Geisenhausen. Während Deutschland noch debattiert, hat eine Softwarefirma die Vier-Tage-Woche schon eingeführt – und lehrreiche Erfahrungen gemacht.
Mitten auf dem bayerischen Land, umgeben von Wiesen und Feldern, steht ein modernes Gebäude mit heller Fassade. Hier, rund eine Stunde von München entfernt, hat ein Unternehmen seinen Sitz, das alles ein bisschen anders macht als andere Betriebe. Bereits 2019 hat die Softwarefirma Adito beschlossen, sich von den klassischen hierarchischen Strukturen zu lösen. Stattdessen setzt es auf die sogenannte Holokratie – eine Unternehmensstruktur, die den Mitarbeitenden deutlich mehr Verantwortung und Gestaltungsmöglichkeiten gibt. Und noch etwas führte Adito ein, ohne lange zu zögern: die Vier-Tage-Woche.
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Bereits im Sommer des vergangenen Jahres entschieden sich die beiden Geschäftsführer Johannes Boesl und Tobias Mirwald für diesen Schritt. „Wir haben uns damals gedacht, dass es doch cool wäre, wenn wir nicht nur beim Thema Unternehmensstruktur Vorreiter sein könnten, sondern auch bei der Vier-Tage-Woche“, erzählt Mirwald heute. Ein Auslöser dafür: Das Unternehmen wollte als Arbeitgeber attraktiv bleiben. Firmen in Großstädten wie München oder Berlin seien in der Lage, Konditionen anzubieten, die sich ein ländlicher Betrieb wie Adito gar nicht leisten könne, sagt der studierte Wirtschaftsinformatiker. „Deswegen haben wir gesagt, dass wir uns abheben müssen. Und der beste Weg dazu schien uns, die Vergleichbarkeit zu ändern.“
Vier-Tage-Woche: 80 Prozent Arbeitszeit bei 100 Prozent Gehalt
Im Sommer 2022 verkündeten die beiden ihren rund 160 Mitarbeitenden die Entscheidung. Die Vier-Tage-Woche sollte zunächst als Pilotprojekt eingeführt werden, begrenzt auf ein Jahr. Und: Sie sollte nicht verpflichtend sein. „Wir haben uns nach dem Entschluss damit auseinandergesetzt, welche Modelle es gibt“, erzählt Mirwald. Am sinnvollsten erschien den beiden Geschäftsführern dann das Modell 100-90-100. Das bedeutet konkret: 100 Prozent Gehalt, 90 Prozent Arbeitszeit, 100 Prozent Unternehmensziele. Die Mitarbeitenden arbeiten also nur noch 36 Stunden in der Woche, bekommen jedoch genauso viel Geld wie zuvor.
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„Bei 80 Prozent Arbeitszeit, also 32 Stunden, konnten wir nicht wirklich glauben, dass man in der Zeit dasselbe schafft wie in 40 Stunden“, erklärt der Co-Geschäftsführer. Auch das Modell 100-100-100 – also gleichbleibende Arbeitszeit, verteilt auf vier Tage – erschien ihnen eher unrealistisch. Für die beiden stand daher fest: Es wird der Mittelweg. „Da waren wir zum einen überzeugt, dass wir uns das als Unternehmen leisten können und zum anderen auch, dass das für unsere Mitarbeitenden machbar ist“, so der Bayer.
