Schermbeck. Eine Schermbeckerin wollte mit ihrer Familie 1981 in die BRD fliehen. Wie der Versuch scheiterte, schildert sie in ihrem bewegenden Buch.

„Wir hatten den Freiheitsdrang in übermäßigen Mengen“, erzählt die Schermbeckerin Ilona Soßdorf über ihre dramatische Flucht aus der DDR, die sie jetzt in einem Buch veröffentlicht hat. „38 Jahre bin ich mit der Idee durch die Welt gelaufen, meine Geschichte aufzuschreiben“, sagt die 67-Jährige.

Als ihr Mann dann vor einem Jahr den Wunsch äußerte, sich seinen Lebenstraum – eine Weltreise – zu erfüllen, war dies für die Schermbeckerin der Anlass, sich ihren eigenen Traum zu erfüllen und die Erlebnisse niederzuschreiben.

„Die Nachtwanderung – das Abenteuer unserer Lebens. Autobiografische Geschichte einer Flucht von Ost- nach Westdeutschland“, heißt das fast 150 Seiten umfassende Buch.

Während ihr Mann also drei Monate ohne sie um den Globus schipperte, schrieb sie zu Beginn dieses Jahres über zwei Monate lang fast von morgens bis abends, ging teilweise mehrere Tage nicht aus dem Haus. „Es kam alles so aus mir heraus, weil ich meine Geschichte einfach erzählen wollte“, berichtet Soßdorf, der die Ereignisse rund um ihre Flucht im Gedächtnis so präsent sind, als sei es gestern gewesen.

Flucht in den Westen war die Lösung

Ein Grenzstein erinnert an die ehemalige innerdeutsche Grenze
Ein Grenzstein erinnert an die ehemalige innerdeutsche Grenze © pA/dpa | Martin Schutt

Es war im Jahr 1977, als ihr Mann sie fragte: „Was hältst du davon, dass wir in den Westen gehen?“ Sofort war der Mutter zweier kleiner Kinder klar, dass dieser Gedanke der richtige ist: „Das ist die Lösung für alles! Mein Mann ist der Visionär und man hatte in der DDR ja keine Freiheit – keine Meinungsfreiheit, keine Reisefreiheit.“ Die Buchhalterin ergänzt, damals hätten vermutlich 70 bis 80 Prozent der DDR-Bürger den Wunsch gehabt, in den Westen zu gehen, doch kaum einer habe sich getraut, eine Flucht überhaupt zu planen.

„Seid ihr noch zu retten?“, habe ein befreundetes Ehepaar gesagt, doch mit Hilfe eines Bekannten aus Westdeutschland reifte mehr und mehr der Plan zu fliehen. Alles natürlich streng heimlich. „Wir haben die Fenster geschlossen und laute Musik eingestellt, wenn wir darüber gesprochen haben“, erzählt die 67-Jährige.

Es dauerte vier Jahre, bis es so weit war, alles war bis ins Detail geplant: Als Campingurlaub in Rumänien getarnt, wollte die Familie mit ihren beiden damals fünf und acht Jahre alten Söhnen am 18. Juli 1981 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Jugoslawien gelangen und dann über die dortige Botschaft der Bundesrepublik nach Westdeutschland ausreisen.

Froschquaken als Geheim-Zeichen

Doch der Plan ging schief: Zwar hatten die Flüchtlinge bei der Vorbereitung an alles gedacht: Unter anderem nahmen sie einen grünen Plastikfrosch mit, der Töne wie ein Froschquaken machte, wenn man auf seinen Bauch drückte. Der Mann ging immer ein Stück voraus und signalisierte der Mutter mit den Kindern durch sein „Froschquaken“: Die Luft ist rein!

Doch dann fiel ihnen ein großes Missgeschick auf: „Wir hatten in der Aufregung den Kompass im Auto unseres Bekannten, der uns nah an die Grenze gebracht hatte, liegen gelassen.“

Ein schwerwiegender Fehler, denn so irrte die Familie nachts rund 20 Kilometer durch die ihnen völlig unbekannte rumänische Landschaft. Als sie im Morgengrauen ein Dorf erreichten, hofften sie in Jugoslawien zu sein – doch es war ein rumänisches Dorf. Die Eltern wurden festgenommen und inhaftiert, die Kinder kamen zu den Großeltern.

Kinder kommen nach

Nach zehn Monaten in getrennten Haftanstalten durften die Flüchtlinge plötzlich in den Westen ausreisen – sie wurden von der Bundesrepublik freigekauft.

Erst ein halbes Jahr später wurden auch die Kinder wieder zu ihren Eltern gelassen. „Wir waren überglücklich und mehr als dankbar“, beschreibt Ilona Soßdorf den Moment, als sie ihre Jungen wieder in die Arme nehmen konnte.