Essen/München. Mängel an Windrädern der Tochter Siemens Gamesa. Dax-Konzern verliert ein Drittel seines Börsenwerts. Das hört man im Mülheimer Werk nicht gern.

Seine traditionellen Standorte wie das Turbinenwerk in Mülheim stellt Siemens Energy noch auf die passenden Zukunftstechniken um. Am erhofften Wasserstoff-Boom will man teilhaben, etwa mit der Fertigung von Elektrolyseuren, mit denen die Energie von morgen produziert wird. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird sich am Dienstag (27. Juni) in Mülheim ein Bild von der Entwicklung des Ruhrgebietswerks machen. Dort, wo Siemens bereits mitten im Ökostromzeitalter angekommen ist, in der Windkraftsparte, will es allerdings gar nicht laufen. Neue Pannen und eine Gewinnwarnung schockierten am Freitag die Börsen.

Mehr als ein Drittel ihres Wertes verlor die im Dax notierte Aktie von Siemens Energy bis zum späten Nachmittag – damit wurden mehr als sechs Milliarden Euro vernichtet. Der Grund: Aufgrund größerer Qualitätsmängel an den Windrädern der spanischen Tochter Siemens Gamesa musste die Mutter ihre Gewinnprognose für das laufende Geschäftsjahr erneut zurückziehen – nur wenige Wochen nachdem sie bereits im Mai gesenkt worden war. Das Wort Gewinnwarnung passt auch eigentlich nicht, denn erwartet wurde ohnehin ein hoher dreistelliger Millionenverlust, ob es nun in den Milliardenbereich geht, ließ Siemens Energy offen und gab vorerst keine neue Prognose ab.

Viele Rotorblätter müssen repariert werden

Es geht um bereits verkaufte, laufende Windräder, deren Rotorblätter und Lager ausgetauscht oder repariert werden müssen. Qualitätsprobleme an einigen Windkraftanlagen waren bekannt, doch zuletzt hat es den Angaben zufolge deutlich mehr Ausfälle gegeben als erwartet. Jochen Eickholt, der als Sanierer zur seit Jahren verlustträchtigen Tochter nach Spanien entsandt worden war, rechnet nun mit Kosten von mehr als einer Milliarde Euro, die aus dieser erneuten Hiobsbotschaft resultieren.

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Der Rückschlag sei bitter und das Ausmaß der Probleme größer als erwartet, sagte Siemens-Energy-Chef Christian Bruch. Er kritisierte die Fehlerkultur bei Gamesa, dessen Verwaltungsrat der neue Thyssenkrupp-Chef Miguel López bis Ende 2022 geführt hat und dessen Aufsichtsvorsitz Bruch selbst übernahm. Dort sei zu viel unter den Teppich gekehrt worden, sagte der Energy-Chef nun. Gamesa-Vorstandschef Eickholt erinnerte an seine frühere Aussage, dass es bei Gamesa keine Probleme gebe, die er nicht andernorts schon mal gesehen habe – um dann hinzuzufügen: „Das würde ich heute so nicht mehr sagen.“

Als die Sparte mit dem größten Potenzial für den Energiekonzern gehandelt, zieht Gamesa seine Mutter Siemens Energy seit Jahren bilanziell runter – und zehrt damit auch die Gewinne aus anderen Konzernteilen auf, etwa der konventionellen Kraftwerkstechnik, zum Beispiel aus Mülheim. Grund für die Gamesa-Krise ist der in Europa ruinöse Wettbewerb unter dem Windkraftbauern. Seitdem die Rechte für den Bau neuer Anlagen in staatlichen Auktionen für die günstigsten Angebote vergeben werden, liefern sich die wenigen Hersteller Preiskämpfe, die es schwer machen, mit einem Auftrag überhaupt noch Geld zu verdienen.

Verluste begrenzen Spielräume für alle Bereiche

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Konzernchef Bruch hatte die Märkte zwar darauf vorbereitet, dass nach dem Börsengang 2020 der erste Gewinn erst im bis September laufenden Geschäftsjahr 2023/24 zu erwarten sei. Doch die Probleme bei Gamesa, die Eickholt in den Griff kriegen sollte, die nun aber immer größer werden, lassen wenig Spielraum für Optimismus. Und die nun im dritten Jahr steigenden Verluste des Börsenneulings rauben Siemens Energy Spielräume, in Zukunftsfelder zu investieren. Genau das, was die Beschäftigten in Mülheim, die einen Stellenabbau nach dem anderen erlebt haben, seit Jahren einfordern. Und was das Unternehmen an seinem Ruhrgebiets-Standort auch zusehends tut – sei es mit dem Bau von Wasserstoff-Elektrolyseuren oder mit der Entwicklung großer Wärmepumpen für die Industrie. mit dpa