Hamminkeln. Eine knappe Mehrheit von 20:18-Stimmen entschied im Rat, das Wiegesystem beizubehalten. Damit scheiterte der Antrag der CDU für ein Volumensystem
Mit dem Begriff historisch sollte man in der Regel eher vorsichtig umgehen. Zumindest aber denkwürdig dürfte es gewesen sein, was sich da bei der Ratssitzung bis in den späten Donnerstagabend hinein in der Bürgerhalle Wertherbruch rund ums Thema Abfallentsorgung abspielte. Ein kommunalpolitisches Drama war es auf jeden Fall – in insgesamt sechs Akten. Das genau war die Zahl der Abstimmungen, die auf Antrag der CDU in geheimer Wahl mit dem Gang zur Urne abgeschlossen wurden. Die 37 Mitglieder des Stadtrates plus Bürgermeister Bernd Romanski gaben also jeweils einzeln sechs Mal ihre Stimme ab – was einer bundesweit wohl einmaligen politischen Völkerwanderung gleichkam. 228 Häkchen für ein einziges Ziel: Nämlich den Erhalt des Wiegesystems oder eben die Ausschreibung für ein Volumensystem.
Wahlurne und 300 Stimmzettel
Bis kurz nach 18 Uhr war es eigentlich recht flott durch die Tagesordnung gegangen, doch der Punkt 13 sollte dann doch großes Unheil bringen. Marcel Opladen (CDU) machte in einem Statement eingangs noch einmal die Position seiner Fraktion klar. „Es spricht nichts mehr dafür, am Wiegesystem festzuhalten.“ Die Bürgerbefragung der CDU habe ergeben, dass 75 Prozent eine Abschaffung des bisherigen Systems hin zum Volumensystem wünschten.
Die Umfrage sei zwar nicht repräsentativ, gebe aber ein Stimmungsbild wieder. Man erkenne eine Tendenz hin zum Mülltourismus, die Windelentsorgung im Holsystem sei speziell für ältere Menschen stigmatisierend. „Das Wiegesystem steht der Biotonne und der gelben Tonne im Weg.“ Die CDU hoffe bei der Abstimmung auf die bestmögliche Lösung. „Wir stellen den Antrag auf geheime Abstimmung.“
Das rief Johannes Flaswinkel (Grüne) auf den Plan. „Sie sprechen monatelang über eine Bürgerbeteiligung und möchten jetzt eine geheime Abstimmung, wo bleibt da die Transparenz.“
Geheime Abstimmung gewünscht
Letztlich sprachen sich aber genug Ratsmitglieder für die geheime Abstimmung aus. Was aber ein Problem darstellte: Wahlurne und rund 300 Stimmzettel mussten erst aus dem Rathaus geholt werden, auf diese Situation war niemand vorbereitet. Also: 40 Minuten Pause.
SPD-Fraktionschef Jörg Adams sagte nach Wiederaufnahme der Sitzung: „Ich frage mich ernsthaft, was wir hier machen.“
Das Wiegesystem habe sich seit 27 Jahren bewährt – und in dieser Zeit habe die CDU immer über die Mehrheit verfügt. „Aber wie sie jetzt über Facebook Lügen und Verleumdungen verbreitet, das macht die Stimmung kaputt.“
Jedes System hat Fehler
Die CDU führe eine Debatte, so Flaswinkel, „die auch mir in den Sachen hängenbleibt. Sie meinen, die Welt geht unter, aber wir haben damit 27 Jahre gelebt.“ Sicherlich habe jedes System auch seine Fehler, befand Dieter Stiller (USD), „aber wir haben ein gutes System, in dem gut sortiert wird. Ich vertraue dem Wiegesystem.“
Jeder Bürger könne sich genau ausrechnen, was er bezahlen muss. Auch die FDP sprach sich für das Wiegesystem aus. „Und die Attacken der CDU über Facebook möchte ich mir verbitten“, sagte Elke Neuenhoff. Derweil erklärte Alfred Nelz (CDU), es müsse „jedem erlaubt sein, nach 27 Jahren Dinge zu hinterfragen. Und warum haben so wenig Kommunen ein Wiegesystem?“. Zudem gäbe es doch keinen Zeitdruck.
Derweil ahnte Bürgermeister Romanski schon, dass jeder Wahlgang seine Zeit beanspruchen würde. „Am besten zu Hause Bescheid sagen, es wird spät.“ Zunächst kamen die drei Anträge der CDU zur Abstimmung, dann die drei der Verwaltung. Mit 18:20 Stimmen wurde der Antrag der CDU abgelehnt, für den Restabfall inklusive Windelentsorgung ein Volumensystem auszuschreiben. Ebenfalls mit 18:20 Stimmen abgelehnt wurde die Einführung einer Biotonne auf freiwilliger Basis.
Noch etwas knapper ging es beim CDU-Antrag, zur Einführung einer Gelben Tonne zusätzlich zum gelben Sack zu: 18:19 bei einer Enthaltung lautete die Abstimmung.
Demgegenüber gab es im Anschluss 20:18 Stimmen für die Beschlussvorschläge der Verwaltung, ein Wiegesystem mit Windelsammlung im Holsystem und eine Sammlung für Bioabfall im Bringsystem auszuschreiben. Mit 37:1-Stimmen sprach sich der Rat zudem für das Sammeln der Problemstoffe in bewährter Weise aus.
Hochemotionale Diskussion
„Eine lange und hochemotionale Diskussion ist damit vorerst beendet“, klang Bürgermeister Romanski um 21.20 Uhr fast ein wenig erleichtert.
„Die Misstrauenshaltung gegenüber der Verwaltung habe ich in dieser Zeit aber mehr als befremdlich empfunden. Sie war oftmals kontraproduktiv – und das ist inakzeptabel.“
>>>> KLARTEXT ZUM THEMA VON NRZ-REDAKTEUR CHRISTIAN SCHYMA:
Nein, wieder einmal war in Hamminkeln nicht der Weg das Ziel. Wer bei der Ratssitzung im Mai mit dem Auszug der CDU gedacht hatte, es geht nicht schlimmer, sah sich am Donnerstag eines Besseren belehrt. Zwei Stunden und 40 Minuten stimmte man über allein über die Abfallentsorgung ab, die Fahrt zum Rathaus für Wahlurne und Stimmzettel noch on top.
Am Ende dauerte die Sitzung fast fünf Stunden. In dieser Zeit ist man mit dem Auto vor den Toren Berlins. Das Wohl der Bürger scheint nicht Sache der Politik zu sein. Da schießt der eine lieber gegen den anderen, reibt sich in endlosen, längst schon geführten Diskussionen auf. Wenn persönliche Angriffe über sachlicher Diskussion stehen, kann Kommunalpolitik nicht funktionieren.
Am Ende bleibt der Bürger ratlos zurück. Bei einer gar nicht so schweren Entscheidung – der Abfallentsorgung. Einmal mehr stand in Hamminkeln das Ziel im Weg.