Schermbeck. Im großen NRZ-Gespräch nimmt der Verwaltungschef zu aktuellen Themen Stellung. Wie er die Steuererhöhung einordnet und was ihm große Sorge macht.

Der Schermbecker Bürgermeister Mike Rexforth hat zurzeit viele unterschiedliche Baustellen: Im NRZ-Gespräch nimmt er zu den verschiedensten Themen Stellung. Zu der Urlaubs-Debatte wollte er sich nicht mehr äußern.

Herr Rexforth, im vergangenen Jahr haben vor allem die beiden Verkehrsversuche für viel Aufsehen gesorgt. Bleibt die Mittelstraße ein ewiger Streitfall?

Mein Ziel ist: Auf gar keinen Fall. Wir müssen ja mal den Knoten durchhauen. Generationen beschäftigen sich mit dieser Frage. Da muss jetzt eine Lösung her. Die Investitionen in das Kanalnetz und das Wassernetz müssen erfolgen, die Straße muss daher sowieso aufgemacht werden. In diesem Zuge sollten wir uns mit den Problemen beschäftigen, die sich in den letzten Jahrzehnten gezeigt haben: Die Frage nach der Eignung der Pflasterung muss genauso gestellt werden wie die Frage, welche Chance die Mittelstraße mit ihrer Geschäftswelt in Zukunft haben wird. Alles vor dem Hintergrund, dass wir uns ja touristisch weiterentwickeln wollen – Stichwort: Qualifizierung als Erholungsort. Sollte dies gelingen, wird dieses Qualitätssiegel gleichzeitig einen Mehrwert für die eigene Bevölkerung und Unternehmer haben. Daher ist der Dialog mit der Kaufmannschaft, der Werbegemeinschaft, dem Marketingverein und der Gastronomie extrem wichtig, denn es werden sich meiner Meinung nach große Chancen für Schermbeck ergeben.

War die deutliche Erhöhung der Grundsteuer B unumgänglich oder hätte man vielleicht besser schon eher in kleineren Schritten Erhöhungen vornehmen sollen?

Das war eine strategische Entscheidung. Man hätte wie die eine oder andere Nachbarkommune schon eher entscheiden können, den Hebesatz nach oben anzupassen, um sich ein Polster für Rücklagen schaffen zu können – auch für die Liquidität. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, weil wir nicht unnötigerweise Millionen aufs Konto legen und nicht die Portemonnaies der Bürger angreifen wollten, wenn wir aus einer Situation kommen, in der unsere Liquidität positiv ist. Unsere Sichtweise war: Wir erhöhen die Steuern dann, wenn wir in einen Kassenkredit reinlaufen und einen verpflichtenden Haushaltsausgleich erreichen müssen. Wenn man gewusst hätte, dass der Ukraine-Krieg kommt und den Energie-Markt komplett durcheinander wirbelt, dass wir die Herausforderungen für die Unterbringung der Flüchtlinge noch on Top bekommen und das Land auch seine Finanzkraft nicht in dem Maße auskehrt, wie man das vor vielen Jahren gemacht hat, dann hätte man vielleicht dagegengewirkt, um sich dieses Polster anzuschaffen. Aber das konnte keiner vorhersehen.

Mike Rexforth (rechts) versuchte zu Beginn des ersten Verkehrsversuchs die aufgebrachten Bürger, die die Marellenkämpe blockierten, zu beruhigen.
Mike Rexforth (rechts) versuchte zu Beginn des ersten Verkehrsversuchs die aufgebrachten Bürger, die die Marellenkämpe blockierten, zu beruhigen. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser

(…) Die Erhöhung hört sich erstmal unheimlich viel an, wenn es 50 Prozent Aufschlag sind – aber wir kommen von einem relativ geringen Niveau. Man muss das relativieren, wenn man sieht, dass Schermbeck die zweithöchste Kaufkraft im Kreis Wesel hat. Man muss den Schermbeckerinnen und Schermbeckern auch nochmal verdeutlichen, welche Leistungen sie für ihr Geld erhalten. Man muss auch einmal die Frage stellen dürfen: Worüber reden wir? Was sind denn 50 Euro Grundsteuer B im Monat (Steuer für eine Doppelhaushälfte Baujahr 1996)? Vorher waren es in diesem Beispiel 34 Euro im Monat – verhungern die Menschen tatsächlich, fahren sie einmal weniger im Jahr in den Urlaub, verursacht durch diese Erhöhung? Lassen Sie uns die Kirche mal im Dorf lassen!

