Hamminkeln. Rashidat Adebayo war Rechtsanwältin in Nigeria, 2015 ist sie nach Europa geflohen. Seitdem hat sie viel Menschlichkeit made in Mehrhoog erfahren
Dies ist die Geschichte von einem ergreifenden menschlichen Schicksal, von einer bizarren Todesdrohung, ausgestoßen im afrikanischen Nigeria, von der panischen Flucht einer jungen Mutter mit ihren zwei kleinen Kindern nach Mailand (Italien), die dann über Sammelunterkünfte in Dortmund, Duisburg schließlich in Mehrhoog endete.
Dies ist aber auch die Geschichte von großer Solidarität, von einfühlsamer Mitmenschlichkeit und enormer Hilfsbereitschaft auf deutscher Seite, gegenüber einer kleinen aus Nigeria geflohenen Familie, die am Ende ohne Geld und ohne Pässe, aber mit großen Sorgen im Oktober 2015 in Hamminkeln angelandet ist und dort „Menschlichkeit made in Mehrhoog“ erfahren hat.
Morddrohung bitter ernst gemeint
Der Reihe nach: Rashidat Adebayo (33) war Rechtsanwältin von Beruf und Mutter von zwei kleinen Kindern in der nigerianischen Metropole Lagos, als ihr Schwiegervater, Familienoberhaupt und zudem eine Art Medizinmann, im Sommer 2015 jenen bedrohlichen Satz aussprach, der die junge Frau in blanke Panik versetzte und sie nach Europa fliehen ließ. „Rashidat, wenn dein ältester Sohn mit fünf Jahren nicht endlich so normal wird wie die anderen Kinder hier im Viertel“, so drohte der alte Mann der Mutter, „dann werde ich ihn töten!“
Rashidats ältester Sohn ist geistig behindert, leidet an Autismus, spricht nicht, schreit andauernd, leidet am Zappelphilipp-Syndrom (ADHS). Diese Diagnose wird Rashidat erst in Deutschland erfahren. In Nigeria weiß sie nur, dass er irgendwie sehr krank ist. Da der behinderte Junge aber bereits vier Jahre alt war und Rashidat wusste, dass die Morddrohung bitter ernst gemeint war, beschloss sie zu fliehen. Irgendwohin nach Europa, wo es doch Ärzte geben musste, die helfen können.
Sammelunterkunft Belenhorst
Ihr Ziel war Italien. Kaum in Mailand gelandet, mit ihren beiden Kindern im Gepäck und mit einem dritten Kind hochschwanger, knöpfte ein afrikanischer Schlepper ihr sämtliche Reisepässe ab und drückte ihr gegen eine hohe Geldzahlung Bahn-Fahrkarten nach Dortmund in die Hand. Ohne Ausweise, ohne Geld kommt sie im Herbst 2015 nach Dortmund, beantragt Asyl, wird nach Duisburg, später nach Hamminkeln in die Sammelunterkunft Belenhorst weitergereicht. Dort kommt, als plötzliche Notgeburt, ihr drittes Kind zur Welt.
Und jetzt kommt die Flüchtlingshilfe Hamminkeln mit ihrem Ableger „Mehrhoog hilft“ ins Spiel. Irene Kortmann, von Beruf Erzieherin, wird auf das Schicksal der jungen Frau mit ihren drei Kindern aufmerksam. Zusammengepfercht in einem winzigen Raum in der Belenhorst steckt die Frau mit ihren drei Kindern, eines davon wohl schwer behindert. Sie kann der Familie in Mehrhoog eine kleine Wohnung beschaffen - die Stadt Hamminkeln zahlt dafür, großzügigerweise.
Kortmann: „Rashidat hat mit ihren Kindern keinen Aufenthaltsstatus.“ Also wer sollte zahlen für all das? Für die Wohnung, die Ärzte, die Medizin, dies und das.? Es ist wohl das sympathische und respektvolle Wesen der zierlichen Frau mit dem Löwenherz, die ihr in Hamminkeln die Herzen und die Türen der Menschen geöffnet haben.
Ihr Asylantrag wird abgelehnt
Jedoch: Ihr Asylantrag wird abgelehnt. Die Morddrohung, weil sie letztlich nicht zu beweisen war, wird dort gar nicht erst vorgetragen. Abschiebung droht. Ihre Klage gegen diese Entscheidung wird zunächst ebenfalls vom Verwaltungsgericht Düsseldorf abgelehnt. Ihr Widerspruch jedoch wird dann - bislang ohne neues Urteil - akzeptiert. Eine Hängepartie. Würde ihr krankes Kind in Nigeria ohne notwendige medizinische Versorgung rasch sterben? Kann man eine Mutter mit Kind also dorthin wirklich abschieben? Es ist diese humanitäre Frage, die ihr die Abschiebung erspart.
Unterdessen hat mit großem Engagement der Initiative in Mehrhoog und von Irene Kortmann der behinderte Junge nach zahllosen Arztbesuchen und einer stationären Krankenhaustherapie nun einen Therapieplan, der anschlägt. Außerdem kann er stundenweise in eine Kita gehen; mittlerweile besucht er in Wesel sogar die „Schule am Ring“, macht große Fortschritte für seine schwierigen Verhältnisse.
Tränen und Lächeln zugleich
Langsam kommen Rashidat, sowie Ameer (dies ist der Name ihres behinderten Sohnes) zur Ruhe. Der mittlere Sohn plappert bereits fließendes Deutsch, der kleine Vierjährige ist auf dem besten Weg, ein eingeborener Niederrheiner zu werden. Dann, im Januar 2019, eine gute Nachricht für Rashidat: Ihr behinderte Sohn bekommt (zunächst begrenzt für drei Jahre) das Recht auf Aufenthalt in Deutschland, damit er seine Erkrankung in Deutschland stabilisieren kann. Dies bedeute für die Mutter: Auch sie kann so lange in Deutschland bleiben - eine Duldung. Eine Zwischenetappe, zum Luftholen. Da steht sie heute.
Am Montag ist sie dann, ermuntert von der Flüchtlingshilfe, scheu und freundlich vor die Presse getreten; sie hat meist ihre Freundin sprechen lassen, Frau Kortmann. Sie selber hört nur zu, nickt zuweilen, versteht gut und lächelt scheu. Als Frau Kortmann die Stadtverwaltung von Hamminklen lobt für humanes Handeln, die vielen Menschen aufzählt, die alle Menschlichkeit gezeigt haben, da schlägt Rashidat ihre Hände vors Gesicht, drückt ein Tränchen und lächelt zugleich und sagt: „Ich danken so sehr!“