Berlin/Mumbai. Wirtschaftsboom vor der Wahl: Deutsche Firmen zieht es nach Indien, dabei gilt das Land als kompliziert. Viele hält das aber nicht ab.
Mit deutschen Arbeitgebern kennt sich Manojit Acharya aus. Seit neun Jahren arbeitet er als Managing Director für den Gabelstaplerproduzenten Jungheinrich in Indien. Was Acharya im heute bevölkerungsreichsten Land der Erde geschafft hat, das schätzt man auch bei der Mutter in Hamburg. „Solch eine Dynamik haben wir weltweit noch nirgendwo erreicht“, schwärmt Jungheinrichs Vertriebsvorstand Christian Erlach.
Indiens Wirtschaft boomt: In Deutschland sind hingegen neue Impulse nötig
Zwischen 2014 und 2023 wuchs der Umsatz um das Achtfache. Der Standort mit Lager, Werkstatt und Verwaltung und heute gut 200 Beschäftigten expandierte von anfangs 450 sukzessive auf 7000 Quadratmeter. Während Acharya im Norden Mumbais durch die neue Lagerhalle führt, vorbei an knallgelben Flurförderzeugen, erzählt er auch, wie Jungheinrich während der Pandemie die Krankenversicherung für alle indischen Mitarbeitenden erhöhte und einen satten Corona-Bonus zahlte. „Da hat manch einer vor Freude geweint.“ Deutsche Arbeitgeber genießen in Indien einen guten Ruf.
Darum zieht es deutsche Unternehmen nach Indien
Am südlichsten Zipfel Mumbais sitzt Stefan Halusa. 2020, mitten in der Corona-Pandemie, rückte der ehemalige Brose-Manager an die Spitze der Indo-German Chamber of Commerce. Seit Ende der Krise kommen Delegationen im Wochentakt. Mehr als 2000 deutsche Unternehmen sind bereits in Indien mit einer eigenen Niederlassung aktiv, davon produzieren rund 700 Firmen vor Ort.
„Die Firmen müssen im Rahmen des China-Derisking ihre Lieferketten stärker diversifizieren“, sagt Halusa. Und Indien könne mit einem hohen Wachstum von zuletzt 8,4 Prozent, der weltgrößten und noch dazu einer sehr jungen Bevölkerung und relativ niedrigen Lohnkosten punkten. Hinzu komme, dass Indien näher an Europa liege als China, politisch stabil und unlängst sogar die einstige Kolonialmacht Großbritannien als Wirtschaftsmacht überholt hat.
Indien: Größte Demokratie der Welt ist zur Wahl aufgerufen
Mit Spannung schaut jetzt auch die deutsche Community auf das politische Highlight des Jahres. Die Wahl der größten Demokratie der Welt will der seit zehn Jahren amtierende Premierminister Narendra Modi ein drittes Mal gewinnen. Es sieht gut für ihn aus. Aus Sicht von Halusa würde Modis Wiederwahl Kontinuität und Berechenbarkeit bringen, was sich positiv auf die Investitionen deutscher Unternehmen in Indien auswirken wird. „Der Anfang Februar vorgelegte Haushalt unterstreicht dies. Er sieht weiterhin hohe Investitionen in die Infrastruktur vor. Die Regierung setzt weiterhin auf Wachstum.“
Von den Milliarden-Investitionen, mit denen die heute fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt ihre teils marode Infrastruktur pushen will, profitieren auch deutsche Unternehmen. Seit Februar 2024 verbindet der Münchner Mobilitätsanbieter Flix 46 indische Städte mit mehr als 200 täglichen Bus-Fahrten. Im Herbst 2023 startete die Deutsche Bahn die erste Schnellbahnverbindung des Landes im Beisein eines prominenten Gastes: Premier Modi ließ die grüne Flagge sinken, bevor er in einem der hochmodernen Waggons mit 160 Stundenkilometern davonbrauste.
Indien investiert und kann besonders mit einer Sache punkten
Für die Bahn hat der Zwölfjahresvertrag laut Niko Warbanoff, CEO der DB E.C.O. Group, einen Auftragswert im dreistelligen Millionenbereich. Siemens Mobility wird mehr als 1200 Loks für drei Milliarden Euro liefern, die Billig-Airline Indigo orderte bei Airbus 500 Flugzeuge, zuvor hatte schon Air India 250 Maschinen bei Airbus bestellt.
