San Francisco/Baltimore. Der Brückeneinsturz ist nicht nur eine menschliche Tragödie: Auch die Wirtschaft wird leiden – weit über die US-Grenzen hinaus.
In Baltimore macht sich am Tag nach dem Einsturz der Francis Scott Key Bridge Trauer breit. Die US-Küstenwache hat die Suche nach sechs vermissten Arbeitern eingestellt, die Behörden rechnen mit dem Tod der Menschen.
Währenddessen reift in den USA die Gewissheit heran, dass die Katastrophe nicht nur eine menschliche Tragödie ist – sondern massive wirtschaftliche Schäden verursacht, die weit über den Großraum Baltimore und den Bundesstaat Maryland hinausreichen. Bis die Hafenbehörde ihr Okay gibt, sind weite Teile des Hafens für den Schiffsverkehr gesperrt und damit bis auf Weiteres vom Atlantik abgeschnitten.
Lieferkettenproblem drohen – mit hohen Verlusten
US-Verkehrsminister Pete Buttigieg sprach am Dienstag bereits von Lieferkettenproblemen, von „denen wir wissen, dass sie kommen werden“. Laut einer Schätzung der Syracuse University könnten die Verluste bis zu 9 Millionen US-Dollar betragen, am Tag.
„Das wird einen riesigen Einschnitt in eine Menge von Lieferketten an der Ostküste bedeuten, vor allem in der Automobilindustrie“, sagte Professor Patrick Penfield dem Nachrichtenportal „Newsweek“.
Dem Verkehrsminister zufolge beträfen die Lieferkettenprobleme zudem nicht nur die Region um Baltimore, „sondern die gesamte US-Wirtschaft“. Und nicht nur die.
Denn der Hafen von Baltimore ist ein Tor, durch das jährlich allein rund 850.000 Fahrzeuge – Pkw und Kleinlaster – verschifft werden; kein anderer Hafen der USA hat im vergangenen Jahr so viele Automobile kommen und gehen sehen. Lesen Sie auch:Francis Scott Key Bridge – Sie war das Symbol Baltimores
Nach Brückeneinsturz: Automobilindustrie muss Alternativen suchen
Das Problem: Zwei der drei Autoterminals des Hafens, Fairfield und Dundalk, liegen hinter der eingestürzten Brücke, sind damit unzugänglich. Das trifft die deutsche Automobilindustrie: Mercedes betreibt in Fairfield einen großen Umschlagplatz, berichtet die „Wirtschaftswoche“. Eine Unternehmenssprecherin teilte dem Magazin am Dienstag mit, man prüfe nun mit Logistikpartnern, wie die Lieferwege in die USA anzupassen sind. Details wollte sie demnach nicht nennen.
BMW und Volkswagen, die ebenfalls über Baltimore abwickeln, haben hingegen Glück im Unglück: Ihr Terminal liegt am Hafeneingang, vor der eingestürzten Brücke.
Andere Hersteller müssen Alternativen suchen, General Motors etwa will seine Lieferungen umleiten. Stellantis, das unter anderem die Marken Opel, Fiat und Citroën im Portfolio hat, nannte den Hafen von Baltimore „eine wichtige Wasserstraße für die Automobilindustrie“. Die Niederländer arbeiteten an Lösungen, um einen „ungebrochenen Strom vom Fahrzeugen“ zu ermöglichen, berichtet das National Public Radio.
Dem Bericht zufolge klingt das erstmal einfacher, als es am Ende ist. Nicht jeder Hafen an der Ostküste kann große Autofrachter bedienen. Auch benötigt das Be- und Entladen der „Roll-on, roll-off“-Schiffe besondere Fähigkeiten – für die sich der Hafen von Baltimore rühme.
Dazu käme die Infrastruktur. Die Fahrzeuge müssen zu den Autohäusern gebracht werden, was wiederum Lkw und Fahrer benötigt.
Brückeneinsturz könnte Zehntausende Arbeitsplätze bedrohen
Auch die Wirtschaft im Großraum Baltimore wird den Einsturz der Francis Scott Key Bridge zu spüren bekommen. So hängen alleine 15.000 Arbeitsplätze direkt am Hafen, weitere 140.000 indirekt. Der Online-Versandhändler Amazon etwa prüft gerade, welchen Auswirkungen die Katastrophe auf sein Geschäft und die Angestellten haben wird, berichtet „Newsweek“.
Laut Angaben des Bundesstaates Maryland generiert der Hafen damit 3,3 Milliarden US-Dollar an Löhnen, 2,6 Milliarden an Geschäftseinnahmen und rund 400 Millionen US-Dollar an Steuereinnahmen für den Staat und die Stadt Baltimore.
US-Präsident Joe Biden hat bereits Hilfe versprochen: „Wir werden alles tun, um diese Arbeitsplätze zu beschützen und den Arbeitern zu helfen“, sagte er am Dienstag. Die Menschen von Baltimore könnten auf die Bundesregierung zählen.
Verkehrsminister Buttigieg bezeichnete die Brücke, die im Jahr mehr als 11 Millionen Fahrzeuge passieren, derweil als „Kathedrale der amerikanischen Infrastruktur“. Der Wiederaufbau werde lange dauern. „Es wird nicht schnell gehen, es wird nicht billig sein, aber wir werden gemeinsam wieder aufbauen.“
Kostenpunkt: unklar. Der Bau der Brücke hat 1977 mehr als 60 Millionen US-Dollar verschlungen.