Essen/Dortmund. Der neue Thyssenkrupp-Chef López – wenige Tage im Amt – geht in die Offensive. Der Börsengang der Wasserstoff-Tochter Nucera soll schnell kommen.

Der erste „Kapitalmarkttag“ der Thyssenkrupp-Tochter Nucera liegt schon einige Zeit zurück. Es war Anfang vergangenen Jahres, als grelles Pink anstelle der sonst üblichen Firmenfarbe Blau das Essener Konzernquartier dominierte. „We shape the new era“ leuchtete als Slogan auf einer riesigen Bühne. Redner, die allesamt auf Englisch vortrugen, betonten, wie Thyssenkrupp eine „neue Ära prägen“ wolle. Das Ziel der Veranstaltung: Potenziellen Investoren sollte das Wasserstoff-Geschäft des Essener Traditionskonzerns schmackhaft gemacht werden. Es hieß, Nucera könnte schon bald an die Börse gehen. Doch dazu kam es zunächst nicht.

Nun gibt es Bewegung in der Sache. Der neue Thyssenkrupp-Chef Miguel López – erst seit Anfang des Monats im Amt – will Nucera noch in diesem Sommer an die Börse bringen. Rund 500 bis 600 Millionen Euro sollen so in die Kasse kommen. Mit den erhofften Einnahmen solle Nucera mehr „finanziellen Spielraum“ bekommen, sagt López. Mit einer Notierung an der Frankfurter Börse werde die Thyssenkrupp-Tochter zudem „als führender Technologieanbieter für die Produktion von grünem Wasserstoff“ sichtbarer.

Momentan ist Thyssenkrupp mit etwa zwei Dritteln an Nucera beteiligt. 34 Prozent der Anteile gehören dem italienischen Unternehmen De Nora, das erklärte, es wolle „die langjährige Partnerschaft“ mit Thyssenkrupp und Nucera fortführen. Im Zuge des Börsengangs ist eine Kapitalerhöhung geplant, womit sich die Anteile der bisherigen Eigentümer verringern. Thyssenkrupp beabsichtige, bei Nucera „langfristig als Aktionär engagiert zu bleiben und eine Mehrheitsbeteiligung zu halten“.

Die italienische Firme De Nora ist auch an anderer Stelle mit Nucera verbunden. Das Unternehmen fertigt für die Thyssenkrupp-Tochter am Standort Rodenbach bei Frankfurt Zellen, die in den Anlagen zur Wasserstoff-Herstellung zum Einsatz kommen. Weite Teile der Produktion hat Nucera somit ausgegliedert.

Ministerpräsident Wüst bei der Grundsteinlegung in Dortmund

Nucera selbst beschäftigt rund 600 Menschen weltweit, etwas mehr als die Hälfte davon in Dortmund. Hier entsteht derzeit eine neue Firmenzentrale. Zur Grundsteinlegung im März reisten auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD) an, die fürs Erinnerungsfoto Maurerkellen in die Höhe reckten. „Mit Know-how aus Nordrhein-Westfalen wird in Dortmund die klimaneutrale Zukunft unseres Landes gestaltet“, bemerkte Wüst bei dieser Gelegenheit. Für die zweite Jahreshälfte 2024 ist der Umzug in die neue Zentrale geplant. „Wir wollen weiter am Standort Dortmund wachsen“, sagt Nucera-Chef Werner Ponikwar.

Die Pläne für den Börsengang der Wasserstoff-Tochter hatte bereits die zum Monatswechsel ausgeschiedene Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz vorgelegt. Zum aktuellen Zeitplan heißt es, der

Der neue Thyssenkrupp-Chef Miguel López geht mit dem Börsengang von Nucera in die Offensive.
Der neue Thyssenkrupp-Chef Miguel López geht mit dem Börsengang von Nucera in die Offensive. © Thyssenkrupp/dpa

Börsengang solle „noch vor der Sommerpause abgeschlossen“ sein. Es ist eine Formulierung, mit der sich der neue Thyssenkrupp-Chef López nicht auf ein genaues Datum festlegt. Aber klar ist auch: Nun muss etwas kommen. Maßgeblich am Börsengang beteiligt sind Banken wie Citigroup und die Deutsche Bank, die den Weg der Thyssenkrupp-Tochter zum Kapitalmarkt begleiten sollen.

