Düsseldorf. Beim Umbau von Thyssenkrupp in Duisburg hat der Anlagenbauer SMS Group die Schlüsselrolle. SMS-Chef Burkhard Dahmen sagt, was nun bevorsteht.

Bei Thyssenkrupp ist von einem Vorhaben mit historischer Dimension die Rede. Duisburg, Deutschlands größter Stahlstandort, soll für eine Zukunft ohne die Kohle gewappnet werden. Eine Schlüsselrolle spielt dabei Burkhard Dahmen, der Chef des Düsseldorfer Anlagenbauers SMS. Sein Unternehmen soll die erste DRI-Anlage in Duisburg bauen, mit deren Hilfe Thyssenkrupp künftig „grünen Stahl“ im Ruhrgebiet herstellen will. Das wirtschaftliche Risiko bei dem Großprojekt trägt im Wesentlichen der SMS-Konzern. „Es ist eine riesige Baustelle“, berichtet Burkhard Dahmen im Gespräch mit unserer Redaktion. „Wir rechnen damit, dass zwischenzeitlich bis zu 3000 Menschen auf der Baustelle in Duisburg arbeiten. Wir haben für unsere Ingenieursarbeit 750.000 Arbeitsstunden eingeplant. Weitere zwei Millionen Stunden werden voraussichtlich bei unseren Partner-Unternehmen erforderlich sein, um die Anlage zu bauen.“ Auch über Duisburg hinaus hat der SMS-Konzern große Pläne.

Herr Dahmen, mit Ihrem Unternehmen SMS sind Sie für ein Großprojekt verantwortlich, das enorme Bedeutung für NRW hat. In Duisburg wollen Sie gemeinsam mit Thyssenkrupp Steel eine klimafreundliche Nachfolgetechnologie der bestehenden Hochöfen aufbauen – mit massiver finanzieller Unterstützung aus der Staatskasse. Läuft bisher alles nach Plan?

Dahmen: Ja, die Arbeiten in Duisburg haben begonnen und wir kommen gut voran. Das Projekt bedeutet uns sehr viel. Thyssenkrupp und SMS arbeiten seit vielen Jahrzehnten eng zusammen. Wir sind uns der Verantwortung bewusst, die damit verbunden ist, die grüne Transformation von Deutschlands größtem Stahlproduzenten mit unserer Technologie zu unterstützen.

Bis zu 700 Millionen Euro sollen für das Vorhaben in Duisburg aus der Kasse des Landes NRW fließen, wie Ministerpräsident Hendrik Wüst sagt. Noch mehr finanzielle Mittel sollen vom Bund kommen. Was geschieht mit diesem Geld?

Dahmen: Es geht darum zu zeigen, dass eine klimaneutrale Stahlproduktion in Deutschland technologisch und auch wirtschaftlich möglich ist. Dafür bauen wir eine Direktreduktionsanlage, die ohne Kohle betrieben wird. Statt Kohle kommt zunächst Erdgas und später Wasserstoff zum Einsatz. Der Effekt für den Klimaschutz ist enorm.

Die Stahlindustrie gehört seit Jahren zu den großen Verursachern von klimaschädlichem Kohlendioxid. Allein Thyssenkrupp Steel stößt eigenen Angaben zufolge rund 20 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr aus – etwa 2,5 Prozent der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland.

Dahmen: Mit der neuen Anlage können bereits 3,5 Millionen Tonnen CO2 jährlich vermieden werden.

Burkhard Dahmen, Chef des Anlagenbauers SMS Group mit rund 13.500 Beschäftigten, im Gespräch mit unserer Redaktion. Der Konzern bereitet gerade einen Umzug von Düsseldorf nach Mönchengladbach vor, vor sich bereits ein SMS-Standort befindet.
Burkhard Dahmen, Chef des Anlagenbauers SMS Group mit rund 13.500 Beschäftigten, im Gespräch mit unserer Redaktion. Der Konzern bereitet gerade einen Umzug von Düsseldorf nach Mönchengladbach vor, vor sich bereits ein SMS-Standort befindet. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Gemessen an Anstrengungen, die andernorts für eine solche Einsparung erforderlich wären, ist das sehr viel auf einen Schlag.

Aber erst, wenn die Anlage nicht mehr mit Erdgas, sondern mit klimaneutral erzeugtem Wasserstoff betrieben wird – oder?

Dahmen: Dann sind die CO2-Einsparungen am größten, das ist richtig. Aber schon durch den Einsatz von Erdgas statt Kohle gibt es eine massive Verbesserung der Klimabilanz.

Wann soll Wasserstoff statt Erdgas verwendet werden?

Dahmen: Der Anteil an Wasserstoff soll ab 2027 sukzessive erhöht werden bis auf 100 Prozent im Jahr 2028. Dafür müssen zunächst die Pipeline-Kapazitäten geschaffen werden.