Nachfrage: Würden Sie sich auch wünschen, dass die Kreisumlage stärker sinkt? Einige Bürgermeister haben da kürzlich ja noch mehr Entlastung gefordert…

Ich glaube die ganze kommunale Familie muss zusammenhalten. Das hört sich jetzt schlimm an, aber: Wir sind im Krieg! Zwar nicht direkte Kriegspartei, aber die Auswirkungen sind für uns jeden Tag spürbar. Und Kriegszeiten erfordern besondere Solidarität auf allen Ebenen – vor allem im Hinblick auf Menschlichkeit, aber auch was die Finanzierung des gesamten Systems angeht. Natürlich müssen wir Standards und Nice-to-have-Projekte hinterfragen. Ich erwarte auch von den umlagefinanzierten Haushalten des Kreises und des Landschaftsverbandes – ebenso vom Land – eine deutliche Aufgaben- und Ausgabenkritik.

Thema Zukunft der Grundschule: Bleibt es dabei, dass sich die Gemeinde Schermbeck den teuren Neubau leisten kann?

Meine Wunschvorstellung wäre das Bildungszentrum gewesen, das wir zu einem großen Teil gefördert bekommen hätten – doch das wurde politisch mehrheitlich abgelehnt: Chance vertan! Kein Mehrwert über einen tollen Schulstandort hinaus für die gesamte Gemeinde, für Jung und Alt, für weniger eigenes Geld. Jetzt konzentrieren wir uns auf die Zusammenlegung von zwei Grundschulen, einen Schulneubau. Wir haben zwei marode Grundschulen mit einem unglaublichen Renovierungsstau. Und wir stehen vor der Herausforderung, den Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz befriedigen zu müssen. Wir müssen die moderne Schullandschaft so gestalten, dass das nicht nur ein guter Lernort ist, sondern die Menschen dort auch ein ordentliches soziales Miteinander leben können und ordentlich verpflegt werden. An den bisherigen Standorten müssten wir Investitionen in Millionenhöhe tätigen. Wir in der Gemeinde Schermbeck wollen familienfreundliche Kommune bleiben – mit einem über das normale Maß hinausgehenden Bildungsangebot. Wenn wir für junge Familien attraktiv bleiben wollen, müssen wir in diesem Bereich investieren. Wenn man dann mal diese 30 Millionen Euro auf 50 Jahre rechnet – dann sind das 600.000 Euro pro Jahr an Abschreibungen, plus Zinsen. Aber in was investieren wir denn? In die Bildung, in die Zukunft unserer Gemeinde, in unsere Kinder und Enkelkinder!

Schermbeck ist mittlerweile seit ein paar Jahren Wolfsgebiet. Anfangs war Gloria willkommen, sollte sogar aufs Schermbeck-Plakat – ist die Wölfin und ihr Rudel inzwischen für Schermbeck eher ein Fluch oder ein Segen?

Aktuell würde ich sagen: Eher ein Fluch. Aus dem Grund, weil ich entsetzt darüber bin, wie sich über dieses Thema solche Extrema gebildet haben. Sowohl in Richtung „pro Wolf“ als auch „contra Wolf“ – dazwischen gibt es keine Wahrheit. Und einige sind so millitant, dass man davor Angst kriegen muss: Dass solche Tiere zu einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung bis hin zu Todesdrohungen gegen handelnde Personen führen, finde ich das Allerschlimmste, was uns passieren konnte. Leider reagieren einige Menschen extrem, ohne Rücksicht auf Verluste.

Daran anknüpfend: In jüngster Zeit hat es Anfeindungen gegen Sie seitens der Opposition, aber auch Beleidigungen, Bedrohungen und sogar die Beschädigung ihres Familienautos gegeben. Macht es da überhaupt noch Spaß Bürgermeister zu sein?

Diese Frage darf man sich tatsächlich stellen. Wir Politiker stellen uns in den Dienst der Gesellschaft, haben nahezu kein eigenes Familienleben mehr, vor Ort sind wir immer die Dummen, die für Entscheidungen Dritter verantwortlich gemacht werden. Wenn dann ihre Familie „angegriffen“ und angefeindet wird, ihr PKW nahezu völlig zerstört wird, dann sehen wir Grenzen überschritten, die niemals hätten überschritten werden dürfen. Es kann nicht sein, dass einzelne Menschen in solche Extrema verfallen und nichts passiert, wenn man derer habhaft werden kann. Da bin ich bei der ganzen Diskussion in den sozialen Netzwerken: Wenn das nicht aufhört und nicht mit aller Härte des Gesetzes bestraft wird, wenn das die „neue“ Normalität in unserer Gesellschaft ist, miteinander umzugehen, dann kann ich keinem Menschen raten, diesen Beruf zu wählen, schon gar nicht mit kleinen Kindern. Ich habe es schonmal gesagt: Wir Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind nicht vogelfrei!