Tüngler: „Sehr beachtliche Duftmarke“ des neuen Thyssenkrupp-Chefs

Warum Nucera gerade jetzt zum Kapitalmarkt strebe? Es scheine „der optimale Zeitpunkt“ gekommen zu sein, sagt Nucera-Finanzchef Arno Pfannschmidt dazu lediglich auf Nachfrage in einer Telefonkonferenz. Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) spricht von der „ersten und sehr beachtlichen Duftmarke“ des neuen Thyssenkrupp-Chefs López.

Den Namen Nucera hatte der Konzern im Januar vergangenen Jahres bekanntgegeben. Er setzt sich aus „new”, „UCE” und „era” zusammen. Er symbolisiere „den Aufbruch in eine neue Ära der Innovation, Transformation und grünen Energie“, so Thyssenkrupp. Zuvor hieß Nucera Uhde Chlorine Engineers (UCE).

Im Zuge des Börsengang hat Thyssenkrupp auch Geschäftszahlen für Nucera veröffentlicht. In der ersten Hälfte des Geschäftsjahres 2022/2023 steigerte das Unternehmen seinen Umsatz demnach auf 306 Millionen Euro – nach 176 Millionen Euro im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Das Betriebsergebnis („bereinigtes Ebit“) habe im ersten Halbjahr 2022/2023 bei 13,3 Millionen Euro betragen.

Das öffentliche Angebot beim Börsengang solle „hauptsächlich aus neu ausgegebenen Stammaktien aus einer Kapitalerhöhung bestehen“, so Thyssenkrupp. Details ließ der Konzern dabei noch offen. Die Gesamtzahl der Aktien, die so auf den Markt kommen sollen, sowie „andere relevante Bedingungen“ würden vor dem Start des Börsengangs festgelegt. Noch ist damit unklar, wie Nucera bewertet wird.

Nucera-Chef Ponikwar betont die großen Wachstumspotenziale

Nucera-Chef Ponikwar hebt die Wachstumschancen der Dortmunder Thyssenkrupp-Tochter hervor. „Grüner Wasserstoff ist ein Schlüsselfaktor für die Dekarbonisierung der Industrie und damit der Erreichung der Klimaschutzziele“, sagt er. „Unsere Technologie produziert grünen Wasserstoff im großen Stil und unterstützt unsere Kunden auf dem Weg zur Klimaneutralität.“ Schätzungen zufolge dürfte sich der jährliche, weltweite Bedarf an Wasserstoff von aktuell 95 bis 100 Millionen Tonnen bis zum Jahr 2050 versiebenfachen, so Ponikwar.

Thyssenkrupp verweist auf eine Projekterfahrung von über fünf Jahrzehnten von Nucera mit mehr als 600 abgeschlossenen Projekten. Damit sei das Unternehmen Nucera ein Marktführer im Chlor-Alkali-Geschäft der Elektrolyseure zur Wasserstoff-Produktion. Im Vergleich zu anderen Technologien ermögliche die alkalische Wasserelektrolyse von Nucera „eine größere und zentralisiertere Herstellung von grünem Wasserstoff im industriellen Maßstab“, betont Thyssenkrupp. Nicht nur mit dem Anlagenbau, sondern auch mit Wartung und Service will das Unternehmen langfristig Geld verdienen. Ein Elektrolyseur habe eine Lebenszeit von bis zu 30 Jahren, wird bei Nucera betont.

„Unsere Auftragsbücher sind voll“, berichtet Firmenchef Ponikwar. So wirkt Nucera unter anderem beim Aufbau des ersten europäischen Werks für grünen Stahl in Schweden mit, wie Thyssenkrupp vor wenigen Wochen mitteilte. Für das Projekt „H2 Green Steel“ will Nucera Elektrolyseure liefern, die der Herstellung von CO2-freiem Wasserstoff dienen sollen. Mit einer Leistung von mehr als 700 Megawatt soll eine der größten Wasserelektrolyse-Anlagen in Europa entstehen.