Helgoland. Daniela Kappher ist Postbotin auf der Insel Helgoland. Umgeben von Meer läuft einiges anders – und die Postsendungen haben es in sich.

Das Schiff hat noch nicht richtig festgemacht, da geht für Daniela Kappher schon die Arbeit los. Während die Hafenmitarbeiter um sie herum die Taue festmachen, schweben über der 37-Jährigen bereits drei wuchtige gelbe Seesäcke. Der Lastenkran befördert seine schwere Fracht langsam von Bord. Kappher, gelber Helm, rote Schwimmweste, lenkt sie geschickt in die bereitstehenden Transportwagen.

Wenige Meter weiter drängen derweil zahlreiche Touristen die schmale Gangway des Schiffes herunter. Rentner mit Fotoapparaten, Paare mit Sonnenbrillen, Kinder, die auf der Rampe von rechts nach links hüpfen. Es ist das tägliche Ritual hier auf Helgoland, rund 60 Kilometer von der Küste entfernt, mitten in der Nordsee gelegen.

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Helgoland wird als Deutschlands einzige Hochseeinsel bezeichnet – wobei das mittlerweile umstritten ist, nachdem Zweifel aufkamen, ob sie eigentlich die exakte geografische und rechtliche Definition einer Hochseeinsel erfüllt. Sei’s drum. Abgeschiedener als hier wohnt es sich kaum irgendwo anders im Rest der Republik. „Helgoland ist der einzige Arbeitsplatz in Deutschland, der nicht binnen eines Tages hin und zurück von einem anderen Ort erreicht werden kann“, sagt Bürgermeister Thomas Pollmann.

Deutsche Post: Auch auf Helgoland werden täglich Pakete und Briefe zugestellt

Wer sich für die Arbeit auf Helgoland entscheidet, entscheidet sich für das Leben auf Helgoland. So wie Daniela Kappher. Aufgewachsen nahe Bremen, zog sie 2011 auf die Insel – der Liebe wegen. „Die ersten zwei Winter sind schwer, danach ist man angekommen“, sagt sie. „Ich bereue es nicht.“ Kappher ist eine Insulanerin – auf diese Unterscheidung legt man wert auf dem Eiland. Als Helgoländer wurde man hier geboren, als Zugezogener ist man Insulaner. Muss man wissen.

Schwere Fracht: Von der „MS Helgoland“ werden die Seesäcke voller Pakete auf die Transportkarren der Post geladen. Postbotin Daniela Kappher benötigt die richtige Mischung aus Kraft und Fingerspitzengefühl – im Schnitt wiegt ein Sack rund 150 Kilogramm.
Schwere Fracht: Von der „MS Helgoland“ werden die Seesäcke voller Pakete auf die Transportkarren der Post geladen. Postbotin Daniela Kappher benötigt die richtige Mischung aus Kraft und Fingerspitzengefühl – im Schnitt wiegt ein Sack rund 150 Kilogramm. © Christian Bendel/DHL Group | Christian Bendel/DHL Group

Genauso gut zu wissen ist, dass man sich hier nicht mit „Moin“, sondern mit „Hallo“ begrüßt und sich nur bei der allerersten Begrüßung die Hand gibt – man sieht sich auf den 170 Hektar Fläche einfach zu oft, um ständig Hände zu schütteln.

Anfangs hat Daniela Kappher gefühlt jeden Job, den man auf der Insel machen kann, ausprobiert. Sie arbeitete als Erzieherin im Kindergarten, verkaufte Fahrkarten für die Fähre zur Helgoländer Nachbarinsel Düne, machte kurz im örtlichen Krankenhaus Station, arbeitete beim Bäcker und in einem Café. Seit vier Jahren ist sie nun beruflich sesshaft geworden, trägt als Postbotin für die Deutsche Post DHL die Briefe und Pakete aus. Wobei der Job selbst alles andere als sesshaft ist. Wer auf Helgoland Post zustellt, muss anpacken können.

Postsendungen auf Helgoland: Feuerholz, Schlick – und lebende Meerestiere

1670 Pakete und 7000 Briefe kommen im Schnitt pro Woche auf Helgoland an, täglich geliefert mit der „MS Helgoland“, einem sich seit Ende 2015 im Einsatz befindlichen 83 Meter langen Seebäderschiff. Betrieben wird es mit Flüssiggas – und an den Masten weht neben der Helgoländer Flagge mit den waagerechten Streifen in den Farben Grün, Rot und Weiß stets auch die gelbe Postflagge.

