Essen. Bei Evonik plant der Vorstand Ausgliederungen und Teilverkäufe im Bereich Infrastruktur. Das zeigt, wie sehr die Chemiebranche unter Druck steht.
Der Essener Chemiekonzern Evonik – vielen Menschen im Ruhrgebiet als langjähriger Sponsor von Borussia Dortmund bekannt – ist ein erfolgsverwöhntes Unternehmen. An den großen Standorten von Evonik – in Marl, Wesseling und Antwerpen etwa – ließ sich gutes Geld verdienen mit Chemikalien, die in allerlei Alltagsprodukten zum Einsatz kommen. Ob in Tapeten, Shampoos, Sportschuhen oder Autos – fast überall sind Chemiekonzerne wie Evonik ein Teil der Wertschöpfungskette.
Doch das Geschäftsmodell wackelt. Es sind vor allem die hohen Energiepreise, die eine toxische Wirkung in einer der deutschen Schlüsselindustrien entfalten. Die Vorstände im Land reagieren wahlweise mit Sparprogrammen, Stellenabbau, Anlagen-Schließungen oder Produktionsverlagerungen.
Dass sich der Evonik-Vorstand nun dazu veranlasst sieht, einen Verkauf seiner seit Jahrzehnten aufgebauten Infrastruktur rund um große europäische Chemie-Standorte vorzubereiten, gibt zu denken. Eine gute Infrastruktur – Schienen, Straßen, Wasserwege – legt die Basis für Wohlstand. Ein leichtfertiger Verkauf wäre also fahrlässig.
Chemiestandort Marl – künftig nicht mehr von Evonik betrieben?
Ob der Chemiestandort Marl tatsächlich in einigen Jahren nicht mehr von Evonik betrieben wird? Es wäre eine gravierende Veränderung für einen der größten Chemiestandorte Deutschlands. Von den rund 11.000 Beschäftigten am Standort im Norden des Ruhrgebiets sind derzeit etwa 7000 Menschen direkt bei Evonik beschäftigt – und rund 4000 bei anderen Arbeitgebern. Dieses Verhältnis könnte sich perspektivisch umkehren, wenn die angedachten Veränderungen des Evonik-Managements Realität werden.
Die skeptische Reaktion der Gewerkschaft IGBCE ist bemerkenswert. Traditionell sind Arbeitnehmer und Arbeitgeber in der Chemieindustrie konsensorientiert. Das ist umso leichter, wenn es aufwärts geht. Doch nun geht es eher abwärts.
Die Veränderungen kommen nicht von heute auf morgen. Schließlich lassen sich die riesigen Anlagenparks nicht einfach ab- und andernorts wieder aufbauen. Doch mit jeder Investitionsentscheidung, die gegen Chemiestandorte wie Leverkusen, Ludwigshafen oder Marl fällt, verliert Deutschlands Industrie ein Stück ihrer Stärke.