Wesel. . Mit außergewöhnlichem Konzert der Neuen Philharmonie Westfalen wurden 60 Jahre Bühnenhaus gefeiert. Schauspieler August Zirner als Sprecher.
Dirigent Rasmus Baumann und die Neue Philharmonie Westfalen waren bestens aufgelegt. Mit Schauspieler August Zirner hatte das Orchester aus Recklinghausen zudem einen illustren Sprecher mitgebracht, und so wurde das Konzert zum 60. Geburtstag des Städtischen Bühnenhauses am Samstag ein vor allem beschwingter Genuss, obwohl der Titel „Politik“ eigentlich eher schwere Kost vermuten ließ.
Bevor es losging, wies Hausherr Paul Borgardts noch auf die Vielfalt hin, die das Bühnenhaus von je her zu bieten hat, und Bürgermeisterin Ulrike Westkamp erinnerte an die Entstehungsgeschichte, daran, dass die Theatertradition in Wesel zu Beginn des 19. Jahrhunderts in einer Kneipe in der Magermannstraße ihren Anfang nahm.
Mit der 9. Sinfonie in Es-Dur von Dmitri Schostakowitsch (1906– 1975) leitete ein Werk den Abend ein, das der russische Komponist nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geschrieben hatte. Der Kreml, in dem damals Stalin residierte, erwartete eine bombastische Sinfonie, die dem Sieg huldigte, doch Schostakowitsch enttäuschte die Politik: Seine Neunte kommt mal trällernd, mal tänzerisch leicht, mal wie eine Zirkusmusik daher, und dann wieder glaubt man, dem Soundtrack eines Horrorfilms zu lauschen. Allein von einem Siegesmarsch keine Spur. Schostakowitsch hatte sich über Stalin lustig gemacht. Die Interpretation der Neuen Philharmonie Westfalen unterstreicht das Burleske des Werks.
Melancholisch-nachdenklicher Charakter
Kernstück des Konzerts ist „A Lincoln Portrait“ des US-Komponisten Aaron Copland (1900– 1990), der während der McCarthy-Zeit wegen angeblicher kommunistischer Umtriebe in Hollywood auf der schwarzen Liste stand. Sein „A Lincoln Portrait“ entstand 1942. Das Besondere daran ist nicht nur, dass die Musik den melancholisch-nachdenklichen Charakter des einstigen US-Präsidenten nachempfindet – es wird auch immer ein berühmter Sprecher dazu eingeladen, aus berühmten Texten Abraham Lincolns zu rezitieren.
Paul Newman oder Tom Hanks haben schon seine bis heute aktuelle Botschaft an den Kongress „Mitbürger, wir können der Geschichte nicht entfliehen“ zu Coplands Musik gelesen. In Wesel übernahm dies August Zirner, er las das englische Original. Als Sohn österreichisch-amerikanischer Juden ist Zirner in den USA aufgewachsen. Während er spricht, nimmt sich das Orchester zurück, trägt nur leise die kräftigen Worte, so dass Lincolns Bild vor dem geistigen Auge entstehen kann. Zirner spricht ohne Pathos, und dies „unsere Probleme sind neu für uns, deshalb müssen wir neue Wege beschreiten. Wir müssen jeden Zweifel und jede Angst abschütteln“ aus dem Jahr 1862 klingt aus seinem Munde so, als richte er sich an die Politik von heute. Er hat den Ton getroffen, das signalisiert der Applaus.
Mit viel Engagement und Spielfreude
Zum Schluss eine Sternstunde – Ludwig van Beethovens (1770– 1827) dritte Sinfonie, die „Eroica“. Unangestrengt, mit viel Engagement und Spielfreude zeigt sich die Neue Philharmonie Westfalen. Das Ergebnis ist perfekt. Mit seiner „Heldischen“ hatte Beethoven Napoleon feiern wollen. Doch als dieser die Ideale der Französischen Revolution verriet, zog der Komponist die Widmung zurück. Auch das war Politik.