Kreis Wesel. Nach dem Mordfall Lübcke warnen Politiker, dass auf Worte auch Taten folgen. Welche Erfahrungen haben Bürgermeister im Kreis Wesel gemacht?

„Die Hemmschwelle geht nach unten.“ So äußerte sich Hamminkelns Bürgermeister Bernd Romanski nach der grausigen Bluttat in Voerde, bei der ein Brüner eine Frau vor den Zug gestoßen haben soll. In der Folge hatte er diverse Mails erhalten, in denen er beziehungsweise die Stadtverwaltung für die Tat mitverantwortlich gemacht wurde. „Sie haben mitgemordet“, hieß es in eineranonymen Mail. Dabei habe die Stadt, bis auf die Tatsache, dass der Mann dort gemeldet ist, keine Berührungspunkte mit ihm gehabt.

Außer der Bürgermeister selbst, der bei einem Ausraster des 28-Jährigen betroffen war. Denn der mutmaßliche Täter schlug, als er zwei alte Nachbarn verletzte und anschließend randalierte, auch auf das Auto von Romanski ein. Romanski beklagt eine Verrohung der Sitten und ruft zu mehr Mäßigung auf. Er hatte damals den Landrat als obersten Polizisten des Kreises über die Mails informiert, hat aber noch keine Anzeige erstattet.

Auf persönliche Anfeindungen in Debatten verzichten

Romanski plädiert dafür, auf persönliche Anfeindungen in politischen Debatten zu verzichten. Denn er fürchtet, dass dieser Stil auch einige Menschen zu Taten motivieren könnte, siehe Mordfall Lübcke. Außerdem könne auch die ehrenamtliche politische Arbeit leiden, wenn potenzielle Kandidaten sagen: „Der Preis ist mir zu hoch.“

Schermbecks Bürgermeister Mike Rexforth weiß, wie es ist, wenn Fremde ihn und seine Familie attackieren. Inzwischen hat sich die Lage beruhigt, „wir haben die Flüchtlingsthematik im Griff“, auch die Ängste der Bürger seien abgebaut. In der Hochphase der Flüchtlingsdebatte erlitt die Familie Rexforth über Monate Telefonterror. „Das Telefon ging im Zehnminutentakt. Als Bürgermeister kann man aber nicht einfach sein Telefon abschalten“, erklärt er.

Die Kinder waren aufgeschreckt und ängstlich

Seine Kinder seien aufgeschreckt worden und ängstlich. „Das geht gar nicht“, sagt Rexforth. Kritik gibt es immer noch, in der Grundschuldebatte beispielsweise. Das überschreite aber niemals die Grenze. Der Mann, der Rexforth, seine Frau und seine Kinder terrorisierte, wurde per Fangschaltung geschnappt. Er hatte noch weitere Menschen schlimmer schikaniert. Und dafür eine Bewährungsstrafe erhalten.

Gerade mit Blick auf den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke wünsche er sich, „dass mit aller Härte des Gesetzes gegen Menschen vorgegangen wird, die die Grenzen überschreiten“, sagt Rexforth. Gerichte, aber auch der Gesetzgeber seien hier gefragt.

Westkamp findet es unsäglich, wie sich das gesellschaftliche Klima entwickelt

Auch die Weseler Bürgermeisterin Ulrike Westkamp findet es „unsäglich, wie sich das gesellschaftliche Klima entwickelt“. Die Hemmschwelle sinke in allen Bereichen. Sie selbst sei allerdings in Wesel noch nie bedroht worden, wenngleich sie immer wieder mal E-Mails erreichen, die an viele Bürgermeister im ganzen Land gehen. Da würden dann Grenzen überschritten.

So etwas leite sie sofort an den Landrat weiter. Rigoros gehe die Stadtverwaltung aber gegen Beleidigungen und Bedrohungen vor, die die Mitarbeiter betreffen. So etwas müssten sie sich nicht gefallen lassen. Zehn Anzeigen gab es zuletzt, drei allein wegen der Beleidigung von Politessen, die häufig beschimpft würden. Hinzu komme eine wegen Körperverletzung eines Stadtwachtmitarbeiters und vier wegen Bedrohungen. Auch zwei Anzeigen wegen Sachbeschädigung gab es.

Dirk Buschmann beklagt Diskreditierung im Netz

Hünxes Bürgermeister Dirk Buschmann ist in seiner Amtszeit noch nicht persönlich bedroht worden. Harsche Kritik, die habe es gegeben, auch Diskreditierungen im Internet, beispielsweise im Zusammenhang mit dem Zeelink-Projekt. „Es gibt immer Diskrepanzen zwischen denen, die das Gemeinwohl zu vertreten haben, gegenüber denjenigen, die ihre Einzelinteressen vertreten“, sagt Buschmann. Obschon er selbst – anders als in seiner Zeit als Sozialamts-Mitarbeiter – nicht persönlich angegangen wurde, sieht er die Gefahr, „dass niemand sich mehr zum Fürsprecher des Gemeinwohls wählen lassen möchte“.