Daniela Kappher arbeitet seit vier Jahren als Postbotin auf Helgoland.
Daniela Kappher arbeitet seit vier Jahren als Postbotin auf Helgoland. © Christian Bendel/DHL Group | Christian Bendel/DHL Group

Während die Tagestouristen auf dem Südhafenterminal nach Orientierung suchen und dann in Richtung der bunten Hummerbuden davonziehen, verlädt Daniela Kappher die Eilpost – heute sind es lebende Meerestiere vom Alfred-Wegener-Institut, die aufs Festland sollen. Die Postsendungen sind hier etwas anders als in anderen Teilen der Republik. Mal schnell ins nächste Einkaufszentrum zu fahren, ist auf Helgoland nicht möglich. Entsprechend viel bestellen die Helgoländer und Insulaner online.

Kappher zählt auf: „Feuerholz, Wasser, Blumenerde sind sehr beliebt bei den Einwohnern.“ Bei der Postbotin allerdings weniger, immerhin muss sie das alles schleppen. Hinzu kommt der Schlick, den sich das Kurmittelhaus regelmäßig schicken lässt.

13 Postleitzahlen, 660 Postfächer – und bis zu 4,5 Tonnen Post am Tag

Das Team der Post auf Helgoland ist eine eingeschworene Gemeinschaft. Da ist Stefan Allmrodt, seit 42 Jahren bei der Post und noch verbeamtet. Seit 2019 ist der zweifache Vater und baldige Großvater Zustellteamleiter, er koordiniert die Arbeit vor Ort. Wie Daniela Kappher ist auch der 59-Jährige Insulaner und der Liebe wegen nach Helgoland gezogen, erstmals für die Post war er am zweiten Weihnachtstag 1985 auf Helgoland im Einsatz.

Und da ist Tim Psyschny, 35 Jahre alt, Helgoländer, er betreibt abends eine Bar. Tagsüber trägt er Briefe und Pakete aus. Und Michael Duve, bald 63 Jahre alt, hatte einen Großvater, der seinerzeit schon als Hummerfischer auf der Insel lebte und in einer der bunten Hummerbuden seine Netze und Körbe flickte.

Das Helgoländer Postteam: Stefan Allmrodt (von links), Michael Duve, Daniela Kappher und Tim Pyschny.
Das Helgoländer Postteam: Stefan Allmrodt (von links), Michael Duve, Daniela Kappher und Tim Pyschny. © Christian Bendel/DHL Group | Christian Bendel/DHL Group

Obwohl gerade einmal 1300 Menschen auf Helgoland leben, haben die Postboten der Insel alle Hände voll zu tun. 13 Postleitzahlen hat die Insel, 200 Haushalte werden beliefert, hinzu kommen 660 Postfächer, die täglich gefüllt werden. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl ist es eine der größten Postfachanlagen des Landes. In der Spitze landeten während der Pandemiezeiten bis zu 4,5 Tonnen Post am Tag auf der Insel an.

Die wenigen erlaubten Fahrzeuge auf Helgoland fahren elektrisch

An diesem Tag ist es ruhiger. 1133 Kilogramm Post und Pakete, verteilt auf 10 Frachtsäcke, acht Sperrgutlieferungen und zwei Kisten voller Briefe. Zustellteamleiter Stefan Allmrodt sortiert die Briefe händisch in die Postfachanlage, als er fertig ist, springt die altertümliche Leuchtstoffröhre an, auf der „Verteilt“ steht. Unterdessen haben Daniela Kappher, Tim Pyschny und Michael Duve die Pakete für die Austragungsrouten sortiert.

Für Daniela Kappher beginnt nun die Tour – mit der Elektro-Karre. Auf Helgoland ist Autofahren verboten, die wenigen Fahrzeuge, die es gibt – die Post-Karren, das Polizeiauto, der Krankenwagen, die zwei Taxen – fahren elektrisch. Außerorts gilt eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 10 Stundenkilometern, innerorts von sechs Stundenkilometern. Wobei kaum jemand so richtig sagen kann, wo auf Helgoland eigentlich außer- und innerorts sein soll.

Zustellteamleiter Stefan Allmrodt sortiert die Päckchen.
Zustellteamleiter Stefan Allmrodt sortiert die Päckchen. © Christian Bendel/DHL Group | Christian Bendel/DHL Group

Die meisten Paketempfänger trifft Kappher nicht persönlich an, auch sie arbeiten. Macht aber nichts, auf Helgoland gibt es 610 Ablageverträge, die Insulaner sind vertrauenswürdig. Postbotin auf Helgoland zu sein, bedeutet mehr als nur Briefe und Pakete auszutragen. Man ist auch Ansprechpartnerin, Problemlöserin. „Wenn ich im Urlaub bin, werde ich schon mal angeschrieben, wo eigentlich das Paket bleibt“, erzählt Kappher.

Post als Universaldienstleister: Nicht jeder Standort rechnet sich

Auch im Dienst ist sie gefragt. Eine Frau kommt vorbei, als Kappher gerade nahe des Leuchtturms Pakete zustellt. Wo es denn zur Langen Anna, dem Wahrzeichen gehe, will die Frau mit Schweizer Dialekt wissen. Kappher zeigt ihr den Weg – und erklärt gleich noch, welche Vögel gerade Brutzeit haben. Wenig später wird es ruhiger auf der Insel, die Touristen kehren auf den Schiffen ans Festland zurück. Für Kappher steht der Feierabend an.

