Essen/Duisburg. Die IG Metall fordert, Konzernchef López zu stoppen, die Kapitalseite stellt sich hinter ihn - und kritisiert die Gewerkschaft. Die keilt zurück.
Im öffentlich ausgetragenen Streit zwischen der Essener Thyssenkrupp-Zentrale und der Duisburger Stahl-Tochter schließen sich die Reihen auf beiden Seiten. Nachdem die IG Metall von den Anteilseignern offen gefordert hatte, sie sollten Konzernchef Miguel López „stoppen“, reagierten diese nun mit dem Gegenteil: In einer ungewöhnlichen Erklärung stellten sich ihre Vertreter im Aufsichtsrat der Thyssenkrupp AG geschlossen hinter López als Person sowie hinter seine Strategie.
Gleichzeitig warfen sie der IG Metall „persönliche Anfeindungen“ gegen das Management vor sowie, die Stimmung in der Stahl-Belegschaft unnötig anzuheizen. Die Gewerkschaft schoss prompt zurück und warf den Kapitalgebern Stillosigkeit und eine Verdrehung der Tatsachen im Streit um die Zukunft der Stahlsparte vor. Verantwortlich für die Verunsicherung der Beschäftigten sei „allein das rücksichtslose, intransparente und unprofessionelle Agieren von Herrn Lopez und Herrn Russwurm“, erklärte Jürgen Kerner, Vizechef im Aufsichtsrat und der IG Metall.
Krupp-Stiftung und Russwurm mahnen „Realitätsbewusstsein“ an
„Um einen weiteren wirtschaftlichen Aderlass abzuwenden und die Fundamente des Konzerns im Ruhrgebiet und anderswo in Deutschland und der Welt zu sichern, muss das Unternehmen in seiner Entscheidungsfindung über unvermeidliche Restrukturierungen vorankommen, und das mit Realitätsbewusstsein, Verantwortungssinn, großer Zielstrebigkeit und ohne weiteren Zeitverlust“, heißt es in der Erklärung, die von der gesamten Arbeitgeberseite des Aufsichtsrats unterzeichnet wurde. Sie hatte zuletzt mit der Doppelstimme des Vorsitzenden Siegfried Russwurm mehrfach die ebenfalls geschlossene Arbeitnehmerseite überstimmt, etwa als es um den Einstieg des tschechischen Unternehmers Daniel Kretinsky im Stahl ging.
Diesmal stellen sie sich hinter López‘ Forderung an Stahl-Chef Bernhard Osburg, einen härteren Sanierungsplan für Thyssenkrupp Steel (TKS) aufzustellen. Mit dem bisherigen, den Osburg vor knapp drei Wochen dem TKS-Aufsichtsrat präsentiert hatte, ist er unzufrieden. Tags daruf warf López Osburg in einem persönlichen Statement sogar „Schönfärberei“ vor.
Osburgs Pläne enthalten eine Reduzierung der Stahlerzeugungskapazität von 11,5 auf neun bis 9,5 Millionen Tonnen und damit auch den Abbau von mehreren Tausend Stellen. López will nach Darstellung der Gewerkschaft deutlich mehr, was in der Praxis die „Halbierung der Hütte“ bedeuten würde, wie die IG Metall unlängst in einem Flugblatt an die 27.000 Beschäftigten warnte. Damit seien 10.000 Arbeitsplätze in Gefahr. Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol hatte López zuvor die nötige Kompetenz im Stahlgeschäft abgesprochen.
IG Metall warnt vor „halber Hütte“, wenn López sich durchsetzt
Das Vorgehen der Arbeitnehmerseite kritisieren die Aktionäre nun ihrerseits in ungewohnter Schärfe: Sie seien „in großer Sorge bezüglich des Auftritts und der Kommunikation von Arbeitnehmervertretern, darunter auch Gremienmitgliedern der Organe der Thyssenkrupp AG und des Bereichs Thyssenkrupp Steel Europe in der Öffentlichkeit“, heißt es in dem gemeinsamen Schreiben. Überfällige Entscheidungsprozesse zur Zukunftssicherung der Stahlproduktion in Duisburg und der gesamten Stahlsparte würden so „nachhaltig erschwert und in ihrem notwendigen Fortgang behindert“.
