Schermbeck. .
„Wer die Steine lesen will, muss sich automatisch vor den Opfern verbeugen“, sagte Gunter Demnig und verlegte gestern sechs Stolpersteine in der Georgstraße. Sie erinnern an die letzten Juden, die in Schermbeck lebten und von den Nazis ermordet wurden.
Ein Jahr lang erforschte eine Arbeitsgemeinschaft aus der jetzigen Abiturientia der Gesamtschule ihre Geschichte und sprach Demnig an. Geschichtslehrer Uli Hülsmann: „Seine Arbeit hat uns fasziniert.“ Verantwortung dürfe nicht abgegeben werden, etliche Geheimnisse der jüdischen Geschichte im Ort gelte es noch zu entdecken.
Die beiden Schülerinnen Vera Heibert und Katrin Berendsen erläuterten ihr Projekt: Einen „Anstoß zum Nachdenken“ geben, „das vorhandene Wissen bewahren“ und an Menschen erinnern, die voll ins Gemeindeleben integriert waren - das seien die Ziele.
Wolfgang Bornebusch, für Hülsmann „Nestor der jüdischen Geschichtsschreibung“ im Ort, gab einen prägnanten Überblick. Die Ursprünge jüdischen Lebens in Schermbeck seien unklar, ein erstes schriftliches Zeugnis stamme von 1635. Unter preußischer Herrschaft litten die Juden auch in Schermbeck unter gesetzlicher Diskriminierung, hatten für ihren Schutz zu zahlen.
Seit dem 18. Jahrhundert bildete sich eine eigene Gemeinde. 1855 waren 97 von 897 Schermbeckern jüdischen Glaubens, war der Ort „die größte jüdische Landgemeinde“ der Region. Sogar eine eigene jüdische Schule mit angeschlossenem Internat existierte.
Doch 1938 lebten in Schermbeck noch genau elf Juden. Darunter die Familie von Hugo Schönbach, seine Frau Else, Tochter Mirjam und Schönbachs Schwester Amalie sowie Rika Hoffmann und Sybilla van Geldern.
Viehhändler Schönbach wurde noch 1933 zum Giseler (Vorsteher) in seiner Nachbarschaft gewählt, 1941 nach Riga deportiert. Dort starb auch seine Tochter, gerade ein Jahr alt. Schönbachs Schicksal sei unklar, so Bornebusch. Ein Soldat aus Schermbeck soll ihn nach seiner Verschleppung noch gesehen haben.
Van Geldern, Jahrgang 1906, starb im September 1942 im KZ Auschwitz. Rika Hoffmann, 1859 geboren, war in den 1920er Jahren Handarbeitslehrerin. Fast alle Schermbecker Mädchen lernten bei ihr Stricken. So gut es im hohen Alter ging, kümmerte sie sich um die Synagoge. Als sie im Januar 1943 das Dorf verlassen musste, endeten fast 200 Jahre jüdische Gemeindegeschichte in Schermbeck.
Bürgermeister Ernst-Christoph Grüter lobte die Stolpersteine als „konsequente Fortsetzung“ der bisherigen Arbeit, an die Opfer der NS-Verbrecher zu erinnern. Seine Familie ist mit der jüdischen Geschichte verwoben: Ein Vorfahre half beim Bau der ersten Synagoge im Ort. Eine Tante, die rechtzeitig in die USA fliehen konnte, nahm eine Einladung nach Schermbeck nie an.
Demnig, der inzwischen über 25 000 Stolpersteine verlegte, bekannte, dass die sechs Millionen ermordeten Juden trotz seiner täglichen Arbeit an dem Thema eine abstrakte, unvorstellbare Zahl blieben. Aber die Schicksale auseinandergerissener Familien machten sie erfahrbar. „Mit dem Kopf und dem Herzen“ sollen die Betrachter über die Steine stolpern. Sein Wunsch: „Durch das Darüberlaufen wird die Erinnerung blankpoliert“.
Pfarrer Klaus Honermann hatte das Schlusswort: „Wehe denen, die das Gedenken begraben.“