Aber was macht man in seiner Freizeit, wenn man auf einem Stückchen Land lebt, dessen vollständige Umrundung zu Fuß nicht länger als eine Stunde dauert? Freunde treffen, eine Serie schauen – „drüben macht man ja auch nicht viel anderes“, sagt Kappher. Drüben, das ist das Festland. Und wenn man sein Leben auf der Insel verbringt, dann wird „drüben“ zu etwas Besonderem, sagt Kappher. Dann mache man bei einem Festlandbesuch all das, was man sonst im Alltag auf dem Festland vielleicht nicht machen würde: shoppen gehen, ins Theater fahren, eine Musicalvorstellung besuchen.

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Während die Übernachtungsgäste am nächsten Morgen noch ihr Frühstück zu sich nehmen, ist Daniela Kappher schon wieder unterwegs. Der Hafen und die bunten Hummerbuden liegen verlassen da, als Daniela Kappher die übrig gebliebenen Pakete des Vortages zustellt. 80 Prozent der DHL-Paketsendungen müssen bundesweit im Schnitt binnen zwei Tagen ausgeliefert sein.

Mit der sogenannte Elektrokarre wird auf Helgoland die Post ausgefahren.
Mit der sogenannte Elektrokarre wird auf Helgoland die Post ausgefahren. © Christian Bendel/DHL Group | Christian Bendel/DHL Group

Auf Helgoland dauert alles etwas länger. Vom Verteilzentrum geht die Post nach Cuxhaven, von dort aufs Schiff, erst am Mittag oder frühen Nachmittag kommt sie auf Helgoland an, wo sich die Zustellung wiederum auf den aktuellen und den Folgetag streckt. Mancher Tourist komme schonmal bei der Post vorbei, um sich zu beschweren, dass die aktuelle Tageszeitung nicht auf dem Frühstückstisch gelegen habe – eine technische Unmöglichkeit für das Post-Team auf der Insel.

Nicht nur die 80-Prozentregel wird auf Helgoland eher selten eingehalten. Der Standort ist ein Beispiel für die Verpflichtung der Post als Universaldienstleistung, eine Grundversorgung sicherzustellen – auch in den entlegensten Orten des Landes. Rechnen tut sich der ganze Aufwand, die Fährfahrt, die vier Zusteller, die E-Karren, für 200 Haushalte nicht. Und dann ist da immer die Sorge vor dem Fachkräftemangel. Am Post-Stützpunkt kann man sich auf einander verlassen, doch Nachfolger zu finden, wenn einer in Rente geht oder ausscheidet, ist immer schwierig.

Lebenshaltungskosten auf Helgoland sind teuer

Denn wer auf der Insel leben will, muss es sich auch leisten können und wollen. „Für knapp 90 Quadratmeter werden hier schon mal 1500 Euro warm fällig“, berichtet Tim Pyschny über die hohen Mieten auf der Insel. Auch sonst sind die Lebenshaltungskosten deutlich höher als anderswo, 500 bis 600 Euro müsse man für zwei Erwachsene und ein Kind im Monat an Lebensmitteln rechnen, so der 35-Jährige. Hinzu kämen fast 270 Euro Kita-Gebühren im Monat.

Am Morgen ist vor den bunten Hummerbuden noch alles leer. Nachmittags tummeln sich hier die Touristen.
Am Morgen ist vor den bunten Hummerbuden noch alles leer. Nachmittags tummeln sich hier die Touristen. © Christian Bendel/DHL Group | Christian Bendel/DHL Group

Als Zusteller verdient man in der Post nach aktuellem Tarifvertrag in der Entgeltstufe 3 aktuell noch knapp 2500 Euro brutto, wenn man drei Jahre lang dabei ist. Netto bleiben dann knapp 1800 Euro übrig. 2024 sollen die Gehälter im Zuge des neuen Tarifabschlusses steigen.

Für Daniela Kappher geht es unterdessen zurück ins Lager. Die Seesäcke mit der Post, die von Helgoland aufs Festland geht, müssen gepackt werden, rund 210 Tonnen Paketgewicht verlassen die Insel pro Jahr, hinzu kommen rund 22,5 Tonnen an Briefen. Warum tut sie sich die tägliche Schlepperei an? „Ich mag es, unterwegs zu sein, draußen zu sein“, sagt sie. „Man trifft regelmäßig Leute, sitzt nicht nur in einem Büro.“ Dann muss sie weiter, runter zum Hafen. Denn die „MS Helgoland“ läuft bald ein. An Bord die dicken gelben Seesäcke, die darauf warten, entladen zu werden.