Schermbeck. Der Hünxer Forstwirt und Ranger Stefan Kalisch erklärte während der spannenden Exkursion Besonderheiten und Kuriositäten des heimische Rotwilds.
Humorvoll aber zugleich fachkundig führte Forstwirt und Ranger Stefan Kalisch aus Hünxe durch einen spannenden Abend auf den Spuren der Hirsche in der Üfter Mark. Unter dem Motto „Hirschbrunft hautnah erleben“ hatte der Regionalverband Ruhr Grün zu einem Naturschauspiel der ganz besonderen Art eingeladen: Die spannende Exkursion zum Rotwild in dem riesigen Waldgebiet an der Grenze zwischen Schermbeck und Dorsten war mit 25 Teilnehmern schnell „ausverkauft“. Das Interesse an der heimischen Natur ist also bei vielen Leuten offenbar sehr groß. Und es wurde nicht enttäuscht.
„Der RVR als Waldbesitzer ist ein kommunales Haus, daher ist es eigentlich Ihr Wald“, sagte der Forstwirt gleich zur Begrüßung und ergänzte. „Wir bewirtschaften unseren Wald für Sie. Deshalb hoffe ich auch, dass unser Rotwild es uns dankt und sich heute Abend zeigt.“ Dazu aber später mehr…
Zäune zum Schutz für die Autofahrer
In dem Revier Üfter Mark, einem 1600 Hektar großen Waldgebiet, halten sich die Hirsche auf. Doch das Rotwild kann auch wandern: „Sie haben sicher schon die hohen Zäune gesehen. Es ist aber nicht so, dass wir unsere Tiere hier einsperren. Wir schützen damit die Autofahrer und haben ein paar hundert Meter weitere auch eine Wildwarnanlage.“
Der RVR habe die Auflage, dieses Gebiet ökologisch zu bewirtschaften und eine verträgliche Nutzung auch für die Bevölkerung zu gewährleisten, erläutert der 47-jährige Ranger. „Die Üfter Mark ist zu 99 Prozent Naturschutzgebiet, jedoch nicht wegen des Rotwildes, sondern wegen anderer seltener Tiere. Wir haben als seltene Vögel den Ziegenmelker, Nachtschwalbe und Schwarzkehlchen, wir haben seltene Reptilien, Pilze und Fledermäuse und auch seltene Pflanzen.“
Aber trotzdem sind aktuell verschiedene Wege gesperrt, um eine ruhige Brunft des Rotwilds zu gewährleisten.
Mit der Besuchern der Exkursion ging der Forstwirt erstmal einige hundert Meter auf einem Weg waldeinwärts.
Viele der Teilnehmer hatten sich Ferngläser mitgebracht und machten sich auf die Suche nach dem Wild. Zu sehen war von Hirschen aber zunächst nichts, dafür aber einiges über sie zu erfahren: „Das Rotwild ist unsere größte Schalenwildart“, erläutert Kalisch und zeigt „Lauf“ – also den Fuß – eines erlegten Hirsches, den jeder einmal anfassen und auch daran riechen durfte.
Rehe und Hirsche sind nicht verwandt
Und dann räumte er auch gleich mit dem wohl größten Missverständnisse auf, das sich hartnäckig in der Bevölkerung hält: „Rotwild hat mit Rehen so gar nichts am Hut! Bitte stellen Sie sich nicht nachher in die Hütte und sagen: Ach die schönen Rehe!“ Denn: „Rehwild und Rotwild sind zwei komplett verschiedene Tierarten, die haben soviel gemeinsam wie Elefant und Giraffe. Also: Das Reh ist nicht die Frau des Hirsches“, so Kalisch. „Das Männchen heißt Hirsch, die Weibchen nennen wir Kuh oder Kahlwild, weil sie auf dem Kopf keine Knochen haben.“
Ein Hirsch wiegt bis zu 200 Kilogramm, ist ungefähr 1,50 Meter groß – die Weibchen etwas leichter und etwas kleiner. Rotwild hat relativ lange Beine, kann sehr gut sehen und sehr gut riechen und sehr gut hören. Mit neun Jahren sind sie richtig vital, mit 13 bis 18 Jahren ist der Zenit erreicht.