Modell der Vier-Tage-Woche blieb für alle Mitarbeitenden freiwillig
Für die „Aditos“, wie die Belegschaft hier genannt wird, bedeutete das: Zum Herbst 2022 erhielten alle einen neuen Arbeitsvertrag. 36 Stunden Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn – umgerechnet eine Gehaltserhöhung von rund elf Prozent. Aufwendig analysiert, ob die Vier-Tage-Woche wirklich funktionieren könnte, haben die beiden Geschäftsführer nicht. „Wenn wir versucht hätten, alles genau durchzurechnen, hätten wir wahrscheinlich ein Jahr lang diskutiert“, sagt Mirwald. Stattdessen beschlossen sie damals, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen. „Wir haben uns gedacht: Wir werden nicht herausfinden, ob es funktioniert, wenn wir es nicht ausprobieren.“
Wichtig war den Geschäftsführern, niemanden dazu zu zwingen, nur noch an vier Tagen zu arbeiten. Deswegen stellten sie allen Angestellten frei, ob sie die 36 Stunden Arbeitszeit auf vier oder fünf Wochentage aufteilen wollten – also entweder an fünf Tagen durchschnittlich 7,2 Stunden zu arbeiten oder an vier Tagen je neun Stunden. Etwas mehr als ein Drittel entschied sich für die vier Tage. Dafür, dass die Quote nicht höher sei, sagt Mirwald, gebe es zwei Gründe: Zum einen wolle und könne nicht jede Person neun Stunden am Tag arbeiten. Zum anderen biete das Fünf-Tage-Modell eine hohe Flexibilität. Wer sich dafür entscheide, müsse nicht jeden Tag genau 7,2 Stunden arbeiten, sagt er. „Man kann genauso gut vier Tage lang acht Stunden machen und am Freitagmittag gehen.“
Arbeitszeit reduzierte Adito vor allem über Meetingdauer
Die größten Unterschiede bei der Wahl der Mitarbeitenden gab es, anders als erwartet, aber nicht nach Alter oder Familienstand – sondern nach Aufgabengebiet. So hätte sich etwa das Marketing-Team fast vollständig für vier Tage entschieden, sagt Mirwald. Bei den Entwicklern hingegen seien die fünf Tage beliebter. Das Modell von Adito bedeutet aber auch: in 36 Stunden ein Arbeitspensum zu erledigen, für das man bisher 40 Stunden hatte. Um das zu schaffen, hat das Unternehmen vor allem bei den Meetings angesetzt. Alle Besprechungen wurden einer Prüfung unterzogen.
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Zudem führte Adito präzise Meeting-Strukturen ein, die einem ganz bestimmten Ablauf folgen. „Dadurch konnten wir teilweise Meetings, die vorher fast eine Stunde gedauert haben, auf 15 Minuten verkürzen“, sagt der Co-Geschäftsführer. Am Anfang sei die Umstellung dennoch nicht immer einfach gewesen. „Es ist zum Beispiel vorgekommen, dass man plötzlich die Kompetenz einer ganz bestimmten Person gebraucht hat und dann feststellen musste, dass genau diese heute ihren freien Tag hatte“, erinnert sich Mirwald. Denn: Jeder Mitarbeitende kann bei Adito selbst entscheiden, an welchem Wochentag er nicht arbeiten will – solange das mit dem Team abgestimmt ist.
Christiane Maerz beispielsweise hat nun immer freitags frei. Für die Leiterin des Bereichs Personalmarketing und Personalentwicklung war von Anfang an klar, dass sie die Vier-Tage-Woche machen wollte. „Das nimmt einfach den Druck aus dem Alltag raus“, sagt die 40-Jährige. Durch den zusätzlichen freien Tag sei es auch deutlich leichter, die Betreuung ihrer Tochter zu organisieren. „Für mich war das auf jeden Fall ein Geschenk“, erzählt Maerz.
In diesem Sommer wurde Vier-Tage-Woche zum Standard
Ihr Kollege Stefan Seemann hat sich hingegen dazu entschieden, die 36 Stunden auf fünf Tage aufzuteilen. Ausschlaggebend sei für ihn die Flexibilität gewesen, erklärt der 22 Jahre alte Entwickler: „So kann ich mir meine Arbeitszeit frei einteilen und auch mal spontan entscheiden, an einem Tag mittags aufzuhören und dafür dann an den anderen länger zu machen.“ Jeden Tag neun Stunden zu arbeiten, sei ihm hingegen zu stressig. Für die Kürzung auf 36 Stunden ist Seemann dennoch sehr dankbar.
Beide – Seemann und Maerz – könnten sich zwar vorstellen, irgendwann wieder 40 Stunden zu arbeiten, sagen sie, wünschen würden sie es sich aber nicht. Und sie haben Glück. Im Sommer dieses Jahres – nach einem Jahr Pilotphase – beschlossen die beiden Adito-Geschäftsführer, das Modell langfristig beizubehalten. „Wir haben uns die Zahlen angeguckt und festgestellt, dass sich nichts verändert hat“, sagt Mirwald. Also sahen sie keinen Grund, zu den 40 Stunden zurückzukehren. Und auch Mirwald arbeitet mittlerweile freitags nicht mehr – auch wenn es für die Geschäftsführung keine feste Stundenzahl gibt.
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