Das Kürzel DRI, das in der Stahlindustrie mittlerweile gängig ist, steht für „direkt reduziertes Eisen“ („direct reduced iron“). Daher heißen die neuen Aggregate, die anstelle von Hochöfen laufen sollen, DRI-Anlagen. Das Material, das dort entsteht, ist fest und wird auch Eisenschwamm genannt. Sind die Zeiten, in denen flüssiges Roheisen aus Hochöfen fließt, bald Geschichte?

Dahmen: Fern der Heimat haben wir noch Aufträge für neue Hochöfen, in Asien zum Beispiel. Aber ich gehe fest davon aus, dass in Deutschland kein Hochofen mehr gebaut wird. Auch die bestehenden Anlagen kommen an ihr Ende. Es gibt das Ziel, dass unser Land bis 2045 klimaneutral ist. Das funktioniert nicht, solange Kohle für die Stahlerzeugung eingesetzt wird. Wenn wir also in Zukunft auch in Deutschland Stahl produzieren wollen, und das ist im Interesse der deutschen Schlüsselindustrien, dann benötigen wir Alternativen. In Duisburg zeigen wir, dass es geht. Wir reden hier von einem der weltweit größten industriellen Dekarbonisierungsprojekte.

Das Auftragsvolumen für SMS beträgt über 1,8 Milliarden Euro – der größte Einzelauftrag in der Firmengeschichte. Die Anlage soll Ende 2026 fertiggestellt sein. Oft verzögern sich Großprojekte – und sie werden teurer. Sind Sie sicher, dass es in Duisburg glatt läuft?

Dahmen: Wir tun jedenfalls alles dafür, dass es so sein wird. Ich bin sehr zuversichtlich.

Ihr Unternehmen – und nicht Thyssenkrupp Steel – übernimmt die Rolle des Generalunternehmers, muss also auch dafür geradestehen, sollten die Kosten für das Großprojekt steigen. Ist das Risiko – auch angesichts der Inflation – für Ihr Unternehmen kontrollierbar?

Dahmen: Ja, wir haben uns das sehr sorgfältig angeschaut. Wir liefern die Anlage schlüsselfertig zum Festkostenpreis. Eine Preisanpassungsklausel gibt es nicht.

Mit 135 Metern soll die neue Direktreduktionsanlage noch größer werden als die bestehenden Hochöfen in Duisburg. Hinzukommen sollen zwei Einschmelzer, um den festen Eisenschwamm für die Weiterverarbeitung zu verflüssigen. Das lässt erahnen, wie groß die Baustelle sein wird.

Dahmen: Es ist eine riesige Baustelle. Wir rechnen damit, dass zwischenzeitlich bis zu 3000 Menschen auf der Baustelle in Duisburg arbeiten. Wir haben für unsere Ingenieursarbeit 750.000 Arbeitsstunden eingeplant. Weitere zwei Millionen Stunden werden voraussichtlich bei unseren Partner-Unternehmen erforderlich sein, um die Anlage zu bauen.

Das weltweit erste grüne Stahlwerk wollen Sie allerdings nicht in Deutschland, sondern im Norden Schwedens errichten. „H2 Green Steel“ heißt das Vorhaben. Der Unterschied: In Duisburg bauen Sie im Bestand, in Schweden wird alles neu aus dem Boden gestampft.

Dahmen: Ja, auch hier geht es um ein Milliardenprojekt. Es ist großartig, dass wir beteiligt sind und die ganze Prozesskette von der DRI-Anlage über das Stahlwerk, die Gieß- und Walzanlage bis zur Bandbeschichtungsanlage liefern. Der Zeitplan ist auch hier ehrgeizig. Die Stahlproduktion soll schon im Jahr 2025 beginnen, gefolgt von einer Hochlaufphase im Jahr 2026.

Zum Vergleich: In Duisburg plant Thyssenkrupp Steel die Fertigstellung der Anlage mit einer jährlichen Kapazität von 2,5 Millionen Tonnen direkt reduziertem Eisen für Ende 2026. In Schweden ist mit Blick auf die Anfangsproduktion von ebenfalls rund 2,5 Millionen Tonnen grünem Stahl pro Jahr die Rede. Das zeigt: Der Wettbewerb der Nationen läuft. Kann Duisburg da mithalten?

Dahmen: Wir stellen fest, dass in der ganzen Welt genau beobachtet wird, was wir in Duisburg machen. Thyssenkrupp ist ein Name mit Strahlkraft und das Projekt hat eine große Signalwirkung für die Transformation anderer integrierter Hüttenwerke weltweit. Wir können unter Beweis stellen, dass wir technologisch vorn sind und die nötige Expertise haben, solche Großprojekte erfolgreich umzusetzen. Enorm wichtig ist auch: Wir brauchen in Deutschland eine nennenswerte Stahlerzeugung. Das dient nicht zuletzt der Absicherung der deutschen Industrie in geopolitisch unsicheren Zeiten.

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