„Insbesondere verurteilen wir die emotionale Aufladung und teils gezielt verletzende Verunglimpfungen und persönliche Anfeindungen“, schreiben die zehn Aufsichtsräte der Kapitalseite, darunter auch Ursula Gather, die als Chefin der Krupp-Stiftung die größte Einzelaktionärin im höchsten Kontrollgremium des Konzerns vertritt. „Wir fordern die Verantwortlichen auf, die Situation nicht weiter aufzuheizen, jegliche Gefahren für die Sicherheit von Menschen und Anlagen zu vermeiden.“
Anteilseigner sehen „persönliche Anfeindungen“ durch die IG Metall
IG-Metall-Vizechef Kerner wies die „Vorwürfe und Unterstellungen der Anteilseignervertreter entschieden zurück. Die Erklärung ist der offensichtliche Versuch, Ursache und Wirkung umzudrehen und sich vor der Verantwortung wegzuducken. Das ist billig und stillos.“ Nicht wer „Feuer“ rufe, sei für den Brand verantwortlich, „sondern wer das Feuer legt“.
Die IG Metall hatte in den vergangenen Wochen und Monaten einige Proteskundgebungen organisiert, am Stahlwerk im Duisburger Norden gibt es seit vielen Tagen eine ständige Mahnwache, zuletzt blockierten Stahlkocher mehrfach die Tore in die die Stahlstadt. Darauf bezog sich offenkundig die Mahnung der Anteilseigner an die Gewerkschaft, „jegliche Gefahren für die Sicherheit von Menschen und Anlagen zu vermeiden“.
IG-Metall-Vite nennt Vorwürfe „ungeheuerlich“
Kerner nannte es wiederum „ungeheuerlich, Gefahren für die Sicherheit von Menschen und Anlagen herbeizuphantasieren“. Wer der eigenen Belegschaft solch ein Vorgehen unterstelle, agiere „völlig verantwortungslos“. Es sei „bezeichnend, wenn die Eigentümer ihre eigenen Angestellten als potenzielle Angreifer darstellen“.
Ohne eigene Zahlen zu nennen, widersprechen die Anteilseigner der Aussage der IG Metall, es stünden 10.000 Stellen zur Disposition. Dies sei eine „völlig unangemessene“ Verunsicherung der Beschäftigten, „indem der Eindruck massenhaft drohender individueller Arbeitsplatzverluste vermittelt wird“.
Aufsichtsräte der Kapitalgeber: Stahl-Lösung auch für die anderen Sparten wichtig
Russwurm, Gather und die anderen acht Aktionärsvertreter betonen, TKS stehe „vor notwendigen und überfälligen Entscheidungen für die Sicherung der Stahlproduktion im Ruhrgebiet und in Deutschland“ . Das sei auch für die anderen Konzernteile und deren „70.000 Mitarbeitenden zwingend“, für die Aufsichtsrat und Vorstand ebenfalls Verantwortung trügen.
Der Schlusssatz der Erklärung ist als Treueschwur zum in der Belegschaft hoch umstrittenen Konzernchef zu verstehen: „Die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat unterstützen den Vorstand der Thyssenkrupp AG unter Führung von Miguel López voll und ganz in seinem darauf ausgerichteten Handeln.“
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Knut Giesler, NRW-Chef der IG Metall, hatte von Russwurm und Gather das Gegenteil gefordert, als er unserer Redaktion sagte: „Jemand muss López stoppen.“ Setze López sich durch, „stünden ganze Hochöfen und Stahlwerke zur Disposition, dann ginge es in der Praxis eher in Richtung Halbierung“, warnte Giesler. Und: „Dann reden wir über einen noch viel größeren Personalabbau und dann sehen wir am Ende eine Spur der industriellen Verwüstung in Duisburg und in NRW.“
Für diesen Donnerstag hat TKS-Chefkontrolleur Sigmar Gabriel zur nächsten Sitzung des Stahl-Aufsichtsrats geladen. Dann soll es erneut um die Ausfinanzierung der Stahltochter durch den Mutterkonzern gehen, die nötig ist, um TKS in die gewünschte Eigenständigkeit entlassen zu können. Gerungen wird um die Höhe der Mitgift sowie um eine zweijährige Finanzierung durch den Konzern in der schwierigen Übergangsphase.