Wesel. Gedenken im Bühnenhaus und Lichtergang zum Mahnmal: Am 9. November kommen die Weseler zum Gedenken an die Opfer der Pogromnacht von 1938 zusammen.
Kinder auf deutschen Schulhöfen beschimpfen sich mit „Du Jude“, jüdische Friedhöfe in Deutschland werden geschändet, die Shoah wird relativiert oder geleugnet, Menschen, die eine Kippa tragen, werden bedroht.
Deutschland im Herbst 2019. Und der jüdische Weltkongress stellt ein paar Wochen vor dem Mordanschlag in Halle (Saale) im Zuge einer repräsentativen Umfrage fest: Jeder vierte Deutsche denkt antisemitisch.
„Diese Entwicklung macht uns sehr große Sorgen“, sagte gestern im Rathaus Wolfgang Jung, Vorsitzender des Jüdisch-Christlichen Freundeskreises Wesel, weswegen sich der Freundeskreis auch dazu „sehr deutlich positionieren“ müsse.
Genau dies wollen die Vertreter der Stadt Wesel und der Verein am Samstag in der kommenden Woche, am 9. November, erklärtermaßen tun: Dann jährt sich zum 81. Mal die so genannte Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938, mit der in Deutschland das NS-Regime die offene Verfolgung von Menschen jüdischen Glaubens begann.
Gedenken im Bühnenhaus und Lichtergang zum Mahnmal
Bürgermeisterin Ulrike Westkamp und Wolfgang Jung haben gestern im Rathaus vor der Presse Inhalt und Ablauf der Gedenkveranstaltung vorgestellt: In diesem Jahr wird die Veranstaltung vom Ensemble Noisten, das jüdische Klezmer-Musik präsentiert, gestaltet. Klezmer-Musik, die osteuropäische jüdische Tanz- und Hochzeitsmusik, ist Ausdruck tief empfundener Religiosität und überschwänglicher Lebensfreude. „…sie singt drinnen im Herzen“, so beschrieben die jüdischen Mystiker seit dem Mittelalter das Geheimnis der Musik. Die Veranstaltung findet am Samstag, 9. November, um 19 Uhr, im Bühnenhaus Wesel statt. Wegen des steigenden Publikumszuspruchs wird die Veranstaltung im Bühnenhaus und erstmals nicht mehr auf der Hinterbühne des Bühnenhauses durchgeführt.
Das Ensemble Noisten steht für den musikalischen Brückenschlag zwischen Musiktraditionen und Lebensweisen unterschiedlicher Kulturen. Nach der Vorstellung findet der traditionelle Lichtergang zum jüdischen Mahnmal am Willibrordi-Dom statt.
„Erinnerung darf nicht zur Routine werden“
Der Jüdisch-Christliche Freundeskreis Wesel e.V. will mit seinen Aktivitäten an jüdisches Leben in Wesel und am Niederrhein erinnern. Der Freundeskreis ist Ende der 1980er Jahre gegründet worden durch den damaligen Stadtdirektor Günter Faßbender. Die Gründung geht auf den 1988 in Wesel begangenen 50. Jahrestag der „Reichspogromnacht“ am 9./10. November 1938 zurück.
Wolfgang Jung mahnte bei der Präsentation im Rathaus mit Hinweis auf eine Grundsatz-Feststellung von Charlotte Knobloch, der früheren Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, dass „Erinnerung in Deutschland nicht zur Routine werden“ dürfe.
Der Nationalsozialismus entschwinde der Zeitgenossenschaft. Die Erlebnisgeneration sterbe, weswegen ihre Erinnerung an die Erkenntnisgeneration weitergegeben werden müsse. Jung: „Das tun wir ganz intensiv mit unserer Zusammenarbeit mit den Weseler Gymnasien und der Gesamtschule. Wir sind sehr dankbar, dass es in Wesel ein großes politisches Einvernehmen für Bildungsarbeit dieser Art gibt.“
Hass und Gewalt: Polizei und Staat müssen ihre Ermittlungen intensivieren
Trotzdem, so Jung, sei es in diesen Tagen unter dem Eindruck von rechtsextremistischen Gewalttaten, die sich in Halle gegen eine voll besetzte jüdische Synagoge richtete und die in Kassel das Leben eines Regierungspräsidenten, eines Repräsentanten des Staates, auslöschte, notwendig, von den staatlichen Organen wie Polizei, Bundesanwaltschaft und Verfassungsschutz zu fordern, dass sie den Aufwand ihrer Ermittlungen gegen Rechtsterrorismus sowie Antisemitismus in Deutschland deutlich intensivieren.