Gene sollen ausgetauscht werden
„Wir haben hier viele Wildwiesen, auf denen unser Rotwild in Ruhe äsen darf“, schildert der Forstwirt. Gerade jetzt während der Brunft sind die Hirsche besonders sensibel. „Unsere Philosophie ist, dass die Hirsche irgendwann mal nach Holland oder auch nach Haltern gehen. Das Ziel ist, dass sie ihre Gene austauschen. Das wäre sonst so, als wenn man nur die eigene Cousine heiraten darf – daran ist schon so manches Adelshaus zugrunde gegangen.“
Wildbrücke für 5 Millionen Euro
„Wie bleibt denn das Wild mobil?“, will eine Besucherin wissen. „Dafür haben wir mal eben für fünf Millionen Euro eine Wildbrücke über die A31 gebaut. Die steht an der Stelle, wo die immer rüber wollten.“ Jemand anderes fragt: „Wie groß sind die Gruppen, in denen Hirsche leben?“ Stefan Kalisch klärt auf: „20 Stück ist schon ein großes Rudel – abgesehen von der Brunft: Wenn viele Frauen sich in einen Hirsch verlieben, gesellen sich noch ein paar dazu.“
Das Rotwild lebe außer in der Brunft getrennt vom anderen Geschlecht. Der Hirsch sei ja in der Brunft sowieso („Das wird ja auch den Männern vorgeworfen“, so Kalisch) ziemlich hormongesteuert. Die Hirschkühe werden immer von einem erfahrenen, selbstbewussten Weibchen, dem Alttier, angeführt. „Der Gruppe gibt es Sicherheit, wenn jemand dominantes da vorne steht – das ist bei uns Menschen ja auch nicht anders“, sagt der Ranger weiter. Jetzt ist die Paarungszeit: „In 230 Tagen ungefähr werden die Kälbchen geboren – das ist ungefähr Ende Mai/Anfang Juni.“
Kurz vor der Niederkunft sondert sich die Hirschkuh vom Rudel an, sagt ihrem Kälbchen vom letzten Jahr – was jetzt Schmaltier heißt: „Bleib mal in der Nähe!“ Dann setzt sie ihr Kälbchen, bleibt die ersten Tage in der Nähe. Kalisch: „Die Mutter entfernt sich immer mit dem Wind, damit sie ihr Junges riechen kann. Das Kalb ist nie alleine: Rotwild hat unter den Augen Drüsen, die bei Gefahr geöffnet werden. Wenn das Junge also Angst hat, macht es die Augen auf – dann kommt ein stinkendes Sekret raus und das Alttier eilt zur Hilfe. Sobald das Kalb mobiler ist, kommt es zum Rudel dazu.
„Kindergarten“ für den Nachwuchs
„Damit das Alttier auch mal Pause hat, schickt es ihr Kälbchen in den Kindergarten“, erläutert Kalisch, dass auch Hirschmütter anderen Weibchen für eine Zeit mal die Betreuung ihres Nachwuchses anvertrauen, um in Ruhe fressen zu können. Vor dem Kälbchen kommt aber die Paarungszeit: „In dieser Zeit nimmt ein Hirsch durchaus 50 Kilo ab – er kommt tagelang gar nicht zum fressen, er interessiert sich dann nur für die Weibchen. Der Hirsch hat keinen Hunger, der ist jetzt nur noch verliebt.“
Im Frühling wird die Nahrung energiereicher. Das nennen die Jäger „Feistzeit“, in der hole sich der Hirsch dann alles zurück, was er in der Brunft verloren hat. Im Februar verlieren die Hirsche ihr Geweih, dann wird es wieder aufgebaut – bis Anfang August sind die damit fertig. Kalisch zeigt dann mehrere Geweihe verschiedener Ausprägung – vom Spießer bis zum stattlichen 18-Ender. Die Exkursionsteilnehmer dürfen die Trophäen anfassen, währen der 47-Jährige die Namen der Geweih-Enden erklärt: „Die Enden am Auge heißen Augsprossen, die in der Mittel ist eine Mittelsprosse, oben ist eine Gabel oder sogar eine Krone. Und er zeigt an einem besonders mächtigen Geweih eine Eissprosse.
Nach so viel Theorie möchte die Besuchergruppe nun aber gerne lebendige Hirsche sehen. Bei Einbruch der Dunkelheit geht es in die Beobachtungshütte. Doch sind wirklich Hirsche zu sehen?
Ein Rudel aus 16 Tieren
Tatsächlich: Auf der Wildwiese äst ein Rudel, rund 350 Meter von der Wildkanzel entfernt. Durch durch ein Fernglas oder gutes Teleobjektiv lassen sich insgesamt 16 Stück Rotwild erkennen – in der Mitte ein stattlicher Hirsch, drumherum 14 Hirschkühe. Ab und zu legt der Hirsch den Kopf in den Nacken und röhrt, zwischendurch vertreibt er einen Konkurrenten durch einen kurzen Galopp in dessen Richtung. Dann widmet sich der 16-Ender wieder seinen Damen... Bis zum Einbruch der Dunkelheit verfolgen die Naturliebhaber noch das Schauspiel.
„Super interessant“, lobt Teilnehmerin Petra Nitschke-Kowsky die Exkursion. Was die 64-Jährige aus Dorsten am meisten überraschte: „Dass das Kalb Geruch aus den Augen spritzt. Und so ein Geweih anzufassen, war auch eine wirklich tolle Erfahrung.“