Wesel. Das Stück „Reichsbürger“ vom Stadttheater Münster sorgte auch nach dem Ende der Vorstellung in Wesel für Diskussionen im Publikum.

Wenn das Publikum nach Ende der Vorstellung spontan in Gruppen vor der Tür des Bühnenhauses über „Der Reichsbürger“ debattiert, hat politisches Theater sein Ziel erreicht. Das Werk von Annalena und Konstantin Küspert zählt in dieser Saison zu den viel gespielten und diskutierten Stücken in Deutschland und hat auch der Studiobühne am Freitagabend nicht nur lebhafte Diskussionen, sondern auch ausverkaufte Reihen beschert.

Schauspieler Wilhelm Schlotterer vom Theater Münster wandte sich bereits vor Beginn der Aufführung an die Zuschauer, schon in seiner Rolle als Elektriker Ludwig, der sich als Selbstverwalter bezeichnet und mit diesem Staat nichts zu tun haben will. Mit Vollglatze, in Sakko und Hemd bot er Kekse und schwarzen Kaffee an. Und signalisierte „schaut her, ich bin nett und höflich, einer von euch“. Ein Verführer. Oder Wolf im Schafspelz. Sprach man ihn auf die bevorstehende Aufführung an, antwortete er, hier gäbe es keine Aufführung, er wolle vielmehr gleich einen Vortrag über seine Ziele halten. Das Bühnenbild bestand aus einer altdeutschen Couch, davor ein Tisch mit Thermoskanne.

Die Autoren haben gut recheriert

Ludwig nimmt Platz und legt los. Über eine halbe Stunde lang erklärt er, dass er diesen Staat für unrechtmäßig hält, dass die Bundesrepublik immer noch ein besetztes Land sei und keinesfalls souverän. Wer sich ein wenig auskennt mit den Reichsbürgern, langweilt sich, zumal Schlotterer in den hinteren Reihen nur schwer zu verstehen ist. Doch wer bislang nicht damit vertraut war, wird bestens informiert, denn die Autoren haben gut recherchiert.

Sie haben zudem den Text mit Zitaten aus Gesetzen und aus dem Werk Georg Büchners versetzt, und Ludwig liest während des Vortrags daraus vor. Nicht nur als Beleg dafür, dass er Recht hat. Auch, um zu demonstrieren, dass er kein Nazi und rechter Spinner ist. Außerdem, und das macht diesen Reichsbürger so gefährlich, kann man so manches von dem, was er da anprangert, durchaus unterschreiben: Der Kapitalismus hat seine Schattenseiten. Und selbst liberale und weltoffene Eltern möchten nicht, dass ihre Kinder in eine Schule gehen, in der kaum noch ein Mitschüler richtig Deutsch kann.

Wer oder was sind Reichsbürger?

Reichsbürger und Selbstverwalter sind Einzelpersonen, aber auch kleine Gruppen, die im Internet vernetzt sind. Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass es 2018 rund 19.000 von ihnen gab. Vor gut zwei Jahren geriet beispielsweise in Drevenack eine Gruppe mit der Polizei in Konflikt. Sie verbindet die gänzliche Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtsordnung. Sie berufen sich dabei auf das Deutsche Reich, unterschiedliche Verschwörungstheorien oder auf ein angebliches Naturrecht. Da sie den Staat ablehnen, zahlen sie keine Steuern oder Abgaben und halten sich an keine Gesetze. Sie versorgen sich oftmals selbst und verbarrikadieren ihre Grundstücke. Wenn man sie zur Einhaltung der Gesetze bringen will, reagieren einige von ihnen mit Gewalt. Laut Verfassungsschutz sind sie staatsfeindlich, aber nicht immer rechtsextrem.

Das Groteske der Figur

Die Autoren arbeiten klar heraus, wie es Reichsbürgern oder auch rechten Populisten gelingt, Menschen aus der viel beschworenen Mitte der Gesellschaft auf ihre Seite zu ziehen. Zwar wird der Satire-Charakter auch schon zu Beginn angedeutet, wenn Ludwig seine Tiraden stets mit einem kräftigen „Bums, Granate“ unterstreicht.

Doch im Laufe des Stücks arbeiten die Autoren das Groteske ihrer Figur und seiner Positionen noch stärker heraus, wenn Ludwig etwa das Wappen seines selbstverwalteten Territoriums „Ludwigsforst“ vorstellt: Ein Hundekopf, darüber eine Krone. Und er selbst setzt sich ein lila Papierkrönchen auf. Denn so sehr er zuvor die Freiheit vom Unrechtsstaat propagiert hat – in „Ludwigsforst“ hat natürlich nur er zu sagen. Zum Ende zieht er dann auch noch theatralisch die Pistole, um gegen die – auf einer Leinwand eingeblendete – Polizei zu Felde zu ziehen.