Essen. Thyssenkrupp Stahl erhält mit dem Tschechen einen erfolgreichen Investor. Warum er der Richtige sein, es aber auch ungemütlich werden kann.

Es soll also eine Partnerschaft mit längerer Kennenlernphase werden: Daniel Křetínskýs Konzern und Thyssenkrupps Stahlgeschäft verschmelzen nicht über Nacht. Stattdessen steigt der tschechische Milliardär zunächst nur mit einem Fünftel ein, mit der Aussicht, später jener gleichberechtigte und noch später der größere Partner zu werden, den sich die Essener Thyssenkrupp-Zentrale für ihre Duisburger Tochter so sehr wünscht. Will er sie erst besser kennenlernen? Hat er Restzweifel? Will er sich für die verabredete große Hochzeit eine Hintertür im Standesamt offenhalten?

Die Chance, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen, ist zumindest mit einer 20-Prozent-Beteiligung deutlich besser als mit endlosen Verhandlungen hinter verschlossener Tür. Das zeigen auch die empörten Reaktionen der Arbeitnehmerseite nach der Verkündung des Deals von Konzernchef Miguel Lopez, die davon völlig überrascht wurde. Der Betriebsrat fühlte sich von Lopez einmal mehr übergangen. Und hofft ganz sicher, dass der neue Partner aus Tschechien offener kommuniziert.

Stefan Schulte, Ressortleiter Wirtschaft
Stefan Schulte, Ressortleiter Wirtschaft © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Denn gerade im Stahl kann das Management von Thyssenkrupp nicht einfach durchregieren. Die mächtige IG Metall muss ebenfalls warm werden mit dem Milliardär - und er mit der Gewerkschaft. Ihre Bedingungen für eine 50-Prozent-Beteiligung und eine anschließend mögliche Mehrheitsübernahme des Tschechen sind nicht ohne: Garantien für Jobs, Standorte und Anlagen für einige Jahre.

Thyssenkrupps Stahlkocher wollen wissen, wen es trifft

Die muss Křetínský mit dem zunächst geplanten Minderheitsanteil noch nicht geben. Die große Entscheidung ist damit verschoben, aber nicht aufgehoben. Ganz im Gegenteil: Thyssenkrupp Steel und auch die 50-Prozent-Tochter HKM im Duisburger Süden brauchen bald Klarheit darüber, wie es weitergehen soll. Sprich, wo welche Hochöfen stillgelegt werden, Arbeitsplätze wegfallen - und wo neue Anlagen für die Produktion von grünem Stahl entstehen, die unsere Stahlindustrie in die Zukunft führen sollen.

Thyssenkrupp hat Křetínský diesen ersten Schritt erleichtert, indem das Management bereits selbst den ersten getan hat: Mit der Ankündigung, die Produktionskapazität um fast ein Viertel zu reduzieren und im Zuge dessen Arbeitsplätze in noch nicht bezifferter Dimension zu streichen. Zwei Wochen später kann das mit der Verkündung von Křetínskýs Einstieg als ein erstes Entgegenkommen aus Duisburg gewertet werden.

Der Respekt des Managements vor Křetínský ist groß, die Bedenken in Teilen der Belegschaft sind es auch. Ob Letztere begründet sind, muss sich erst noch zeigen. Den Respekt als erfolgreicher Geschäftsmann ohne nach außen getragene Allüren hat sich der Tscheche in den vergangenen Jahren mit vielen risiko- wie erfolgreichen Deals erworben.

Kretinskys Spezialität sind Beteiligungen an taumelnden Riesen

Sein EPH-Konzern, dessen Holding EPCG jetzt ein Fünftel an Thyssenkrupp Steel kaufen will, ist ein Spezialist für Beteiligungen an komplizierten, problembehafteten Geschäften. Er ist in einen taumelnden französischen Supermarktriesen eingestiegen, in Medienhäuser und den Großhändler Metro. Und er hat das ostdeutsche Braunkohlegeschäft vom schwedischen Vattenfall-Konzern übernommen, als dieser keine Zukunft mehr für diese besonders klimaschädliche Art der Stromerzeugung sah.

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Kurzum: Křetínský scheut weder Risiko noch lässt er sich von schwierigen Rahmenbedingungen abschrecken. Nicht einmal vom Wissen, in ein Geschäft zu investieren, das es nicht mehr lange geben wird - wie bei der Braunkohle. Mit diesem Rüstzeug müsste er eigentlich der perfekte Partner für Thyssenkrupps Stahl sein.

Zumal er mit seinem Energiegeschäft den Umbau der Stahlproduktion auch mit eigenen Bordmitteln unterstützen kann. EPH handelt und produziert selbst Strom. Die Leag will Křetínský für die Zeit nach der Braunkohle als Ökostrom-Erzeuger etablieren. Den kann eine grüne Stahlproduktion schon als solchen gut gebrauchen, aber auch als Basis für die Produktion von grünem Wasserstoff, der die Kohle als Hauptenergieträger ablösen soll.

Mit alter Industrie möglichst lange Geld verdienen: Passt zu Thyssenkrupp

Weil die Arbeitnehmerseite das weiß, hat sie bisher kein schlechtes Wort über Křetínský verloren. Auch, weil IG Metall und Betriebsrat wissen, dass der Mutterkonzern den überlebenswichtigen Umstieg auf eine grüne Stahlproduktion nicht aus eigener Kraft stemmen kann. Sprich: dass es so nicht weitergehen kann. Des naheliegenden Klischees vom feinen Milliardär, der nicht zur Stahlarbeiterschaft im rauen Duisburger Norden passt, haben sich die Arbeitnehmerfunktionäre aus gutem Grund nicht bedient.

Sie haben registriert, dass Křetínský auch mit alter Industrie, deren Lebenszyklus sich ihrem Ende nähert, noch Geld verdienen will und kann. Das hat er mit der Braunkohle der Leag in der Lausitz bewiesen. Für Thyssenkrupp gibt es durchaus Parallelen beim Stahl: Der in den alten Kokskohle-Hochöfen gekochte Stahl wird noch mindestens zehn Jahre gebraucht und muss in dieser Zeit Geld einspielen, damit die grüne Transformation nicht auf halber Strecke stehen bleibt.

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Klar ist trotzdem, dass dies nicht ohne Härten ablaufen wird, es werden Arbeitsplätze wegfallen, und zwar mehr als im Zuge des Umbaus neue entstehen. Wer mit den sterbenden Teilen eines Unternehmens noch möglichst lange Geld verdienen will, muss sie so schlank und effizient wie irgend möglich aufstellen. Auch darin ist Křetínskýs EPH-Konzern ein Spezialist. Die Beschäftigten können mit ihm also sowohl Hoffnungen als Sorgen verbinden. Bei Thyssenkrupp ebenso wie bei HKM.