Luxemburg/Berlin. Die Praxis der Bonitätsauskunft der Schufa kann gegen EU-Recht verstoßen – sagt das oberste EU-Gericht. Was das für Verbraucher heißt.
Dieses Urteil kann Folgen für Millionen Verbraucher haben: Der umstrittene Schufa-Score, die Bonitätseinstufung der Schufa zur Kreditwürdigkeit von Kunden, ist künftig nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. In der bisherigen Form verstößt das Scoring von Wirtschaftsauskunfteien in vielen Fällen gegen das europäische Datenschutzrecht – nämlich immer dann, wenn die Bonitätsauskunft maßgeblich zur Entscheidung beiträgt, ob und zu welchen Konditionen ein Unternehmen einen Vertrag mit einem Kunden abschließt.
Das entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Das Urteil des obersten Gerichts der Europäischen Union ist bindend auch für Deutschland. Die genauen Konsequenzen müssen jetzt aber deutsche Gerichte prüfen. In der Entscheidung ging es um das Punktesystem von 0 bis 100, mit dem die Schufa zum Beispiel für Vermieter, Versandhändler, Stromanbieter oder Mobilfunkunternehmen einstuft, wie zuverlässig ein Kunde seine Zahlungsverpflichtungen erfüllt. Dafür erhält die Schufa von 10.000 Vertragspartnern Finanzdaten, die über einen Algorithmus verarbeitet werden. Ein hoher Score verbessert für Verbraucher die Chance auf einen erfolgreichen Vertragsabschluss etwa über einen Kredit, die Wohnungsanmietung oder einen Handyvertrag – ein schwacher Score kann dagegen einen Vertrag scheitern lassen oder für schlechtere Konditionen sorgen.
In der bisherigen Praxis sieht das oberste EU-Gericht nun einen Verstoß gegen das europäische Datenschutzrecht. Denn darin ist festgelegt, dass Entscheidungen, die für Menschen eine rechtliche Wirkung haben, nicht allein durch die automatisierte Verarbeitung von Daten getroffen werden dürfen. Das aber könne bei dem Schufa-Score der Fall sein, so die Richter.
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Das Urteil betrifft über 60 Millionen Verbraucher
Kernsatz der Entscheidung: Das Scoring sei als grundsätzlich verbotene „automatisierte Entscheidung im Einzelfall“ anzusehen, sofern die Kunden der Schufa – also beispielsweise Banken – dieser Bewertung eine maßgebliche Rolle im Rahmen der Kreditgewährung beimessen. In dem vorliegenden Fall habe das Verwaltungsgericht Wiesbaden diese Meinung vertreten, so die Richter. Aber damit ist der Streit noch nicht abschließend geklärt: Nun müsse das Gericht prüfen, ob das deutsche Bundesdatenschutzgesetz im Einklang mit den EU-Regeln eine Ausnahme von diesem Verbot zulasse, so der EuGH. Treffe dies zu, müsse das Gericht außerdem prüfen, ob die von der EU festgelegten allgemeinen Voraussetzungen für die Datenverarbeitung erfüllt seien.
Das Urteil betrifft über 60 Millionen Menschen in Deutschland, über deren Daten die Schufa (Abkürzung für „Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung“) als größte Wirtschaftsauskunftei des Landes verfügt. Rund 300.000-mal am Tag fragen Banken, Mobilfunkunternehmen oder Händler bei der privaten Aktiengesellschaft nach der Bonität von Kunden. Bei den Verfahren vor dem EuGH ging es um zwei Fälle aus Deutschland. Im ersten Fall forderte der Kläger die Schufa auf, einen Eintrag zu löschen und ihm Zugang zu den Daten zu gewähren, nachdem ihm ein Kredit verwehrt worden war. Er wollte wissen, auf welcher Grundlage die Schufa seine Kreditwürdigkeit negativ eingeschätzt hatte.
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Das Unternehmen teilte ihm jedoch nur seinen Score-Wert mit und fügte allgemeine Informationen zur Berechnungsmethode hinzu, ohne Details offenzulegen. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden legte den Fall dem EuGH vor, um klären zu lassen, ob es sich bei dem Schufa-Scoring um eine auf einer automatisierten Verarbeitung beruhende Entscheidung handelt, die den Beschränkungen des europäischen Datenschutzrechts unterliegt.
Im zweiten Fall ging es um die Verfahren zur Restschuldbefreiung: Privatpersonen können sich durch eine Verbraucherinsolvenz in einem bestimmten Zeitraum von ihren Schulden befreien, auch wenn sie nicht alles zurückzahlen können. Ist das Verfahren erfolgreich beendet, wird eine Restschuldbefreiung erteilt. Insolvenzgerichte machen diese Information öffentlich, nach einem halben Jahr wird sie aber gelöscht. Im Gegensatz dazu wurden die entsprechenden Einträge im Schufa-Register drei Jahre lang verwendet. Die Luxemburger Richter urteilten nun, dass dies rechtswidrig sei. Ziel der Restschuldbefreiung sei es, dass die Betreffenden sich wieder am Wirtschaftsleben beteiligen können. Das würde vereitelt, wenn private Wirtschaftsauskunfteien die Daten über die Insolvenz länger speichern dürften. Die Schufa hat allerdings bereits im März nach den Schlussanträgen des EuGH-Generalanwalts von sich aus diese Frist auf sechs Monate verkürzt.
Schufa will am umstrittenen Scoring festhalten
Nach Ansicht des EuGH muss jetzt aber zusätzlich vom deutschen Gericht geprüft werden, ob die parallele Speicherung dieser Informationen bei der Schufa auch in der verkürzten Dauer überhaupt rechtmäßig ist oder die Betroffenen ein Recht auf Löschung hätten.
Die Schufa hatte sich in dem Rechtsstreit auf den Standpunkt gestellt, dass der Score wichtig, aber in aller Regel nicht maßgeblich für die Vertragsentscheidungen sei. Damit falle die Schufa nicht unter die entsprechenden Regelungen im europäischen Datenschutzrecht. In den vergangenen Monaten hatte die Schufa ihre Kunden um eine Bestätigung gebeten, dass der Score nicht entscheidend für ihre Vertragsabschlüsse sei.
Das Unternehmen hat jedoch schon vor der Entscheidung des EuGH vorsorglich auch erklärt, sollte sich durch das Urteil die Rechtsgrundlage ändern, werde „sich das Handeln der Schufa selbstverständlich den neuen Gegebenheiten anpassen“. Doch versicherte die Schufa gleichzeitig, sie wolle auf jeden Fall am Scoring festhalten. Dazu sind verschiedene Optionen im Gespräch: etwa zusätzliche Einwilligungen der betroffenen Verbraucher oder eine Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes.