Wesel. Wenn am Samstag die letzten 14 Steine eingesetzt sind, erinnern in Wesel 158 Stolpersteine an während der NS-Zeit Verfolgte

Nach 14 Jahren endet am Samstag in Wesel die Verlegung von insgesamt 158 Stolpersteinen. Mit im Boden verlegten kleinen goldfarbenen Gedenktafeln wird so an das Schicksal der Menschen erinnert, die während der Zeit des Nationalsozialismus in der Hansestadt gewohnt haben und verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Selbstmord getrieben wurden.

„Zu den ersten Stolpersteinen, die wir im Jahr 2009 verlegt haben, gehörten die vier für die Familie Kohlmann“, erinnert sich Doris Rulofs-Terfurth, Bibliothekarin des Weseler Stadtarchivs, und ergänzt, dass der spätere Weseler Ehrenbürger Ernest Kolman die Verlegung der Stolpersteine „vollkommen befürwortet“ habe. „Er hat nicht nur bei jedem seiner Wesel-Aufenthalte seinen Stolperstein besucht, er hat im Jahr 2016 auch an der Verlegung teilgenommen.“

2016 kamen zur Stolpersteinverlegung unter anderem Wolfgang Jung (Vorsitzender Jüdisch-Christlicher Freundeskreis), Doris Rudolf-Terfurth, Ernest Kolman und Bürgermeisterin Ulrike Westkamp (von links).
2016 kamen zur Stolpersteinverlegung unter anderem Wolfgang Jung (Vorsitzender Jüdisch-Christlicher Freundeskreis), Doris Rudolf-Terfurth, Ernest Kolman und Bürgermeisterin Ulrike Westkamp (von links). © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser

Eingesetzt werden die Steine jeweils vom Kölner Künstler Gunter Demnig. Der 76-Jährige wird nun die vorläufig letzten 14 Stolpersteine in Wesel verlegen. Am Samstag werden Steine an fünf Orten in Wesels Innenstadt in den Gehweg eingelassen. Los geht‘s um 9 Uhr in der Domstraße, wo dann ein Stolperstein an Carolina Meyer erinnern wird. Danach wird in der Kurzen Straße der Köchin Jetta Marchand gedacht. Im Anschluss werden auf der Pastor-Bölitz-Straße für das Ehepaar Kanthal, die Familie Lilienfeld und den Synagogendiener Jakob Scherer Stolpersteine verlegt. Der letzte Verlegeort ist die Torfstraße 2 – dort wohnte die Witwe Johanna Sanders mit ihren fünf Kindern.

Wesels Bürgermeisterin: „Diese Verbrechen dürfen sich nie wiederholen!“

„Für jede Verlegestelle benötigen wir ungefähr 20 Minuten. Die Verlegung wird von Weseler Jugendlichen mitgestaltet“, berichtet Bürgermeisterin Ulrike Westkamp. Sie ergänzt: „Seit dem brutalen, feigen Angriff der Hamas auf jüdisches Leben am 7 . Oktober breitet sich leider auch in Deutschland der Antisemitismus weiter aus.“ Auch deshalb sei das Projekt Stolpersteine so wichtig. Es erinnere an die Opfer des Nationalsozialismus und mahne zugleich, dass sich diese Verbrechen nie wiederholen dürfen.“

Vorläufig ist damit dann die Stolperstein-Verlegung in Wesel beendet, weil nun alle bis heute nachweisbar in Frage kommenden Personen jüdischen Glaubens mit einem Stolperstein bedacht sind, erläutert Doris Rulofs-Terfurth: „Das Problem ist, dass wir keine Meldelisten mehr haben – die aus der fraglichen Zeit zwischen März 1933 und 1942 wurden alle im Krieg zerstört.“ Sechs Stolpersteine liegen übrigens in Büderich, und nicht alle erinnern an jüdische Mitbürger. So wurde auch für Heinz Bello ein Gedenkstein in den Boden gesetzt: Der Katholik wurde von den Nazis als „Wehrkraftzersetzer“ beschuldigt und am 29. Juni 1944 ermordet. Und der Matrose Gerhard Lenzen war nach einem Unfall behindert, er wurde 1940 zu einem Euthanasie-Opfer, berichtet Rulofs-Terfurth, die nach jahrelangen Recherchen immer wieder neue Weseler NS-Opfer belegen konnte.

Nachweise für weitere NS-Opfer dank neuer Forschungsmöglichkeiten

Wie das Beispiel des Ehepaares Kanthal zeigt, eröffnen neue Forschungsmöglichkeiten auch neue Perspektiven und liefern Nachweise für weitere Opfer des Nationalsozialismus: Als 2010 für die Familie Dannenberg die Stolpersteine verlegt wurden, hatte das Archiv schon versucht, sowohl im Geburtsort von Else als auch in Krefeld Informationen zu Jakob Kanthal zu erhalten. Außer einem Eintrag im Weseler Adressbuch von 1936 gab es zunächst keinerlei Informationen und über das Verwandtschaftsverhältnis zu Else konnte nur spekuliert werden. Dank der fortschreitenden Digitalisierung in Kommunen konnte nun der Lebensweg geklärt werden. Karolina und Jakob Kanthal zogen zwischen 1931 und Oktober 1935 nach Wesel zum Willibrordiplatz 5 (heute Pastor-Bölitz-Straße 27). Hier befand sich bis 1935 die jüdische Schule.

Gunter Demnig verlegt im Jahre 2019 Stolpersteine am Viehtor 7, während Bürgermeisterin Ulrike Westkamp (rechts) eine Ansprache hält.
Gunter Demnig verlegt im Jahre 2019 Stolpersteine am Viehtor 7, während Bürgermeisterin Ulrike Westkamp (rechts) eine Ansprache hält. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser

Künstler Gunter Demnig verlegt seit 1996 in vielen deutschen und europäischen Städten die 10x10x10 Zentimeter großen aus Beton gegossenen Steine mit eingelassener Messingtafel. Die Steine werden jeweils im Gehweg vor dem ehemaligen Wohnort eingelassen. Jeder Stein beginnt mit den Worten „Hier wohnte” – danach folgen Name, Geburtsdatum, manchmal zudem das Fluchtdatum, Fluchtort sowie Sterbedatum und -ort.

Was Doris Rulofs-Terfurth zudem besonders wichtig ist: „Erfreulich ist, dass wir einen ganz regelmäßigen Stolperstein-Spender haben, der anonym bleiben möchte. Außerdem übernahmen Schulen, Parteien und auch Vereine Patenschaften für Stolpersteine.“