Berlin. Der Fraktionschef der Union schlägt vor, Zugverbindungen einzudampfen, um Zuverlässigkeit zu erhöhen. Die Reaktionen fallen gespalten aus.

Der Fraktionschef von CDU und CSU im Bundestag, Friedrich Merz, schlägt vor, das Angebot der Deutschen Bahn zu reduzieren, um Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit der Züge zu erhöhen. Im Sommerinterview der ARD sagte Merz: „Die Bahn muss ihr Angebot reduzieren, damit das reduzierte Angebot wieder zuverlässig erbracht werden kann. Die Bahn wird überfordert und überfordert sich im Augenblick selbst. Und das geht nicht.“

Weniger Züge, mehr Pünktlichkeit? Kann diese Gleichung aufgehen? Ja, sagt der Fahrgastverband Pro Bahn in einer ersten Reaktion. „Sicher kann man mit einer Reduktion der Zugzahlen eine größere Stabilität im Netz erzeugen“, sagt der Pro-Bahn-Ehrenvorsitzende Karl-Peter Naumann unserer Redaktion.

Pro Bahn eindeutig: Vorschlag wäre für Verkehrswende „arger Rückschritt“

Mit Blick auf die angestrebte Verkehrswende allerdings wäre dies ein „arger Rückschritt“. „Herr Merz sollte sich lieber für einen schnelleren Ausbau der Infrastruktur einsetzen und auch dafür sorgen, dass seine Parteikollegen vor Ort Bahnprojekte nicht länger blockieren“, so Naumann weiter. Konkret meint Pro Bahn zum Beispiel Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der seit Jahren den Schienenbau zum Brenner-Nordzulauf blockiere. Es gebe aber auch zahlreiche CDU-Ortsbürgermeister, die immer wieder skeptisch seien, wenn es um Schienenausbau in ihren Regionen gehe, so Naumann.

Klausurtagung des CDU-Präsidiums
Friedrich Merz schlägt vor, das Angebot der Bahn zu reduzieren, um wieder pünktlicher sein zu können. © DPA Images | Michael Kappeler

Dass das deutsche Schienensystem an der Belastungsgrenze sei, hat auch die Bahn selbst immer wieder eingeräumt. „Zu voll, zu alt, zu kaputt“, gab zum Beispiel Infrastrukturvorstand Berthold Huber mal in einem Interview zu. Vor allem die Hauptkorridore sind voll; nicht nur Fernzüge, sondern auch der Güterverkehr und Regionalzüge fahren hier. Mit Blick auf den Fernverkehr habe man mit dem Fahrplanwechsel in diesem Jahr „so viele neue Verbindungen wie seit 20 Jahren nicht mehr geschaffen“, sagte eine Sprecherin der Bahn. Dadurch könne man schnellere Verbindungen und auch mehr Sitzplätze zwischen den Metropolen anbieten. „Allein zum Fahrplanwechsel stieg das Sitzplatzangebot zwischen NRW und München um 25 Prozent“, so die Sprecherin weiter.

Der stetige Hochlauf habe jedoch Folgen für das Netz, so Fahrgastvertreter Naumann von ProBahn. Kapazitätsgrenzen seien vielfach erreicht oder gar überschritten. Jede noch so kleine Verzögerung habe deshalb immense Folgen. „Wenn beim ersten Zug das Einsteigen, zum Beispiel wegen vieler Fahrräder, drei Minuten länger dauert, wird auch der folgende Zug nicht pünktlich abfahren können“, erklärte er.

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Um den Ausbau voranbringen zu können, schlug Unionsfraktionschef Merz auch vor, Infrastruktur und Betrieb voneinander zu trennen. Das Netz müsse in der Hand des Staates bleiben, der Betrieb auf dem Netz könne im Wettbewerb stattfinden, sagte er. Das lehnt nicht nur die SPD ab.

„Herr Merz und die Union sind herzlich eingeladen, sich lieber konstruktiv daran zu beteiligen, das System Schiene zu stärken und die Kapazitäten des Schienennetzes auszubauen“, sagte der SPD-Verkehrspolitiker Detlef Müller unserer Redaktion. Hier liefere die Koalition, etwa indem sie zusätzliche Mittel für die heute startenden Streckensanierungen bereitstelle, so Müller.

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Das deutsche Schienennetz hat die besten Zeiten hinter sich. Mitte der 50er-Jahre war es noch 14.000 Kilometer länger als heute. Wo Züge rollen und wo es einmal Bahnverbindungen gab – Jahr für Jahr von 1835 bis heute.

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Merz‘ Vorschlag, das Zugangebot zu reduzieren, erteilte er eine Absage. Millionen Menschen in Deutschland seien täglich auf den Zugverkehr – gerade im Nahverkehr – angewiesen, um ihrem Lebensunterhalt nachgehen zu können. „Hier massive Einsparungen zu fordern, geht an jeder Lebenswirklichkeit vorbei und ist wohl nur aus der Vogelperspektive eines Privatflugzeuges denkbar“, erklärte der SPD-Fraktionsvize weiter.

Innerhalb der Union setzt man auch auf eine schnellere Digitalisierung des deutschen Bahnverkehrs. Neueste Studien würden deutlich machen, dass mit der Umsetzung der „Digitalen Schiene Deutschland“ (DSD) 15 Prozent und mehr Kapazitätserweiterung möglich wären, sagte der verkehrspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thomas Bareiß, unserer Redaktion.

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„Leider sieht man derzeit davon relativ wenig. Während der Verkehrsminister oft von Digitalisierung spricht, scheint die Bahn auf der Bremse zu stehen“, so Bareiß. Nur so sei aber die „dringend notwendige Kapazitätserweiterung und die damit verbundene Verbesserung des Angebots“ wieder möglich. Angebot reduzieren – anders als sein Fraktionschef spricht Verkehrsexperte Bareiß davon nicht.