Berlin. 76 Prozent der Nvidia-Mitarbeiter sind Millionäre – wegen Aktienbeteiligungen. Bei welchen Konzernen sich hierzulande die Arbeit besonders lohnt.

Der Börsenboom beim US-Chiphersteller Nvidia erfreute zuletzt Anleger – und Mitarbeiter des Konzerns. Aktienoptionen, die das Unternehmen ausgab, haben viele Angestellte sehr reich gemacht. Wie es in Deutschland um das Thema Mitarbeiterkapitalbeteiligung steht und ob man hier auch so profitieren kann wie in den USA. Ein Überblick.

Warum sind viele Mitarbeiter des Chipherstellers Nvidia nun so reich?

Das liegt vor allem an der rasanten Entwicklung des Aktienkurses beim Halbleiterhersteller. In den vergangenen zwei Jahren legte das Nvidia-Papier um mehr als 220 Prozent zu, über fünf Jahre gesehen ging der Kurs sogar um mehr als 3000 Prozent nach oben. Das hat auch Folgen für die Angestellten bei Nvidia, die über Aktienoptionen am Erfolg der Firma beteiligt sind. Einer internen Umfrage zufolge haben 76 Prozent der rund 30.000 Nvidia-Mitarbeiter ein Vermögen von mindestens einer Million US-Dollar – ein Drittel sogar mehr als 20 Millionen Dollar. Eine Vergütung der Angestellten über Beteiligungen ist in den USA weitverbreitet. Mitarbeiterbeteiligungen mit einem Volumen von 10 bis 20 Prozent am Unternehmen sind durchaus gängig.

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Bei Nvidia heißt das konkret Berechnungen des deutschen Börsenmagazins „Der Aktionär“ zufolge: Wer vor fünf Jahren als Produktmanager auf mittlerer Ebene angefangen hat, besitzt heute dank Aktienzuteilugen und dem Kursboom beim KI-Spezialisten 10,6 Millionen US-Dollar. Das Vermögen aus Nvidia-Mitarbeiterbeteiligungen eines Senior-Softwareingenieurs ist sogar auf 14,8 Millionen US-Dollar gewachsen. Und selbst ein Junior-Marketingfachmann ist heute nur dank der Aktienzuteilung durch den Konzern 4,5 Millionen Dollar schwer.

Millionär als Mitarbeiter dank Aktienoptionen – geht das auch in Deutschland?

Theoretisch, ja. Praktisch kassiert anders als in den USA der Staat viel stärker mit, sagt der Experte für Mitarbeiterbeteiligungen, Holger Clemens Hinz von der Quirin Privatbank. Das liegt an umfangreichen steuerlichen Regelungen, die in Deutschland in Bezug auf Belegschaftsaktien gelten. „Während in den USA die Aktienoptionen für Beschäftigte einer weitgehenden Steuerfreiheit unterliegen, zahlt man in Deutschland nach Abzug überschaubarer Freibeträge doppelt: zunächst über die Einkommensteuer und später über die Kapitalertragssteuer“, erklärt Hinz. Schaffen es Angestellte deutscher Konzerne so dank Mitarbeiterbeteiligungen zu Millionären, fließt also ein beträchtlicher Teil der Gewinne direkt in die Staatskasse.

Wie funktioniert das mit den Mitarbeiteraktien genau?

Der Grundgedanke von Belegschaftsaktien ist, dass Mitarbeiter darüber direkt am Erfolg eines Unternehmens profitieren können. Viele börsennotierte Firmen bieten deshalb Aktienprogramme an, die Anreize wie Rabatte beim Kauf von Wertpapieren beinhalten. Zum gibt es auch Regelungen, wonach man zum Beispiel als Mitarbeiter beim Kauf von drei Aktien eine Gratisaktie dazu erhält. Man zahlt also als Konzernangestellter weniger, als würde man an der Börse kaufen. Dieser geldwerte Vorteil muss versteuert werden.

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    Welche steuerlichen Regelungen müssen beachtet werden?

    Grundsätzlich muss dieser geldwerte Vorteil mit dem persönlichen Steuersatz, so wie auch das reguläre Arbeitseinkommen, versteuert werden. In Bezug auf Mitarbeiteraktien gilt seit Jahresbeginn eine Steuerfreigrenze von bis zu 2000 Euro – zuvor lag diese bei 1440 Euro und vor 2021 sogar bei lediglich 360 Euro. Der Lohnsteuerhilfeverein Bayern rechnet vor: „Bezieht ein Mitarbeitender zum Beispiel Firmenaktien zum Preis von 50 Euro pro Stück, obwohl der Kurswert an der Börse bei 75 Euro liegt, entsteht ein geldwerter Vorteil von 25 Euro pro Aktie. Mit der Gesetzesänderung bleibt folglich der Kauf von bis zu 80 Mitarbeiteraktien steuerfrei.“

    Wie viele Konzerne bieten hierzulande Beteiligungsprogramme für ihre Angestellten an?

    Einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung zufolge boten im Jahr 2017 rund 70 Prozent der 160 in den vier deutschen Börsenindizes notierten Unternehmen irgendeine Form von Belegschaftsaktien an. Der Bundesverband Mitarbeiterbeteiligung (AGP) befragte vor zwei Jahren 85 Unternehmen mit insgesamt 4,2 Millionen Beschäftigten. 79 Prozent der Firmen boten damals bereits eine Mitarbeiterkapitalbeteiligung an oder planten diese einzuführen.

    Wie sieht es bei einzelnen Konzernen aus?

    Bei Deutschlands größtem Rüstungskonzern Rheinmetall existiert das Mitarbeiteraktienkaufprogramm „Mein Stück Rheinmetall 2.0“ seit März 2018. Beschäftigte können Aktien dabei zu vergünstigten Konditionen kaufen. „Der monatliche Sparbetrag setzt sich aus 70 Prozent des Beitrags des Mitarbeiters und 30 Prozent des Arbeitgebers zusammen. Es können bis zu 10 Prozent des Jahresbruttogehalts gespart werden“, so das Unternehmen auf Anfrage dieser Redaktion. Der Sparbetrag wird dabei monatlich in Rheinmetall-Aktien umgewandelt, welche einer Haltefrist von zwei Jahre unterliegen. Erzielte Dividenden werden reinvestiert. Rheinmetall übernimmt für seine Mitarbeiter die Depot-Gebühren, teilt der Konzern mit.

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    Beim Softwareunternehmen SAP gibt es zwei Aktienbeteiligungsprogramme, bei Zalando ebenfalls. „Über die Hälfte unserer Mitarbeiter*innen sind als Aktionäre am Unternehmen beteiligt“, so ein Sprecher des Berliner Onlinemodehändlers zu dieser Redaktion.

    Bei welchen deutschen Unternehmen haben Mitarbeiter zuletzt davon am meisten profitiert?

    Erahnen lässt sich das lediglich anhand der Kursentwicklung. Beispiel Rheinmetall: Wer als Mitarbeiter 2018 in Aktien dieser Firma investierte, hatte Einstandskurse zwischen 105,78 und 77,50 Euro pro Wertpapier. Heute notiert eine Aktie bei derzeit mehr als 500 Euro. Auch bei dem Softwarespezialisten SAP hätte sich als Angestellter eine frühere Beteiligung am Mitarbeiteraktienprogramm gelohnt. Angenommen, man hätte 2018 investiert, wäre der Wert eines Papiers von etwa 90 auf heute fast 190 Euro geklettert.

    Börse ist jedoch keine Einbahnstraße. Dass auch Mitarbeiterbeteiligungen von schlechten Unternehmensentscheidungen in Mitleidenschaft gezogen werden, zeigt das Beispiel Bayer. Seit der milliardenschweren Monsanto-Übernahme vor neun Jahren ist der Kurs der Leverkusener Aktie in den Keller gerauscht – vom Spitzenwert von mehr als 140 auf jetzt unter 30 Euro.

    Welche Besonderheiten bestehen bei Start-ups?

    In der Vergangenheit waren echte Anteile in Deutschland für Start-ups keine realistische Option, unter anderem weil schon bei Ausgabe an die Beschäftigten Steuern abgeführt werden mussten, ohne dass es zuvor tatsächlich zu einem Liquiditätsfluss kam. Das ist die sogenannte Dry-Income-Besteuerung. Bislang hat man in den Jung-Firmen deshalb Anteile simuliert – über virtuelle Beteiligungen. „Mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz, das zu Jahresbeginn in Kraft getreten ist, kann die Dry-Income-Besteuerung jetzt wirksam ausgeschlossen werden. Das heißt: Mitarbeitende zahlen erst dann Steuern, wenn sie, meistens im Exit-Fall, Geld erhalten. Ein wichtiges Hindernis ist somit aus dem Weg geräumt“, sagt Christoph Stresing, Geschäftsführer beim Startup-Verband.

    Die letzte Lücke soll das Jahressteuergesetz 2024 schließen. „Erst durch dieses geplante Gesetz wird die Mitarbeiterbeteiligung an Start-ups mit komplexerer Gesellschaftsstruktur möglich, was dem deutschen Start-up-Ökosystem in der Breite zu mehr Attraktivität verhelfen wird“, erklärt Björn Borrmann, Director of Policy beim Berliner Reiseerlebnis-Start-up GetYourGuide. Der jetzige Regierungsentwurf sei dafür eine gute Grundlage.

    Welche Reformvorschläge haben Experten?

    Weitere Erleichterungen. Mitarbeiterbeteiligung sei nicht nur ein Thema für börsennotierte Unternehmen und Start-ups, sondern gerade bei den Themen Fachkräfte und Nachfolge auch für den Mittelstand, sagte AGP-Geschäftsführer Dirk Lambach dieser Redaktion. „Die Politik sollte daher die Mitarbeiterbeteiligung in Deutschland stärken. Ein klares Zeichen dafür wäre es, den Förderbetrag, der im Vergleich zu Ländern wie Österreich, England, Spanien, Frankreich und Irland immer noch gering ausfällt, weiter auszubauen“, so Lambach.