Schermbeck. Die Oberstufenschüler lauschten andächtig dem Zeitzeugen, der extra aus New York angereist war und über das Schicksal seiner Familie erzählte.
Bewegende Schilderungen erlebten die Oberstufenschüler der Schermbecker Gesamtschule, als ihnen am Donnerstag der Holocaust-Überlebende Sami Steigmann vom Schicksal seiner jüdischen Familie berichtete. Der heute 83-Jährige aus Amerika hat sich im Jahr 2008 entschieden, aus seinem Leben und dem seiner Eltern zu informieren, damit sich solch eine Tragödie nie mehr wiederholt: „Ich möchte bis an mein Lebensende so viele junge Leute erreichen wie möglich!“
Der Senior aus New York war als Kind im Alter von anderthalb Jahren mit seinen Eltern in ein Arbeitslager der heutigen Ukraine deportiert worden. Unter anderem wurden an ihm sowie seiner Mutter und seinem Vater medizinische Experimente gegen deren Willen durchgeführt, noch heute leidet Steigmann unter ständigen Schmerzen.
Zwar erinnert er sich selber nicht mehr an die Zeit im Lager, aber über seine Eltern hat er in den Jahren danach mehr und mehr über das Schicksal seiner Familie erfahren. „Ich habe vor allem sehr großes Glück gehabt, dass wir drei überlebt haben“, weiß der 83-Jährige heute und ergänzt dazu: „Von 42 Personen aus der Familie meines Vaters haben nur zwei überlebt.“
Gerade heute jede Behauptung hinterfragen
Wie konnte es überhaupt zu der systematischen Jugendverfolgung kommen, ohne dass die Bevölkerung sich dagegen aufgelehnt hat? Dazu zieht Steigmann eine interessanten Vergleich von der NS-Propaganda zu manchen bedenklichen aktuellen Entwicklungen: „Joseph Goebbels hat damals seine Lügen so oft wiederholt, bis die Leute es irgendwann geglaubt haben – heute werden machen Dinge in den Sozialen Medien tauschendfach verbreitet und viele glauben es, ohne es zu hinterfragen.“
Das Wichtigste, was man dagegen tun könne, sei Bildung, betonte der Zeitzeuge immer wieder und appellierte an die Schülerinnen und Schüler in Schermbeck: „Bildet Euch! Lasst Euch aufklären, mischt Euch ein und hinterfragt, warum was wie passiert ist.“
Seiner Theorie nach würden alle Tragödien der Welt nach dem gleichen Schema ablaufen: „Aus Wörtern entwickeln sich Aktionen, aus denen dann Kriminalität und Gewalt entsteht.“ Es gebe nur eine Lösung für ein friedliches Miteinander: „Gegen Hass hilft nur gegenseitiges Verständnis. Seid also respektvoll zueinander, akzeptiert auch andere Meinungen und anderen Glauben!“
Vergebung und Versöhnung
Die Schermbecker Schüler durften dem Holocaust-Überlebende auch viele Fragen stellen, die dieser bereitwillig und ausführlich beantwortete. Unter anderem wurde er auf sein heutiges Verhältnis zu Deutschland angesprochen. Darauf entgegnete der Amerikaner: „Mein Vater wollte nichts mit Deutschland zu tun haben, hat kein deutsches Produkt mehr gekauft“, so der 83-Jährige, der sich selber allerdings für Vergebung und Versöhnung einsetzt. In der Gesamtschule sagte er zu seinen Zuhörern: „Es ist wichtig, dass ihr wisst, was damals Schlimmes passiert ist. Ihr musst aber alles dafür tun, um nicht in die Fußstapfen Eurer Großeltern zu treten.“ Auch damals sei nicht jeder Deutsche kriminell gewesen, viel zu viele hätten sich allerdings nicht eingemischt.
Verantwortung für eine bessere Welt
Für ihn sei das „Treffen mit den Enkeln der Täter“ wichtig, um mit Kopf und Herz Frieden mit der eigenen Vergangenheit zu finden. Sami Steigmann bedauert, dass er keinen Kontakt mehr zu seinem Sohn und seinen Enkelkindern hat, sagte aber zu den Teenagern aus Schermbeck: „Ihr seid meine Enkel! Wenn Ihr den Holocaust in der Schule behandelt und die richtigen Lehren daraus zieht, macht Ihr die Welt ein Stück besser und friedlicher.“ Dann ergänzte der 83-Jährige in Richtung der Schüler: „Jeder von Euch hat seine Rolle – nutzt diese Verantwortung und ergreift die Chance für eine bessere Welt.“
Kai Heister, Geschichtslehrer der Gesamtschule, danke dem Zeitzeugen aus den USA und appellierte an seine Schüler in ihrem Handeln die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Moderatorin Lilian Fee Magdanz dankte dem 83-Jährigen ebenfalls für sein Engagement, denn „Es ist offenkundig, dass es bald keine Holocaust-Überlebenden mehr geben wird.“