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Auch die weltweit anerkannte Softwarekompetenz indischer Ingenieure lockt immer mehr deutsche Konzerne und Mittelständler. Hapag-Lloyd eröffnete in Chennai ein neues Technologiecenter, das die Angebote digitaler Services erhöhen soll. Für das Berliner FinTech Solaris arbeiten in Indien bereits mehr als 130 Experten, die die Teams in Deutschland und der Ukraine unterstützen.
Indien als aufstrebende Wirtschaftsmacht: Boom hat auch Schattenseiten
Von den ambitionierten grünen Energieplänen der Regierung will auch die SFC Energy AG profitieren. Der bayerische Produzent von Wasserstoff- und Methanol-Brennstoffzellen für stationäre und mobile Hybrid-Stromversorgungslösungen, der für das Jahr 2023 mit einem Umsatz von rund 118 Millionen Euro rechnet, erwartet mittelfristig allein von seiner indischen Tochter SFC Energy India Ltd. einen Umsatzbeitrag von rund 100 Millionen Euro. SFC liefert unter anderem an die indischen Streitkräfte, damit diese in der Grenzregion ihre Überwachungstechnik mit Strom versorgen können. „Dass deutsche Technologie im Spiel ist, ist bei den Ausschreibungen sicher von Vorteil“, sagt Thomas Martensmeier, seit Ende 2023 Geschäftsführer in Indien.
Doch während die Ankunft von Investoren oftmals laut gefeiert wird, vollzieht sich deren Rückzug leise. Etwa Metro. Die Düsseldorfer, die auf den Indien-Veranstaltungen in Deutschland einst voller Optimismus ihre Erfolgsgeschichte erzählten, verkauften ihre 31 Märkte und ihr Immobilienportfolio.
Indien: Bürokratie und Korruption bremsen Firmenpläne aus
Nach wie vor gilt Indien als schwieriger, komplizierter und bürokratischer Markt. Daran hat auch der im Alltag omnipräsente Premier Modi, der jüngst sogar lebensgroße Bildnisse von sich als Selfie-Point vor Bahn-Stationen aufstellen ließ, an jeder Ecke im Zentrum Delhis von Plakatwänden blickt und sogar in der Tagespresse Leitartikel veröffentlichen darf, nichts wesentlich geändert.
Laut German Indian Business Outlook 2023 von AHK Indien und KPMG gaben 53 Prozent der befragten deutschen Unternehmen an, dass sie sich durch Bürokratie und administrative Hürden beeinträchtigt fühlten. Es folgten Korruption (47 Prozent) und das regulatorische Umfeld (31 Prozent). Düstere Prognose: Mit wesentlichen Fortschritten rechnen die Befragten bis 2028 nicht. Auch Modis stark hindunationalistischer Kurs gefällt nicht jedem in der Wirtschaft. Und das von der deutschen Wirtschaft als sehr wichtig erachtete Freihandels- und Investitionsschutzabkommen zwischen der EU und Indien steckt seit Jahren fest.
Indien: Ist das Wachstum bald zu Ende? Eher nicht, glauben die Deutschen
„Aber es ist auch einiges passiert“, sagt Halusa. Für Firmengründungen etwa gebe es in einigen Bundesstaaten die One Window Lösungen mit einem Ansprechpartner für den gesamten Prozess. Steuererklärungen und Bezahlprozesse liefen mittlerweile auf elektronischem Weg. „Das entzieht der Korruption zumindest auf der oberen Ebene den Boden, auf der lokalen Ebene sicher noch nicht im gleichen Maß.“ Als positiv werten Experten zudem die Einführung der einheitlichen Goods and Services Tax, die eine Vielzahl von Steuern ersetzte und Steuererklärungen vereinfachte.
Trotz aller Herausforderungen überwiegt der Optimismus. Für Logistiker wie Jungheinrich hat der Markt noch ein riesiges Potenzial. Denn immer noch werden viele Waren von Hand bewegt. Doch der Trend geht klar zu immer mehr Automatisierung. Jungheinrich-Manager Acharya ist sich sicher: „In meiner Arbeitszeit werde ich das Ende des Wachstums nicht mehr erleben.“