem „Pforzheimer Abkommen“ Rechnung, das Abweichungen vom Flächentarif für Betriebe in schwierigen Lagen ermöglicht. Diesmal stecken aber nicht ein paar Betriebe in der Krise, sondern mit der Autoindustrie das Zugpferd der Branche selbst. BMW hat seine Ziele kassiert, VW verordnet sich eine Schrumpfkur und zieht etliche Zulieferer mit in den Abwärtssog.
Auch im Maschinenbau herrscht nach wie vor Ebbe. Der jüngsten Umfrage des Verbands VDMA zufolge rechnen vier von zehn Betrieben für das laufende Jahr mit einem Umsatzrückgang, weitere 23 Prozent mit einer Stagnation. Allerdings schauen Tarifabschlüsse auch immer in die Zukunft, und die Prognosen sind zwar für das laufende Jahr zuletzt immer weiter nach unten korrigiert worden, für 2025 erwarten aber nicht nur Volkswirte, sondern auch die Unternehmen selbst, dass es wieder aufwärts geht. Mehr als die Hälfte der Maschinenbauer rechnet mit einem Plus im kommenden Jahr.
Elektroindustrie meldet Trendwende bei Auftragseingängen
Die Elektroindustrie meldete just in dieser Woche bereits eine Trendwende: Die deutsche Elektro- und Digitalindustrie habe im Juli gut ein Fünftel mehr Bestellungen als vor einem Jahr erhalten, ein guter Start ins zweite Halbjahr, wie ihr Verband ZVEI betont. Angesprungen sei vor allem die Inlandsnachfrage mit einem Plus von 34,6 Prozent. Insgesamt gingen in den ersten sieben Monaten dieses Jahres die Aufträge allerdings um 10,2 Prozent zurück. Es gibt also noch einiges aufzuholen.
Die Pilotabschlüsse für alle anderen Bezirke werden in der Regel in Baden-Württemberg oder NRW erzielt, den stärksten Landesverbänden der IG Metall. Der letzte vor zwei Jahren ( 8,5 Prozent plus 3000 Euro Inflationsausgleich) gelang im Südwesten. In NRW sitzen sich am Donnerstag in Aachen Arndt Kirchhoff und Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall, als Verhandlungsführer gegenüber. Die beiden schätzen und respektieren sich. Diesmal zeigen sich die Arbeitgeber im Vorfeld noch alarmierter ob der Forderung als in der geübten Tariffolklore üblich.
Arbeitgeber sehen „strukturelle Abwärtsspirale“
Kirchhoff sieht die Wirtschaft bereits jetzt in einer „strukturellen Abwärtsspirale“, in die „seit Monaten immer neue bittere konjunkturelle Nachrichten aus der Metall- und Elektroindustrie“ hineinfielen, wie er in der FAZ schreibt. „Produktion, Aufträge, Investitionen, Umsätze – bei allen Indikatoren zeigt der Daumen kontinuierlich nach unten.“ Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf sieht gar eine historische Krise, es sei Viertel nach zwölf für den Standort D.
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IG-Metall-Landeschef Giesler gibt sich dagegen betont gelassen. „Es könnte besser sein, wir haben sicher kein Boomjahr, aber wir stecken auch nicht in der größten Krise der Nachkriegszeit. Stattdessen sehen wir seit Jahren eine Seitwärtsbewegung“, sagte er am Dienstag vor Journalisten, um klarzustellen: „Sieben Prozent nicht zu viel.“ Giesler hatte zuletzt bereits für die Stahlindustrie einen hohen Abschluss trotz schwieriger Lage erzielt.
IG-Metall-NRW-Chef Giesler: „Keine Katastrophenzahlen“
Dem Arbeitgeberverband zufolge ging die Produktion der Branche in NRW im ersten Halbjahr um 8,8 Prozent zurück, die Auftragseingänge um 7,9 Prozent. Das räumt die IG Metall ein, Giesler betont aber, Umsätze und Produktion seien höher als vor der Corona-Krise und auch über dem langjährigen Durchschnitt, es seien demnach „keine Katastrophenzahlen“.
Die Auftragseinbrüche relativiert Giesler so: In den Vorjahren sei mehr produziert als verkauft worden, die Unternehmen würden jetzt ihre Vorräte abbauen. Die Auftragsbestände reichten aktuell für 4,5 Monate Produktionsauslastung, was ebenfalls überdurchschnittlich viel sei. Die meisten Betriebe verdienten auch nach wie vor gutes Geld, die Umsatzrenditen lägen mit 2,4 Prozent netto und 3,4 Prozent brutto nur knapp unter Normalmaß. „Wir fallen nicht in eine tiefe Rezession“, folgert Giesler.
IG Metall und Arbeitgeber fordern von Ampel niedrigere Energiepreise
Zwei Gemeinsamkeiten haben Arbeitgeber und Gewerkschaft dann aber doch noch vor dem Start: Erstens fordern sie unisono von der Bundesregierung, etwas gegen die hohen Energiepreise zu tun. Zweitens erhoffen sich beide von einem guten Ergebnis einen Impuls für die gesamte deutsche Wirtschaft. „Wenn das gelingt, könnte dies sogar wieder mehr Zuversicht und Vertrauen in die Soziale Marktwirtschaft und in die wirtschaftliche Stärke unseres Landes schaffen“, hofft Kirchhoff. IG-Metall-Chefin Benner sieht das genauso.
Nur die Vorzeichen sind verschiedene: Für die Gewerkschaft wäre ein möglichst hoher Abschluss ein gutes Signal, für die Arbeitgeber ein möglichst niedriger. Es gilt, wie immer, einen Kompromiss zu finden. Sollte das nicht gelingen, warnt die IG Metall in NRW schon jetzt vor Streiks. „Wir bereiten das bestmögliche Arbeitskampfkonzept vor. Ob wir es am Ende brauchen, entscheiden die Arbeitgeber“, sagte Giesler. Die Friedenspflicht endet am 28. Oktober.
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