Wesel. Irmgard Kirsch (95) hat schreckliche Erinnerung an den Krieg. Doch sie sagt auch, das zerstörte Wesel aufzuräumen, habe ihr Freude bereitet

Über die Zerstörung Wesels ist schon viel geschrieben worden, auch in den vergangenen Wochen gab es wieder zahlreiche Gedenkveranstaltungen. Alte Leute erinnern sich, berichten jungen Menschen von schrecklichen Dingen, die sich die Nachkriegsgeneration nur schwer vorstellen kann.

Eine der wenigen noch lebenden Zeitzeugen ist Irmgard Kirsch – Jahrgang 1924. Die Seniorin kann die Ereignisse der Bombenangriffe auf die Hansestadt noch erzählen, als seien sie gestern geschehen. Sie war damals eine junge Frau, 20 Jahre und sehr hübsch, wie alte Schwarz-Weiß-Fotos beweisen, die das ganze Kriegsgeschehen unversehrt überstanden haben. Zum Glück! „Ja, ich sah damals wirklich gut aus“, sagt Irmgard Kirsch mit einem Lächeln im Gesicht, als sie die alten Studio-Bilder zeigt.

Irmgard Kirsch (rechts) vor ihrer damaligen Arbeitsstätte, der Metzgerei in der Korbmacherstraße in Wesel.
Irmgard Kirsch (rechts) vor ihrer damaligen Arbeitsstätte, der Metzgerei in der Korbmacherstraße in Wesel. © FFS | Heinz Kunkel


Sie arbeitete damals als Fleischerei-Fachverkäuferin in der Metzgerei Möldering, die später von Jansen übernommen wurde, in der Korbmacherstraße nahe des Lutherhauses.

Die Seniorin sagt, bei den Angriffen am 16. Februar 1945 habe es keinen Alarm gegeben, weil die Sirenen schon kaputt gewesen sein.

„Die Flak hat aber geschossen, da wussten wir, dass die Bomber kommen“, ergänzt Irmgard Kirsch, die dann auf die Straße gelaufen sei und da schon die ersten Flugzeuge gesehen habe. „Schnell, alle in den Keller!“, habe sie noch gerufen und von jetzt auf gleich hätten sich alle aus der Metzgerei noch gerade rechtzeitig in Sicherheit gebracht.

Mit zehn Leuten in einem Keller

„Wir waren dann mit etwa zehn Leuten im Keller, wie lange kann ich nicht mehr sagen. Als es draußen ruhig wurde, wussten wir: Jetzt müssen die Angriffe vorbei sein.“

Sie sei als erste aus dem Keller gekommen, habe sich mit Hammer und Taschenlampe den Weg ins Freie gebahnt. Diese Erfahrung prägte sie: „Ich rate jedem, immer eine Taschenlampe und einen Hammer dabei zu haben!“ Zum Glück habe das Gebäude nicht gebrannt: „Aber es war alles kaputt, ich habe nur noch Trümmergesehen!“ Sie habe sich dann sofort auf den beschwerlichen Weg durch Schutt und Asche zu ihrem Elternhaus gemacht, das damals in der Straße „In der Dell“ stand. „Meine Mutter kam mir auf den letzten Metern entgegen. Wir sind uns in die Arme gefallen, sie war ja froh, dass ich noch lebe“, erinnert sich die 95-Jährige.

Ein fremder Mann in ihrem Zuhause

Zwar war ihr Zuhause unversehrt, doch mit Mutter, Onkel, dessen Frau und deren Tochter floh die damals 20- Jährige rund 200 Kilometer ins Bückeburger Land – acht Tage waren sie zu Fuß unterwegs. „Wir wurden überall freundlich aufgenommen, haben mal beim Bauern im Schweinestall, mal im Kuhstall übernachtet“, erinnert sie sich.

Als der Krieg dann zu Ende war, kehrte sie mit ihrer Mutter nach Wesel zurück. Ihr Haus war äußerlich unbeschädigt – doch innen geplündert. „Alles war weg! Kein Bett mehr, keine Tasse mehr im Schrank.“ Und: „Im Haus war ein fremden Mann.“

Nach heutigem Recht hätte man den vermutlich sofort rausgeworfen, doch in Kriegszeiten war alles anders. „Der durfte erstmal bleiben, wo sollte der auch sonst schlafen?“, sagt die Seniorin heute. Sie fand bald neue Arbeit bei Keramag.

Einige Tage wurde sie aber immer vom Dienst freigestellt, um in der zerstörten Stadt aufzuräumen, Steine mit bloßen Händen aufzuladen. „Ich war einer der Trümmerfrauen“, sagt sie und ergänzt: „Wir waren mit mehreren Mädchen – und es hat sogar Spaß gemacht, war eine Ablenkung von der Arbeit. Und wir bekamen Sondermarken zum Einkaufen.“